Düsseldorf Bayer senkt seinen Ausblick für das Jahr 2023: Wegen der „massiv zurückgegangenen Umsätze mit glyphosatbasierten Produkten“ geht der Leverkusener Pharma- und Chemiekonzern jetzt nur noch von einem Umsatz zwischen 48,5 und 49,5 Milliarden Euro aus. Bisher lag die Erwartung bei 51 bis 52 Milliarden Euro.
Das Ergebnis werde zwischen 11,3 und 11,8 Milliarden liegen, der freie Cashflow bei null Euro – gerechnet hatte der Dax-Konzern hier mit drei Milliarden Euro. Bayer kommunizierte die verschlechterte Prognose am Dienstag gut zwei Wochen vor der Veröffentlichung der Halbjahreszahlen.
Es ist die erste große Herausforderung für Bayer-CEO Bill Anderson, der erst zum 1. Juni die Nachfolge von Werner Baumann angetreten hat. Andersons Mission: die wiederkehrenden Geschäftsbelastungen durch Glyphosat ausbessern – irgendwie.
Das Mittel, das das Leverkusener Pharma- und Chemieunternehmen für mehr als 60 Milliarden Dollar mit der Übernahme von Monsanto integrierte, vernichtet nicht nur Unkraut, sondern auch Unternehmenswert. Bayer hat Milliarden für Rechtsstreitigkeiten ausgegeben und zurückgestellt. Verantwortet hatte die Übernahme Baumann, der dafür letztlich auch seinen Chefposten einbüßte.
Glyphosat belastet das Geschäft von Bayer
Analysten hatten die Anpassung der Jahresziele bereits erwartet. Die Preise für Produkte mit dem Unkrautvernichter Glyphosat, der das Geschäft im vergangenen Jahr angekurbelt hatte, sind gefallen. Gleichzeitig sank die Nachfrage: Schlechte Witterungsbedingungen sorgten für schlechte Ernten. Landwirte hatten also weniger, was sie gegen Unkraut schützen mussten. Außerdem hatten Kunden hohe Lagerbestände angehäuft und mussten kaum nachkaufen. Dieses Phänomen belastet derzeit die gesamte Chemiebranche.
Das auf Pflanzenschutzmittel spezialisierte US-Unternehmen FMC Corporation hat schon Anfang Juli eine Gewinnwarnung herausgegeben. Auch die Gewinnwarnung von BASF dürfte zum Teil aus dem derzeit schlecht laufenden Geschäft mit den Pflanzenschutzmitteln resultieren, sagt Markus Mayer von der Baader Bank.
Bei Bayer heißt das Problem also mal wieder Glyphosat. Union Investment, einer der größten Aktionäre des Dax-Konzerns, spricht bereits von einem „denkbar schlechten Start“ für den neuen CEO. „In seinem ersten Quartalsergebnis muss er gleich den Ausblick senken und den erwarteten Free Cashflow auf null reduzieren“, kommentierte Fondsmanager Markus Manns laut Nachrichtenagentur Reuters.
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Gleichzeitig sieht der Großaktionär die Schuld für den schlechten Start nicht bei Anderson selbst: „Es stellt sich die Frage, warum das alte Management ihm nicht durch einen realistischeren Ausblick einen besseren Start ermöglicht hat.“
Dort liegt aber auch eine Chance: Schlechte Zahlen zu Beginn seiner Karriere, die er dann später aufbessern kann, könnten Anderson als Retter erscheinen lassen.
Gerüchte über die Aufspaltung von Bayer
Doch zunächst muss Bayer vor allem wegen des Glyphosatgeschäfts nun wohl 2,5 Milliarden Euro abschreiben, wie der Konzern mitteilt. Im zweiten Quartal 2023 werde das zu einem Verlust von etwa zwei Milliarden Euro führen, so das Unternehmen. Unternehmenskenner spekulieren, dass die Abschreibung im Agrarbereich eine Vorbereitung sei, um die Bilanz zu säubern – im Vorfeld einer potenziellen Abspaltung.
Derzeit besteht das Unternehmen aus den drei Bereichen Pharma, Crop Science (die Agrarsparte) und Consumer Health, wo vor allem verschreibungsfreie Produkte wie etwa Nahrungsergänzungsmittel verkauft werden. Schon lange fordern aktivistische Investoren von Bayer die Aufspaltung, immer wieder gibt es Gerüchte, dass das Unternehmen diesen Schritt gehen könnte.
Die Agrarsparte, so heißt es, soll abgespalten an die Börse gebracht werden. Doch wegen der hohen Glyphosat-Rechtsunsicherheiten scheint solch eine Abspaltung schwierig. Auch wenn es für das Unkrautmittel zuletzt ein positives Zeichen gab: Die oberste EU-Lebensmittelbehörde hat es als nicht gefährlich für Mensch und Umwelt eingestuft. Eine erneute Zulassung in der EU – die bisherige läuft im Dezember aus – scheint seither wahrscheinlicher.
Im Pharmabereich braucht Bayer neue Medikamente
Andersons Fokus könnte ohnehin verstärkt auf dem Pharmabereich liegen, um die Bilanz zu retten. Der Manager arbeitete zuvor etwa beim US-Biotechnologieunternehmen Biogen, bei Genentech und war zuletzt CEO der Pharmasparte beim Schweizer Konzern Roche.
Ein solcher Fokus scheint auch dringend nötig: Bei Bayers Umsatztreibern im Pharmasegment, dem Schlaganfallmedikament Xarelto und dem Augenmittel Eylea, laufen bald die Patente aus.
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Ab dann dürfen auch andere Pharmaunternehmen die Mittel produzieren – was die Umsätze beim Entwickler des Medikaments drückt. Bayer braucht vorher dringend neue Blockbuster-Medikamente, also solche, die mehr als eine Milliarde Euro an Umsatz einbringen.
Aktuell ruht Bayers Hoffnung auf dem Gerinnungshemmer Asundexian, der ein Nachfolger von Xarelto werden könnte. Bayer setzt auch verstärkt auf Zell- und Gentherapien: Die sind zwar vielversprechend, verschlingen in der Forschung anfangs allerdings Milliarden Euro. Die Ziele des Dax-Konzerns in diesem Bereich sind ambitioniert: Bis 2030 sollen die Umsätze im Pharmabereich um 50 Prozent wachsen. Wenn das Agrargeschäft weiter schwächelt, muss Bayer im Pharmabereich verstärkt abliefern.
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