New York, Düsseldorf Der weltgrößte Unterhaltungskonzern Disney hat den Zorn der Politik auf sich gezogen. Floridas Gouverneur Ron DeSantis will Disney die Steuerprivilegien für seine Freizeitparks in Florida streichen, die der Konzern seit den 1970er Jahren genießt. Grund dafür ist ein neues Gesetz im Bundestaat, das Schulunterricht über Sexualität und Geschlechtsidentität einschränkt. Disney hatte das Vorhaben kritisiert.
„Mein Job ist es nicht, vor irgendeinem woken Konzern in die Knie zu gehen, sondern Kinder zu beschützen“, wetterte DeSantis zuletzt. Das Wort „woke“ wird in konservativen Kreisen oft als Schimpfwort gegen jene benutzt, die sich gegen Diskriminierung engagieren.
So wie es Disney aus Sicht von DeSantis tut: Wenn Ende Mai die Neuauflage des Klassikers „Die kleine Meerjungfrau“ auf die Leinwand kommt, ist die Hauptdarstellerin erstmals dunkelhäutig. Das hatte unter den amerikanischen Rechten für Kritik gesorgt.
Solche Angriffe ist Disney nicht gewöhnt. Und der Kampf mit dem kommenden Präsidentschaftskandidaten DeSantis ist nicht das einzige Problem des schwächelnden Mickey-Maus-Imperiums: Ein riesiger Schuldenberg belastet Disney, der Konzern ringt mit der Konkurrenz und aktivistischen Anlegern. Die Aktie stieg dieses Jahr zwar um gut 13 Prozent auf über 101 Dollar, ist aber noch weit von dem 197-Dollar-Hoch aus dem Frühjahr 2021 entfernt.
Eigentlich wollte Disney dieses Jahr sein 100-jähriges Bestehen feiern: In München hat eine große Disney-Aufstellung eröffnet, die bald auf Welttournee geht. Und das Pariser Disneyland schreibt gut 30 Jahre nach seiner Eröffnung erstmals schwarze Zahlen. Doch diese sechs Probleme überschatten die Feierlaune:
1. Disney wächst schnell, leidet aber unter hohen Schulden
Zwar sind die Umsätze so hoch wie nie in der Geschichte: Im zweiten Halbjahr des verschobenen Geschäftsjahres setzte Disney 45,3 Milliarden Dollar um – zehn Prozent mehr als vor Jahresfrist. Der Nettogewinn stieg sogar um 57 Prozent auf 2,5 Milliarden Dollar, teilte der Konzern in der Nacht zu Donnerstag mit.
Allerdings sitzt Disney auf einem Berg von Schulden und sonstigen Verbindlichkeiten in Höhe von 103,3 Milliarden Dollar. Und das Zukunftsgeschäft Streaming schreibt weiter hohe Verluste. Mit 1,7 Milliarden Dollar stieg der Verlust im ersten Halbjahr 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum noch einmal um 16 Prozent. Von seinem Ziel, die Streamingsparte bis 2024 profitabel zu machen, ist Konzernchef Bob Iger also weit entfernt.
„Wir unternehmen alle nötigen Schritte, um das Streaming-Geschäft profitabel zu machen“, sagte Iger in der Analystenkonferenz. Aber man dürfe auch nicht vergessen, dass Disney+ erst vor dreieinhalb Jahren gestartet sei. „Insofern sind wir immer noch ein Start-up.“
Disney profitiert indes vom Pandemieende. Die sechs Freizeitressorts mit mehreren Themenparks und Hotels locken Tausende Fans an, die Hunderte Dollar pro Tag für Eintritt, Unterkunft und Verpflegung zahlen. Dieses Geschäftsfeld steigerte seine Umsätze um 19 Prozent und steht mit 16,5 Milliarden Dollar in etwa für ein Drittel des Gesamtumsatzes.
Firmengründer Walt Disney war der Pionier, der die Unterhaltungsbranche kommerzialisierte. Heute muss CEO Iger die Kosten drücken. 5,5 Milliarden will er pro Jahr einsparen, allein drei Milliarden bei der Produktion von Inhalten. Zudem streicht Iger rund 7000 Stellen, fast vier Prozent der Belegschaft.
2. Druck von aktivistischen Investoren
Das sorgt für Unruhe, so will Disney aber den Druck aktivistischer Investoren abmildern, urteilen Beobachter. Im Herbst hatte Hegdefondsmanager Nelson Peltz Anteile von Disney gekauft. Er ist dafür berüchtigt, Unternehmen aufzumischen. Er kritisierte die „Wertvernichtung“ bei Disney.
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Der Konzern konnte zwar verhindern, dass Peltz in den Verwaltungsrat einzieht, doch dieser warnte die Disney-Führung, er würde sie weiter beobachten. Mit Dan Loeb vom Hedgefonds Third Point hat sich ein weiterer bekannter aktivistischer Name bei dem Konzern eingekauft – und setzt ihn unter Druck.
3. Schwieriger Kampf um die Streamingkrone
Der Streamingdienst Disney+ hat sich zwar mit starken Marken wie Marvel oder Star Wars zum ärgsten Konkurrenten von Branchenprimus Netflix entwickelt. Doch das Wachstum ist teuer erkauft, seit der Auflegung 2019 türmte die Sparte einen Verlust von rund zehn Milliarden Dollar auf.
Die Liste der Konkurrenten wird länger, die Produktionskosten für Filme und Serien sind enorm, und die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten bleibt angesichts der Inflation gering. So führten auch Preiserhöhungen dazu, dass Disney+ im abgelaufenen Quartal erneut Nutzer verloren hat. Disney+ hat 157,8 Millionen Abonnenten, Netflix 232,5 Millionen. Disneys zweiter Streamingdienst Hulu kam auf 48,2 Millionen Abonnenten.
Iger räumte zuletzt ein, dass es in der Branche ein „globales Wettrüsten“ gegeben habe, um hohe Nutzerzahlen zu präsentieren. Disney sei im Werben um Neukunden bei Preisaktionen „etwas zu aggressiv“ gewesen.
Disneys Kampf um die Streamingkrone sorgt für weitere Probleme: Durch diesen Fokus erreiche Disney weniger Menschen über andere Kanäle wie TV oder Kino, die gerade bei Familien wichtig für die Markenbildung seien, sagt François Godard, Analyst beim Londoner Beratungshaus Enders Analysis. „Disney muss nicht nur seinen Streamingdienst profitabel machen, sondern auch Aufmerksamkeit auf seine ikonischen Inhalte richten, um etwa Freizeitparks und Merchandising damit zu füttern.“
4. Die Krux mit der Politik
Der Streit mit der Politik eskaliert unterdessen. Gouverneur DeSantis will Disney nicht nur seine Steuersonderrechte wegnehmen, sondern auch die Expansion des Unternehmens in Florida einschränken. Disney geht dagegen gerichtlich vor und beklagt, dass DeSantis den Konzern dafür abstrafe, weil er das sogenannte „Don’t Say Gay“-Gesetz kritisiert habe.
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Disney ist einer der wichtigsten Arbeitgeber für die Region, von dem auch umliegende Firmen profitieren. Mit ernsthaften Konsequenzen muss Disney aus Sicht von Neil Macker, Experte beim Analysehaus Morningstar, nicht rechnen: „Niemand kann wollen, dass der Konzern abwandert.“
Iger kritisierte DeSantis in der Analystenkonferenz deutlich, ohne den Gouverneur beim Namen zu nennen. „Wir beschäftigen in Florida über 77.000 Menschen und locken Millionen von Touristen an.“ Die Vorschläge der Staatsregierung seien daher eine unrechtmäßige „Vergeltungsaktion“, so Iger. „Wir hätten nie gedacht, dass wir unsere Geschäftsinteressen vor einem Bundesgericht verteidigen müssen.“ Über 50 Jahre hinweg seien die Beziehungen zu Florida „ausgezeichnet“ gewesen. „Will der Staat Florida, dass wir mehr investieren, mehr Menschen beschäftigen und mehr Steuern zahlen, oder nicht?“, schimpfte Iger.
Beobachter werten DeSantis’ Verhalten als Wahlkampfmanöver. Der Gouverneur soll noch im Frühjahr seinen Einstieg ins Rennen ums Weiße Haus verkünden. Er wäre im Vorwahlkampf der zweite Kandidat der Republikaner neben dem früheren US-Präsident Donald Trump.
Einzig wenn DeSantis US-Präsident würde, könnte der Unterhaltungskonzern ein Problem bekommen, sagt Analyst Macker. „Das gilt dann aber nicht nur für Disney.“ Die Republikaner wollen Tech-Firmen stärker regulieren.
5. Fehlende Antworten auf den innerbetrieblichen Kulturkampf
DeSantis gegen Disney steht unter Republikanern stellvertretend für den amerikanischen Kulturkampf gegen den aus ihrer Sicht zunehmenden „Wokismus“. Der Begriff steht sinngemäß dafür, dass sich Menschen Diskriminierung, etwa Rassismus oder Sexismus, bewusst machen. Er wird von Konservativen oft aber spöttisch benutzt.
Disney setzte zuletzt in seinen Filmen auch auf Charaktere, die beispielsweise schwul sind oder eine Behinderung haben. Konservative Gruppen stören sich an diesen Darstellungen. Mit dem Start der Realverfilmung der „Kleinen Meerjungfrau“, die erstmals von einer schwarzen Schauspielerin verkörpert wird, kochte der Streit erneut hoch.
Disney tut sich schwer mit einer Antwort auf die Kritik von Rechts, schließlich hatte sich der Konzern über Jahrzehnte aus der Politik herausgehalten. Rebecca Cline, seit 1989 bei Disney und Leiterin des Konzernarchivs, sagte dem Handelsblatt, dass Disney als globales Unternehmen bei seinen Geschichten versuche, so inklusiv wie möglich zu sein. „Ich denke, es ist eine gute Sache, wenn wir Geschichten erzählen, die das reale Leben reflektieren. Alle Menschen in unserem Publikum finden bei Disney etwas Wundervolles, was sie würdigen können.“
Das Geschäft mit den Freizeitparks zieht nach dem Ende der Pandemie wieder an.
(Foto: ddp/abaca press)
Dennoch geht die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft längst auch durch den Disney-Konzern. Jose Castillo etwa arbeitet als Manager in dem Hotelkomplex neben dem Freizeitpark in Florida. „Die meisten Mitarbeiter von Disney unterstützen das Gesetz von DeSantis. Sie sind nur nicht so laut wie die, die es kritisieren“, behauptet er mit Bezug auf das „Don’t Say Gay“-Gesetz.
Das sagte der Republikaner-Anhänger auch in einer Talkshow. „Sie glauben gar nicht, wie viel Zuspruch ich danach auch von schwulen Kollegen bekommen habe“, so Castillo. „Ich arbeite bei Disney und ich liebe Disney“, aber der jüngste Kurs sei falsch. Niemand solle seine vierjährige Tochter fragen dürfen, ob sie ein Mädchen oder ein Junge ist.
6. Ist Bob Iger der richtige Disney-Chef?
Gelingt es Iger, Disney erfolgreich durch diese gesellschaftlichen Debatten zu steuern? Der 72-Jährige wurde im Herbst an die Konzernspitze zurückgeholt. Dabei war er erst 2020 nach rund 16 Jahren als Disney-Chef in den Ruhestand getreten.
Kritiker werfen Iger vor, den verschlossenen Konzern wie einen Gutshof zu führen. Für ihn spricht, dass er Anfang der Jahrtausendwende den vor sich hindämmernden Unterhaltungsriesen durch ein erfolgreiches Kaufprogramm wieder auf die Erfolgsspur brachte. Er kaufte etwa das Animationsstudio Pixar oder die Rechte der Serie „Star Wars“. Beides sind heute Gewinnbringer.
„Bob Iger wird uns in guten Händen zurücklassen, wenn er wieder aus dem Konzern ausscheiden wird“, sagte Disney-Archivchefin Cline. Iger hat einen Zweijahresvertrag – wenig Zeit, um die Probleme von Disney zu lösen. Analyst Godard sagte: „Bob Iger ist die einzige Person, die den Konzern gerade zusammenhalten kann.“
Das ist keine leichte Aufgabe: „Wenn man konservativ ist, gefallen einem die Trippelschritte von Disney in die Moderne nicht“, sagte Shelley Alpern von der Organisation Rhia Ventures, die sich für die Rechte von Schwangeren einsetzt. „Und wer politisch links ist, glaubt, dass Disney nicht genug tut.“
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