Handelsblatt-Worldwide-Correspondent Torsten Riecke analysiert jede Woche in seiner Kolumne interessante Daten und Tendencies aus aller Welt. Sie erreichen ihn unter [email protected].
(Foto: Klawe Rzeczy )
Viele nennen es die Zeit zwischen den Jahren. Für die professionellen Propheten der Finanzwelt ist das kalendarische Niemandsland am Ende vom Jahr die Zeit für Rück- und Ausblicke, und am Ende dieses Jahres erscheint der Blick zurück genauso beängstigend wie der Blick nach vorn. Auch wenn uns Deutschen der vorbildliche Regierungswechsel in Berlin Mut machen sollte.
Um uns herum sieht die Welt weitaus düsterer aus. Hinter uns liegen ein Machtwechsel in Amerika, der quick durch einen Coup verhindert worden wäre. Ein schmachvoller Rückzug der USA aus Afghanistan, der für viele den Niedergang der einstmals alleinigen Supermacht Amerika symbolisierte. Eine globale Lieferkettenkrise, die durch das im Suezkanal querliegende Containerschiff „Ever Given“ versinnbildlicht wurde. Und eine Pandemie, die erst von Pharmapionieren mit neuen Impfstoffen eingedämmt wurde und nun mit neuen Mutanten und voller Wucht zurückkommt.
Auch wenn die Omikron-Welle im Second die meisten Menschen in Atem hält, für viele Ökonomen und Finanzprofis ist die Pandemie nicht mehr das größte Risiko für das Jahr 2022. Das liegt nicht nur daran, dass die meisten Regierungen und Notenbanken die Jahrhundertkrise entschlossen und mit viel Geld erfolgreich bekämpft haben. In den USA und bald auch in Europa haben wir wirtschaftlich wieder das Vorkrisenniveau erreicht.
Zu den Kollateralschäden dieses Rettungseinsatzes gehört jedoch ein weltweiter Inflationsschub, für den wir im kommenden Jahr noch einen hohen wirtschaftlichen und politischen Preis bezahlen könnten. Viel wird davon abhängen, ob Omikron die Flaschenhälse der globalen Lieferketten erneut zuschnürt oder ob wir mithilfe von Resilienz und Technologie den Stau auf den Verkehrswegen der Weltwirtschaft auflösen können.
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Geopolitisch befinden wir uns dagegen nach wie vor in einer Rezession. Was vor allem daran liegt, dass die beiden mächtigsten Länder der Welt unter einer Betriebsstörung leiden. Amerika hat sich zwar vorerst vom Trump-Trauma befreit, aber die Dämonen einer zutiefst gespaltenen Nation längst nicht besiegt. Bereits die im November anstehenden Halbzeitwahlen zum Kongress könnten die USA erneut polarisieren und blockieren – was den Relaxation der Welt noch mehr in Mitleidenschaft ziehen würde.
Auch China ist nicht der Hort von Stabilität, als den es die autoritären Machthaber in Peking gerne darstellen. Die „Zero Covid“-Strategie treibt das Land weiter in die Isolation. Die persönlichen Außenkontakte von Unternehmen und Politikern sind drastisch zurückgegangen, was angesichts der vielen schwelenden internationalen Konflikte zu gefährlichen Missverständnissen führen kann. Zudem steht auch dem Reich der Mitte mit seinen weniger effektiven Impfstoffen und seinen rigorosen Lockdowns die Bewährungsprobe durch Omikron noch bevor. An den Finanzmärkten wird China inzwischen eher als Risikofaktor denn als Allheilmittel für die Weltwirtschaft gehandelt. Nur den deutschen Autobauern scheint diese Entwicklung bislang entgangen zu sein.
Ein Jahr der Entspannung zwischen Peking und Washington?
Dass es zwischen den beiden Scheinriesen im kommenden Jahr zu einem Scharmützel etwa über Taiwan kommt, ist dennoch unwahrscheinlich. Dagegen spricht, dass sich Chinas starker Mann Xi Jinping im nächsten Herbst vom Parteikongress zum Herrscher auf Lebenszeit erklären lassen will. Vorher wird er kaum einen militärischen Konflikt mit den USA riskieren, der auch in Peking umstritten ist. Da auch Biden ein Interesse daran hat, bis zu den Midterm-Wahlen im November außenpolitisch zu punkten, könnte 2022 eher ein Jahr der Entspannung zwischen den beiden rivalisierenden Großmächten werden.
US-Präsident Joe Biden beim virtuellen Treffen mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping im November.
(Foto: AP)
Was allerdings nicht bedeutet, dass die USA und China ihre technologische Entkoppelung (Decoupling) bremsen werden. Nicht zufällig betrachten die Finanzprofis von Blackrock, immerhin der weltgrößte Vermögensverwalter der Welt, den sogenannten „Tech-Battle“ zwischen den beiden Supermächten als das größte geopolitische Risiko für 2022. Sowohl in Washington als auch in Peking weiß man, dass das Ringen um geopolitische Dominanz ein technologisches Wettrennen um KI, Chips, 6G und Quanten-Computing ist. Dass dieser Wettbewerb immer öfter unter Ausschluss der Konkurrenz stattfindet, ist wirtschaftlich und technologisch ein Jammer für die Welt.
Die großen Unbekannten des „Tech-Battle“ sind die globalen Technologiekonzerne selbst. Fb, Apple, Amazon und Google, aber auch Tencent, Alibaba, Huawei und Baidu sind heute nicht nur mächtiger als viele Nationalstaaten, sondern benehmen sich auch immer mehr wie souveräne Regierungen, die sich ihre eigenen Regeln basteln. Der „Tech-Battle“ ist ein Mehrfrontenkrieg nicht nur zwischen Nationalstaaten, sondern auch zwischen Regierungen und den Technologiekonzernen. Intestine möglich, dass dies zur entscheidenden Auseinandersetzung im Jahr 2022 und darüber hinaus wird.
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