San Francisco, Düsseldorf 50 Millisekunden – darum kreist das Kernversprechen von Cloudflare. 95 Prozent aller Nutzer des Netzwerkdiensts des US-Unternehmens müssen nur einen Sekundenbruchteil warten, bis der Inhalt ihrer Website geladen hat. Geschwindigkeiten bis zu 100 Millisekunden empfindet das menschliche Gehirn als „sofort“.
Cloudflare betreibt für Kunden wie L’Oréal, IBM oder Zalando eine Art Schatten-Internet, ein „Content Delivery Network“ (CDN). Es ist ein eigenes globales Netzwerk aus Servern, die zusammenarbeiten, um Internetinhalte schnell bereitzustellen. Cloudflare besitzt Datenzentren in fast 300 Städten, von Atlanta über Frankfurt bis nach Osaka. Die Firma geht davon aus, dass sie über ihr Netzwerk rund 20 Prozent des internationalen Datentransfers abwickelt. „Cloudflare hat eines der größten Netzwerke der Welt aufgebaut“, sagte Matthew Prince, CEO des Unternehmens.
Hightech-Firmen wie Cloudflare oder Fastly sind zu den unsichtbaren Architekten des World Wide Web aufgestiegen. Sie geben jedes Jahr Hunderte Millionen Dollar aus, um unsere Ungeduld zu bekämpfen. Und das Geschäft damit boomt. Nach Prognose von Marktforscher Predence Research wächst der CDN-Markt in zehn Jahren von derzeit 19,7 Milliarden Dollar auf 105,6 Milliarden Dollar.
Die Zeit der AOL-Telefonmodems mit langen Einwahlprozessen und minutenlangen Ladezeiten sind längst vorüber, die Menschen haben heute eine ganz andere Erwartungen an „online“. Leistungsstärkere Smartphones, schnellere Netzwerke wie der 5G-Mobilfunk machen den Aufruf von Internetinhalten in Echtzeit möglich – wenn die Server der Anbieter denn schnell genug antworten.
„Die Menschen gewöhnen sich an immer schnellere Verbindungen und akzeptieren keine langen Ladezeiten – jede Millisekunde wirkt sich aus“, sagt Jon Cherki, Chef des französischen Start-ups Contentsquare.
Der Franzose mit Büro in New York weiß, wovon er spricht. Seine Firma untersuchte vor wenigen Wochen 35 Milliarden Besuche auf knapp 3000 Websites in 26 Ländern. Danach zeigten 36 Prozent aller Nutzer Frustrationen: Sie klicken mehrfach auf Felder oder Buttons, um den Vorgang vermeintlich zu beschleunigen. Wird ein Element innerhalb von zwei Sekunden mindestens dreimal angeklickt, spricht man von Wutklicks.
Ein weiteres Resultat der Studie: Die Menschen springen ab, wenn sie zu lange warten müssen. „Geschwindigkeit bestimmt über Umsatz und Kundenloyalität“, sagt Cherki. „Wenn man das nicht richtig macht, nutzt auch alles andere nichts.“
Inhalte werden im Cache gelagert
Unternehmen wie Fastly und Cloudflare bieten mit CDNs einen Service an, den viele Nutzer erst bemerken, wenn er nicht mehr da ist. Im Juni 2021 setzte laut Fastly „ein unentdeckter Softwarefehler“ die Websites von Amazon, der „New York Times“ oder der englischen Regierung außer Gefecht. Auch Cloudflare legte mit Ausfällen 2020 und 2022 weite Teile des Internets lahm.
Das internationale Cloud-Geschäft wird im Grunde von drei Tech-Giganten dominiert: Amazon, Google und Microsoft geben Milliarden für schnelle und zuverlässige Infrastruktur aus. Doch abseits dieser Konzerne hat sich eine Klasse von Spezialfirmen etabliert, die in nichts besser sind, als die Geschwindigkeit von Internetzugriffen zu erhöhen.
Der wichtigste Vordenker in diesem Bereich ist Matthew Prince. Sein Cloudflare aus San Francisco versucht, Amazon, Google und Microsoft in ihrem eigenen Markt zu schlagen. Anders als die großen Tech-Giganten setzt er dabei jedoch nicht auf die Größe von Rechen- und Speicherkapazitäten. Für ihn zählt die buchstäbliche Nähe zu den Endkunden. Denn je näher ein Server an einem der Nutzer ist, desto schneller erfolgt der Zugriff.
Ein Beispiel: Ein Website-Betreiber aus Deutschland will seine Dienste global schnell erreichbar machen. Er bucht dafür Cloudflare. Das Team um Prince fungiert dann als digitaler Puffer für die Dienste des Kunden aus Deutschland. Häufig benötigte Daten speichert Cloudflare in vielen seiner Rechenzentren.
Will dann ein Kunde aus Brasilien etwa die Startseite der deutschen Firma aufrufen, kann Cloudflare die Daten direkt aus seinem lokalen Zwischenspeicher in Brasilien bereitstellen. Das kann mehrere Sekunden Zugriffszeit sparen. Das klingt nach nicht viel. Im Zeitalter digitaler Hochleistungsnetze kann eine Sekunde über Erfolg und Scheitern eines Digitalkonzerns entscheiden.
Die Daten schneller an den Nutzer zu bringen ist ein naheliegender Schritt. Aber oft verlangsamt die Website selbst die Ladezeit, weil sie sich in der falschen Reihenfolge aufbaut oder andere Fehler begeht.
Bis zu 2,5 Sekunden gilt bei Google als gut
Robin Allport hat vier Smartphones auf seinem Schreibtisch liegen. Dort schaut der Chef der Website-Performance bei Contentsquare, wie schnell Websites in den verschiedenen Umgebungen laden. Er überprüft die Arbeit der Entwickler, die für alles Codes schreiben müssen: von der Browseranfrage bis zum Zeitpunkt, wenn die Website auf dem Bildschirm erscheint. „Dabei zeigt sich, wie gut Programmierer ihre Arbeit gemacht haben“, sagt Allport. „Früher haben Entwickler beim Codieren mehr an sich gedacht, was ihnen wichtig ist. Heute müssen sie an den Kunden denken.“
Und Google sorgt dafür, dass die Kunden nicht vergessen werden. Vor zwei Jahren führte der Internetkonzern die „Core Web Vitals“ ein, die Nutzerfreundlichkeit einer Website wurde zum Rankingfaktor für die Suche. Je schneller und angenehmer die Website lädt, desto höher wird sie bei einer Anfrage platziert.
Betreiber von CDN-Netzwerken sind unsichtbar – nur wenn es zum Ausfall kommt, wie 2021 beim Anbieter Fastly, bemerkt man ihre Wichtigkeit.
(Foto: imago images/Ritzau Scanpix)
Google entwickelte verschiedene Metriken, mit denen das gemessen wird. Ein Meilenstein ist „Largest Contentful Paint“ (LCP): Es misst die Zeit, die es braucht, vom Klicken auf den Link bis zum Erscheinen des größten Teils des Inhalts auf einer Website.
Die Geschwindigkeit war auch früher ein Faktor, neu bei dieser Messung ist: Sie ist aus Sicht der Nutzer. Als Beispiel für die Bedeutung der Geschwindigkeit nannte Google eine Analyse der Renault-Gruppe. Die untersuchte zehn Millionen Webbesuche in 33 Ländern zwischen Dezember 2020 und März 2021. Danach fällt die Absprungrate um 14 Prozentpunkte und steigt die Konversionsrate um 13 Prozent, wenn sich der LCP-Wert um eine Sekunde verbessert.
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Insgesamt gibt Google die Vorgabe: Ein LCP-Wert von weniger als 2,5 Sekunden gilt als gut. Bei bis zu vier Sekunden lautet das Urteil „braucht Verbesserung“ und darüber ist „miserabel“ – diese Websites rutschen entsprechend tiefer in der Liste der Suchergebnisse.
Google stellt die Geschwindigkeit und Nutzererfahrungen auch bei anderen Metriken in den Mittelpunkt. Mit dem „First Input Delay“ (FID) wird die Zeit gemessen, bis der Nutzer eine Interaktion auf der Website beginnen kann. Daher der Name: „Eingabezeitverzögerung“. Google vergibt einen guten FID-Wert, wenn Nutzer innerhalb von 100 Millisekunden loslegen können.
Statt große Datenzentren bauen Anbieter wie Cloudflare oder Fastly mit Servern sogenannte „Content Delivery Networks“, die überall in der Welt Inhalte von Kunden schnell bereitstellen.
Andere Metriken messen die Layoutstabilität einer Website: Wie sehr verändern sichtbare Elemente ihre Position oder verschieben sich andere Elemente? In der Google-Sprache nennt sich das „Cumulative Layout Shift“ (CLS). „Das Layout darf sich beim Laden nicht bewegen“, sagt Allport von Contentsquare. „Wichtig ist die Priorisierung visueller Inhalte, die Menschen schauen erst und lesen später.“
Einige grundlegende Dinge sind naheliegend, um die Website zu beschleunigen. Je einfacher und schlichter die Designelemente wie Layout, Typografie oder Farben sind, desto schneller geht es. Die große weiße Fläche um die Google-Suchleiste etwa dient auch diesem Zweck.
Tricks wie das „faule Laden“
Bilder sind datenschwer und brauchen länger, allerdings binden sie Besucher eher an die Website. Die Balance zu finden ist wichtig. Das gilt auch für Plug-ins, wie für Suchmaschinenoptimierungen oder Onlinemarketing – sie verlangsamen die Geschwindigkeit.
Die Website sollte auf „Lazy Load“ ausgerichtet sein: Inhalte werden erst geladen, wenn der Nutzer auf sie scrollt. Das „faule Laden“ bewirkt eher das Gegenteil: Es macht die Seite dynamisch und spart Ladezeit beim Erstkontakt.
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„Es gilt die Regel: Die interessantesten Inhalte sollten zuerst erscheinen“, sagt Cherki, Chef von Contentsquare. Die Besucher sollten Dinge zum Ausprobieren sehen, die Suchleiste beispielsweise sofort erscheinen. „Man muss sie beschäftigen, alles muss schnell und präzise auffindbar sein.“ Maßstab aller Dinge ist laut Allport Amazon, die würden ihre Website „brillant“ aufbauen.
Das Problem für kleinere Unternehmen, die gar nicht im Wettbewerb mit Amazon oder Google stehen müssen, ist laut Charki: „Die Menschen schätzen deren Performance und jedes Jahr gehen die Erwartungen ein wenig nach oben.“
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