München Die Produktion ist in der deutschen Industrie vielerorts schon stark automatisiert. Doch in den Lagern und bei der Intralogistik innerhalb der Werke gebe es noch Nachholbedarf, sagt Andreas Funkenhauser, Mitgründer des Start-ups Nimmsta: „Da laufen viele immer noch mit Stift und Zettel durchs Lager.“
Nimmsta hat eine Art Smartwatch für Lagerarbeiter entwickelt, die sie auf dem Handrücken tragen. Mit dieser können sie nicht nur Barcodes scannen, das Gerät zeigt dem Träger auch an, was er als Nächstes machen soll und von wo er dafür wie viele Teile holen muss. Laut Nimmsta könnten Unternehmen ihre Lagerlogistik mit diesem „High-Performance-Picking“ um bis zu 50 Prozent beschleunigen und die Fehlerquote deutlich senken.
Wearables, also digitale Hilfsgeräte, die Angestellte am Körper tragen, sollen gegen den Fachkräftemangel helfen, indem sie auch Ungelernte sicher durch die Hallen führen und die Prozesse beschleunigen. In ihrem aktuellen Industrie-Report zählen der Logistik-Branchenverband MHI und die Unternehmensberatung Deloitte Wearables zu den Schlüsseltechnologien in der Logistik in den nächsten Jahren. 80 Prozent der Unternehmen gaben in der Studie an, sie in den nächsten fünf Jahren nutzen zu wollen.
Wearables: Pionier Pro Glove hat weltweit 2000 Industriekunden
Ein Pionier unter den Anbietern von Wearables ist Pro Glove. Das Unternehmen ist vor knapp zehn Jahren aus einem „Make it wearable“-Wettbewerb des Chipherstellers Intel hervorgegangen und wurde 2022 von Nordic Capital übernommen.
Pro Glove vertreibt Scanner, die unter anderem als Handschuh getragen werden können, und hat heute mehr als 2000 Industriekunden weltweit. Der Umsatz dürfte laut Branchenschätzungen im hohen zweistelligen Millionenbereich liegen.
Das Münchener Unternehmen hat inzwischen mehr als 2000 Industriekunden.
(Foto: obs)
Die tragbaren Barcode-Scanner seien nicht nur eine Erleichterung für die Mitarbeiter, sagt Pro-Glove-CEO Stefan Lampa. Die mit ihrer Hilfe gewonnenen Daten ließen sich mit geeigneter Software auch analysieren, um die Prozesse weiter zu optimieren. Dabei will Pro Glove „plattformübergreifende Lösungen bereitstellen“ und „Künstliche Intelligenz nutzen“ und investiere daher in diese Bereiche, sagt Stefan Lampa.
Nimmsta bietet Geräte und Software im Abo an
Konkurrent Nimmsta hat bisher 1500 Geräte verkauft, zu den ersten Kunden gehörten Mercedes und Rewe. Die knapp fünf Millionen Euro aus einer mehrschrittigen Finanzierungsrunde will Nimmsta in die Umstellung des eigenen Vertriebsmodells investieren: Beim „Workflow-as-a-Service“ sollen die Kunden anstelle eines Kaufs eine monatliche Nutzungsgebühr für Gerät und Software zahlen.
Die Nimmsta-Gründer leiteten den Namen ihres Unternehmens von der Aufforderung „Nimmst es dir“ aus dem bayerischen Dialekt ab.
(Foto: Nimmsta)
Die Nimmsta-Gründer und Co-CEOs Andreas Funkenhauser und Florian Fuhland hatten ursprünglich ein Ingenieurbüro gegründet, in dem eines Tages die Idee für die Logistik-Smartwatch entstand: Ein Kunde, der noch mit klassischen Scannerpistolen arbeitete, suchte eine effizientere Lösung für sein Lager. Der heutige Konkurrent Pro Glove hatte damals Handrückenscanner im Angebot. Funkenhauser sagt: „Das war ein Fortschritt, weil die Arbeiter die Pistolen nicht mehr mit sich rumtragen mussten.“
Fünf Minuten Einweisung sollen reichen
Doch damit die Lagerarbeiter mit dem System auch kommunizieren können, habe Nimmsta die Smartwatch mit Touchdisplay entwickelt. Das Gerät könne an klassische Lagerverwaltungssysteme angebunden werden. Mitgründer Florian Ruhland sagt: „Nach fünf Minuten Einweisung kann jeder damit umgehen, der zum Beispiel Teile für ein Versandpaket bei einem Onlinehändler aus den Regalen zusammentragen soll.“
Künftig bietet Nimmsta auch sogenannte Lighttags an. Die Kunden befestigen diese an den Regalen oder Schubladen, sie leuchten auf und zeigen dem Angestellten so den Weg zum nächsten Teil – ähnlich zu klassischen „Pick-by-Light“-Systemen.
Die vernetzten Leuchten zeigen den Lagerangestellten auch abseits ihres Displays, in welcher Schublade sie die benötigten Teile finden.
(Foto: Nimmsta)
Die Lösungen von Nimmsta könnten die Lagerarbeit tatsächlich effizienter machen, sagt ein Branchenkenner. Wegen des Touchdisplays sei der Akku des Scanners aber schneller erschöpft als bei Konkurrenzprodukten, die auch mehrere Schichten durchhielten. Nimmsta müsse zudem in größeren Finanzierungsrunden weitere Investoren überzeugen, um den Vertrieb ausbauen und größere Stückzahlen liefern zu können, wie Konkurrent Pro Glove das bereits tut.
Apple und Samsung machen Nimmsta Konkurrenz
Zu den Wettbewerbern bei den Logistik-Wearables gehört auch Feig mit dem auf dem Handrücken zu tragenden Barcode-Scanner Hyware. Feig will mit dem Gerät nach eigener Aussage nicht nur die Effizienz erhöhen: „Ein Scanner, der immer wieder aufgenommen und abgelegt werden muss, ist ineffizient und gefährdet die Arbeitssicherheit.“ Mithilfe des Scanners könnten zudem alle Teile und Komponenten bis zum Einbau im finalen Produkt nachverfolgt werden.
Hinzu kommt neue Konkurrenz aus dem Smartwatch-Bereich: Anbieter wie Apple und Samsung drängen in die professionellen Nischen, sie bieten bereits Lösungen für die Gepäckabfertigung an Flughäfen an. Pro Glove zeigte kürzlich auf der Logistikmesse Logimat das Zusammenspiel seiner Handschuhscanner mit dem Betriebssystem watchOS der Apple Watch. Über die Uhr kann der Mitarbeiter weitere Anweisungen empfangen. Mercedes kombiniert zudem in einem Teilelager einen Scanner mit Smart Glasses, also einer Brille mit eingebautem Bildschirm, auf dem die Informationen angezeigt werden.
Smart-Wearables sollen den Fachkräftemangel lindern
Bislang war das Hauptmotiv für den Einsatz von Wearables die Verbesserung der Produktivität. Doch inzwischen sollen sie zunehmend auch den Fachkräftemangel ausgleichen. Im vergangenen Jahr stieg die Fachkräftelücke laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) auf den Rekordwert von 630.000 offenen Stellen an, für die es rechnerisch bundesweit keine passend qualifizierten Arbeitssuchenden gab.
Einen Arbeitskräftemangel gibt es laut IW jedoch aktuell nicht. Es gebe genug potenzielle Angestellte, doch fehlten ihnen die notwendigen Qualifikationen. Hier wollen Nimmsta und die Konkurrenten ansetzen und mit ihren Geräten die Qualifikationsbarrieren senken. Die Nimmsta-Smartwatches kosten derzeit knapp 1000 Euro. Künftig sollen sie samt Software für 50 bis 100 Euro im Monat vermietet werden. Mitgründer Ruhland sagt, die Zusatzkosten könnten die Unternehmen „binnen Wochen“ wieder reinholen.
Im laufenden Jahr will Nimmsta einen siebenstelligen Umsatz machen, schon 2026 könnten es laut Businessplan mehrere Hundert Millionen Euro sein, wenn sich die Technologie durchsetzt. „Wir können ein Unicorn werden“, ist Funkenhauser überzeugt, also ein Start-up mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Euro.
Die nächste Finanzierungsrunde soll Mitte 2024 fünf bis zehn Millionen Euro einbringen. Danach sind die Gründer nach eigener Aussage dann auch offen für eine Übernahme durch einen strategischen Investor wie Honeywell oder den Handscanner-Spezialisten Zebra.
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