Stuttgart, München Am Anfang der Elektroära war die Freude bei den Autozulieferern groß. Sie ergatterten reihenweise Prestigeaufträge. ZF stattete etwa den EQC, das erste Strom-SUV von Mercedes-Benz, mit einem kompletten Antriebspaket aus. Bei weiteren Elektroautos der Marke kam Valeo als Systemlieferant zum Zug.
Doch damit ist bald Schluss. Der Stuttgarter Autobauer hat die „Electric Drive Unit“ für seine ab 2025 erscheinenden Elektroautos weitgehend selbst entwickelt. „Unsere Fertigungstiefe erhöht sich massiv“, sagt ein Mercedes-Manager.
Demnach konzipieren die Schwaben künftig die Achsen, das Zweiganggetriebe, die Siliziumkarbid-Inverter, die Steuerungssoftware, das Kühlungssystem sowie den Rotor und Stator des Motors in Eigenregie. Lediglich Subkomponenten wie die Antriebsspulen oder Wärmepumpen werden noch zugekauft.
Dem „Inhouse“-Beispiel von Mercedes dürften viele weitere Autobauer folgen. Für die Zulieferer ist das ein herber Rückschlag. Doch noch wollen sie sich nicht geschlagen geben und kämpfen gegen den Bedeutungsverlust an – mit teils guten Argumenten, wie sich auf der IAA Mobility in München gezeigt hat.
ZF entwickelt einen Elektromotor zur Serienreife, der ohne Magnete auskommt. Im Unterschied zu heute schon verfügbaren magnetfreien Konzepten sogenannter fremderregter Elektromotoren (FSM) wird beim neuen Motor von ZF die Energie für das Magnetfeld über einen induktiven Erreger innerhalb der Rotorwelle übertragen. Das soll den Motor einzigartig kompakt machen – mit höchster Leistungs- und Drehmomentdichte. ZF-Chef Holger Klein spricht von einer „Weltpremiere“.
„Wir sehen derzeit keinen Wettbewerber, der diese Technologie so kompakt beherrscht wie ZF“, sagt Klein. Im Vergleich zu gängigen FSM-Systemen können durch den induktiven Erreger die Verluste bei der Energieübertragung in den Rotor um 15 Prozent reduziert werden.
„Wir sehen derzeit keinen Wettbewerber, der diese Technologie so kompakt beherrscht wie ZF.“
Außerdem kann der CO2-Footprint um bis zu 50 Prozent gesenkt werden. Und niemand anders verbaut die Induktionstechnik in den Rotor. Das spart am Ende neun Zentimeter axialen Bauraum. Klingt wenig, ist aber im Automobilbau viel und schafft Platz.
Das Ziel ist klar: Bislang verbaut die Autoindustrie vorrangig Synchronmaschinen, bei denen ein Permanentmagnet für die „Erregung“ sorgt (PSM). Das Wesentliche an dem technischen Begriff: Die PSM-Motoren basieren auf Magneten, zu deren Herstellung seltene Erden notwendig sind.
Der neue ZF-Motor würde die Autobauer unabhängig von diesem Rohstoff und damit unabhängiger von China machen. Ein Argument, das in Zukunft noch sehr wichtig werden kann. Im Vergleich zu PSM treten keine Schleppverluste durch Permanentmagnete auf. Dies ermöglicht etwa bei langen Autobahnfahrten mit hoher Drehzahl einen besseren Wirkungsgrad.
>> Lesen Sie auch: Webasto-Chef „Chinesen mögen es bunter als Europäer“
Allerdings hat auch der kleinere Konkurrent Mahle schon vor Monaten einen Motor ohne Magnete und damit seltene Erden angekündigt und in München erneut vorgestellt. Mahle-Chef Arnd Franz spricht von einem verschleißfreien, „perfekten Motor“, der im Baukastenprinzip der jeweiligen Fahrzeugklasse angepasst werden kann.
Sparsamer Motor erlaubt kleinere Batterien
Effizienzsteigerung im Antriebsstrang ist derzeit die harte Währung bei den großen Autozulieferern. Denn je weniger Energie ein Motor braucht und je effizienter die Batterie mit Chips, gerne aus Siliziumkarbid, gesteuert wird, desto größer ist die Reichweite eines Elektrofahrzeugs. Oder alternativ: Für die gleiche Reichweite kann eine kleinere Batterie eingebaut werden. Das senkt die Kosten, denn Batterien sind die teuerste Komponente im Elektroauto.
Die deutschen Autozulieferer haben das wichtige Feld Batteriezellen den Asiaten und Amerikanern überlassen. Mit effizienteren Motoren versuchen die Zulieferer jetzt ihre Bedeutung am Markt wieder zu steigern.
>> Lesen Sie auch: Bosch gibt bei zentraler Technologie für autonomes Fahren auf
Etwas reservierter beim Thema seltene Erden zeigt sich Bosch. „Wenn die Kunden Motoren ohne seltene Erden bei uns nachfragen, werden wir sie auch entwickeln und liefern können“, sagt der Chef der Mobility-Sparte Markus Heyn. Aber das scheint bislang nicht der Fall. Vielmehr habe sich die Produktion konventioneller E-Motoren bei Bosch in diesem Jahr verdoppelt.
Heyn lässt durchblicken, dass derzeit bei den Kunden niedrige Kosten für die Motoren statt der Technologie im Vordergrund stehen. „Wir brauchen unter dem Strich Bezahlbarkeit bei der Elektromobilität“, sagt der Manager. Absolute Zahlen nennt er ebenso wenig wie ZF und Mahle. Keiner will sich so ganz in die Karten schauen lassen.
Eine andere Ausweichstrategie, um bei seltenen Erden die Abhängigkeit von China zu reduzieren, hat Schaeffler gewählt. Das Unternehmen hat sich für seine Motoren Lieferverträge für seltene Erden mit dem norwegischen Hersteller Reetec gesichert. In den Aus- und Aufbau der Fertigungskapazitäten für Elektromotoren investiert Schaeffler bis zum Jahr 2026 mehr als 500 Millionen Euro.
Zudem entwickelt der Zulieferer magnetfreie Elektromotoren. „Allein in diesem Jahr laufen in unseren Werken insgesamt sieben E-Motor-Projekte für unsere Kunden an“, sagt Matthias Zink, Schaefflers Automotive-Vorstand der Sparte Automotive Technologies.
Mercedes kündigt Ein-Liter-Auto der Elektromobilität an
Allerdings sind die Autozulieferer mit der Produktion von Elektromotoren auf das originäre Terrain ihrer Kunden aus der Autoindustrie vorgedrungen. Ziel ist es, mit dem Motor auch bei weiteren Komponenten des Antriebsstrangs zum Zuge zu kommen. „Es ist ja ein Unterschied, ob ich nur ein Teil für 25 Euro, 200 Euro oder das gesamte System für 600 Euro liefere“, sagte ein Entwickler am Stand eines großen Zulieferers in München, als er die neue Technik erklärt.
Viele Hersteller wie Mercedes schieben den Ambitionen der Zulieferer einen Riegel vor. Zwar wird der Motor allein beim Elektroauto nie mehr das Image einer Marke so tragen wie früher. Aber Mercedes hat nicht mehr und nicht weniger als das Ein-Liter-Auto der Elektromobilität angekündigt.
Den dafür nötigen Antriebsstrang der nächsten Generation mit einer Reichweite von mehr als 750 Kilometern und einem Verbrauch von rund 12 kWh/100 km will das Unternehmen selbst bauen und dabei die Verwendung seltener Erden um 90 Prozent reduzieren.
Für das SUV liefert ZF noch den kompletten Antriebsstrang. Bei künftigen Modellen will Mercedes diese zentrale Komponente weitgehend selbst beisteuern.
(Foto: Bloomberg)
Auch wollen Mercedes und andere Hersteller die Motorenproduktion mit Blick auf die Beschäftigung nicht aus den Händen geben. Tausende von Jobs stehen bei den Autobauern auf der Kippe, weil im Vergleich zu einem Dieselaggregat für einen Elektromotor nur ein Zehntel der Arbeitsstunden gebraucht wird.
Um drohenden Stellenabbau im eigenen Haus abzufedern, wollen viele Autobauer wenigstens die Elektromotoren im Verbund mit dem gesamten Antriebsstrang selbst bauen, auch wenn die Aggregate der Autozulieferer wegen hoher Stückzahlen kostengünstiger sind oder – wie der Versuch von ZF und Mahle zeigt – technische Vorteile auch beim Thema Nachhaltigkeit bringen. In der Tat haben weder Mahle noch ZF trotz demonstrativen Optimismus auf der IAA keinen Erstkunden für ihre Motoren nennen können. Es gebe aber großes Interesse, sagen die Chefs beider Firmen.
Am Ende wird wohl der Preis entscheiden. Bosch, ZF und Mahle planen ihre Motoren in kostengünstigen Standorten in osteuropäischen Ländern, mit Kostenstrukturen, die für Mercedes in den Motorenwerken im heimischen Neckartal nicht erreichbar sind.