Sie wird künftig das Tagesgeschäft bei Twitter leiten.
(Foto: imago/Future Image)
Linda Yaccarino? Google-Suchanfragen nach dem Namen schlugen am Freitag aus, nachdem bekannt geworden war, dass die 60-Jährige Elon Musks Nachfolgerin an der Spitze von Twitter werden würde. «Ich freue mich darauf, die Plattform gemeinsam mit Linda in X, die Alles-App, zu verwandeln», schrieb Musk. Yaccarino soll das Tagesgeschäft leiten, Musk selbst will Executive Chairman, also Verwaltungsratsvorsitzender, und Cheftechnologe bleiben.
Doch wer in den vergangenen Wochen aufgepasst hat, den dürfte Musks Entscheid nicht wirklich überrascht haben. Jüngste hatte das Duo sich schon einmal der Welt präsentiert und dabei offensichtlich harmoniert: Yaccarino hatte den Twitter-CEO bei einer hochkarätigen Marketing-Konferenz ihres bisherigen Arbeitgebers in Miami interviewt – oder besser gesagt, charmant grilliert.
Sie lobte Musk für seine Arbeitseinstellung als Workaholic – «die meiner eigenen gar nicht unähnlich ist», wie sie geschickt erwähnte – und kritisierte ihn gleichzeitig unterschwellig für seinen bisherigen Umgang mit Twitters Werbekunden. Ausserdem – gälten die neuen Richtlinien für die Wahrhaftigkeit von Tweets eigentlich auch für Musk? Und wie passe seine Arbeit bei Twitter zum selbsterklärten Ziel, das Wohl der Menschheit voranzutreiben?
Wer das Interview gesehen hat, der dürfte Hoffnung haben, dass Yaccarino tatsächlich das schier Unmögliche gelingen könnte – ein erratisches, cholerisches Genie wie den Eigentümer Musk bei Laune und im Zaum zu halten und zudem noch Twitters Werbegeschäft wiederzubeleben.
Jahrzehntelange Erfahrung im Werbemarkt
Innerhalb der amerikanischen Werbebranche ist Yaccarino schon lange ein bekannter Name. Die 60-Jährige hat eine steile Karriere hingelegt: Nach einem Studium der Telekommunikation an der Pennsylvania State University machte sie ein Praktikum beim Unterhaltungskonzern NBC Universal (NBCU) und entdeckte dort ihre „Liebe zu den Medien“, wie sie einmal in einem Interview sagte.
Danach kehrte sie NBCU den Rücken und arbeitete zwanzig Jahre beim Medienunternehmen Turner im Bereich Marketing und Firmenübernahmen, bevor sie 2011 zu NBCU zurückkehrte.
Dort verantwortete sie ein Team mit mehr als 2000 Angestellten und leitete den globalen Werbemarkt sowie Firmenpartnerschaften. Wie das „Wall Street Journal“ berichtet, lautete ihr Spitzname im Konzern Samthammer („velvet hammer“), weil sie knallharte Verkaufstaktiken in Freundlichkeiten verpackte. Bei NBCU setzte sie sich dafür ein, dass man nicht mehr nur klassische Fernsehwerbung von 30 Sekunden Länge anbot, sondern auch Partnerschaften mit digitalen Plattformen wie Apple und Buzzfeed einging.
Zudem baute sie die 2020 lancierte Streaming-Plattform Peacock auf, die Inhalte des Unterhaltungsriesen zweitverwertet. Allerdings ist der Marktanteil der Plattform im heftig umkämpften Streaming-Markt gering, 22 Millionen Menschen haben ihn abonniert. Zudem schaffte sie für Peacock ein Werbeangebot speziell für kleine und mittelständische Unternehmen.
Insgesamt erwirtschaftete die Managerin bei NBCU einen Werbeumsatz von 100 Milliarden Dollar, wie der Konzern mitteilte. Das Wirtschaftsmagazin „Business Insider“ bezeichnete die New Yorkerin 2019 als eine der „Top 10, die den Werbemarkt transformieren“ – unter anderem, weil es ihr gelungen sei, zuvor in Silos arbeitende Teams zusammenzuführen.
Offenbar war Yaccarino schon länger auf der Suche nach einer Anstellung als CEO. Wie das “Wall Street Journal„ schreibt, war sie frustriert darüber, dass man ihr innerhalb des Unterhaltungskonzerns nicht noch mehr Verantwortung übertrug, und hatte schon mit Kündigung gedroht.
Engagement für das World Economic Forum
Yaccarino ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Neben ihrer Arbeit bei NBCU engagiert sie sich seit vier Jahren für das World Economic Forum: Dort sitzt sie der Arbeitsgruppe für die „Zukunft der Arbeit“ vor und in einem Ausschuss für Medien, Unterhaltung und Kultur, wie sie auf ihrem Linkedin-Profil schreibt.
Die Managerin demonstrierte in den vergangenen Jahren auch, dass sie es versteht, mit beiden politischen Parteien im Land zu kooperieren: Unter Präsident Donald Trump engagierte sie sich von 2018 bis 2020 in einem Beirat für Fitness und Ernährung. Der Regierung von Joe Biden half sie, pfiffige Werbekampagnen mit Papst Franziskus für die Coronavirus-Impfung zu kreieren.
Diese Fähigkeit dürfte ihr auch in ihrer neuen Rolle als Twitter-CEO nützen – bekanntlich stolpern die sozialen Netzwerke in den USA regelmässig in die Grabenkämpfe der beiden Parteien. Insbesondere mit Blick auf den Präsidentenwahlkampf 2024 dürfte diese Eigenschaft ihr – und Twitter – hilfreich sein.
Dieser Artikel ist zuerst bei der NZZ erschienen.
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