München Carsten Warnecke und seine Kollegen vom gemeinnützigen NewClimate Institut Klimastrategien wollten „ambitioniert auftretende Unternehmen“ darstellen, um zum Nachahmen anzuregen. Doch was die Klimaexperten bei ihrer Analyse fanden, sei „erschreckend“ gewesen.
Gemeinsam mit der Non-Revenue-Organisation Carbon Market Watch haben sie die Klimazusagen von 25 der weltweit größten Unternehmen untersucht. Das Ergebnis des „Corporate Climate Responsibility Monitor“, der am Montag erschienen ist: Anders als Begriffe wie „Netto-Null“ oder „Klimaneutralität“ suggerieren, führen die Klimaversprechen der Konzerne nicht zu einer vollständigen Reduktion der Emissionen. Durchschnittlich erreichen die Maßnahmen der Unternehmen, deren Gesamttreibhausgas-Abdruck etwa fünf Prozent aller globalen Emissionen ausmacht, eine Verringerung von 40 Prozent.
Auch die erreichen sie nur, weil 13 der untersuchten Unternehmen ihre Netto-Null-Zusagen, wenngleich nicht ausreichend, so doch mit „konkreten Verpflichtungen zur Emissionsreduktion“ untermauerten. Nicht so die übrigen zwölf, darunter Google, BMW oder Amazon, die laut Studie keine Angaben machen, wie viel und an welchen Stellen sie für ihre Ziele Treibhausgasemissionen verringern wollen.
So verspricht Amazon im Rahmen der Klimainitiative „Local weather Pledge“ bis 2040 „kohlenstoffneutral“ zu sein. Aber es sei unklar, ob damit Kohlendioxidemissionen gemeint seien oder alle Treibhausgase. Auch gehe aus Amazons Angaben nicht hervor, ob es sein Ziel durch eigene Emissionsminderungen erreichen wolle – oder durch CO2-Kompensation.
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Damit ist die umstrittene Praxis vieler Unternehmen gemeint, ihr emittiertes CO2 andernorts auszugleichen. Dabei kaufen sie oft zu Schleuderpreisen CO2-Zertifikate wie aus Waldschutzprojekten, die bereits emittierte Klimagifte wieder aus der Atmosphäre holen sollen. Dabei gibt es nicht ausreichend Wälder, um so viel CO2 neutralisieren zu können. Kommt es zu Waldbränden, wird wiederum viel Kohlendioxid ausgestoßen. Weil die Billigzertifikate dem eigenen Emissionsabbau entgegenwirken könnten, halten viele Wissenschaftler den Ansatz für kontraproduktiv.
Amazon sagt dazu, man setze „derzeit nicht auf Kompensation“ und „bislang“ habe man darauf auch keine Netto-Null-Behauptung begründet. Auf einer öffentlich zugänglichen Amazon-Webseite heißt es hingegen, das Unternehmen wolle seine Klimaziele auch durch „Kohlenstoff-Neutralisierung“ und den Kauf von „Kohlenstoffgutschriften“ erreichen. Genau das ist CO2-Kompensation.
Klimaneutral in ausgewählten Bereichen
Insgesamt bescheinigt der Bericht den Klimazusagen von Amazon, der Deutschen Telekom, Enel, Glaxo-Smithkline, Google, Hitachi, Ikea, Vale, Volkswagen und Walmart eine „geringe Integrität“. Noch schlechter weg kommen Unternehmen wie Accenture, BMW Group, Carrefour, CVS Well being, Deutsche Post DHL, Eon SE, JBS, Nestlé, Novartis, Saint-Gobain und Unilever. Deren Klimaziele hätten nur eine „sehr geringe Integrität“. Keines der Klimaversprechen erreicht „ein hohes Maß an Integrität“. Die dänische Reederei Maersk schneidet mit „angemessener Integrität“ am besten ab, gefolgt von Apple, Sony und Vodafone mit „mäßiger Integrität“.
Die Glaubwürdigkeit der Zusagen krankt laut Warnecke nicht nur daran, dass bei vielen der Unternehmen konkrete Reduktionsverpflichtungen fehlten. Andere Firmen versteckten Kritisches in Fußnoten oder verwendeten als Berechnungsgrundlage Jahre mit „nicht nachvollziehbar erhöhten Emissionen“.
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Dazu würden laut Warnecke unerwünschte Emissionsquellen oder ganze Marktsegmente einfach ausgeklammert, etwa beim Energiekonzern Eon oder dem Einzelhändler Carrefour, der Standorte wegließ. Auch Googles Behauptung, seit 2007 klimaneutral zu sein, beziehe sich nur auf vom Tech-Konzern „ausgewählte Emissionsbereiche“. Schließlich ignorierten acht Unternehmen „vor- oder nachgelagerte Emissionen“ (Scope-3) in ihrer Wertschöpfungskette, obwohl diese mehr als 90 Prozent der von ihnen kontrollierten Emissionen ausmachen.
Solche Emissionen entstehen vor oder nach der Produktion, etwa durch Nutzung von Verbrennerfahrzeugen. Bei der BMW Group machten die nachgelagerten Emissionen im Jahr 2020 ganze 70 Prozent der Gesamtemissionen aus. Mit dem Ziel, die Emissionen „in der Nutzungsphase professional Fahrzeug und Kilometer“ um die Hälfte zu senken, fahre BMW aber „an einem am 1,5-Grad-Ziel ausgerichteten Dekarbonisierungspfad“ im Verkehrssektor vorbei.
Es gibt auch Positives
Bis 2030 müssten 75 bis 95 Prozent aller weltweit verkauften leichten Nutzfahrzeuge emissionsfrei betrieben werden. In den Hauptmärkten wie der EU und China liege der Anteil sogar bei 95 bis 100 Prozent. Doch BMW habe genau wie Volkswagen einer Initiative zu vollelektrischen Fahrzeugen bis 2035 die Zustimmung verweigert.
„Bei der Marke BMW ist es aus unserer Sicht derzeit nicht zielführend, eine vollständige Umstellung auf vollelektrische Fahrzeuge auf ein bestimmtes Jahr zu terminieren“, heißt es dazu vom Autobauer. Mit den „Science Primarily based Targets der gleichnamigen Initiative (SBTI)“ habe man „Ziele entwickelt“, die auch den Anforderungen aus dem Pariser Klimaabkommen entsprächen, man könne die Aussagen der Studie zur BMW Group daher „nicht nachvollziehen“.
Auch an Standardisierungsinitiativen wie der SBTi und dem Carbon Disclosure Mission (CDP) übt die Studie Kritik, da sie „einigen Unternehmen mehr Glaubwürdigkeit verleihen“, als sie verdienten, so Hauptautor Thomas Day vom NewClimate Institute. Dass der Report, der öffentlich verfügbare Informationen der Unternehmen analysiert hat, so kritisch ausfällt, begründet Warnecke damit, dass man extrem viel Zeit investiert und sehr genau hinter Begriffe wie Netto geblickt habe.
Dabei nennt der Bericht auch Positives. Etwa Googles Bestreben, „hochwertige erneuerbarer Energien in Echtzeit“ zu beschaffen. Maersk und die Deutsche Post investierten in „hohem Maße“ in Dekarbonisierungs-Technologien für Transport und Logistik. Am Ende bleibe neben Hoffnung auf Besserung, aber „Ernüchterung über die mangelnde Qualität der Ziele und Pläne der Unternehmen, die Methods, mit denen sie sich besser darstellen, als sie sind, und der Aufwand, der erforderlich ist, um dies zu enthüllen“, so Warnecke.
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