Berlin Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kommt mit dem Einstieg beim Stromübertragungsnetzbetreiber Tennet voran. Das niederländische Staatsunternehmen ist nach Angaben von Freitag bereit, seine deutsche Tochter Tennet TSO GmbH komplett an den Bund zu verkaufen. Finanzkreisen zufolge könnte die Deutschland-Tochter dabei mit 18 bis 20 Milliarden Euro bewertet werden.
Tennet erklärte, eine solche Transaktion würde die Schaffung von zwei starken nationalen Akteuren ermöglichen, die beim Vorantreiben der Energiewende weiterhin zusammenarbeiten würden.
Ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums sagte, man begrüße die Ankündigung von Tennet, einen vollständigen Verkauf der Deutschland-Tochter ausloten zu wollen. Die Gespräche der niederländischen Regierung mit der Bundesregierung verliefen konstruktiv.
Das niederländische Finanzministerium erklärte, das Parlament in Kürze über ihre bevorzugte Option informieren zu wollen. Entscheidungen seien noch nicht getroffen.
Tennet steht vor weiteren großen Investitionen vor allem für die Anbindung von Offshore-Windparks an die Industriezentren und hat entsprechenden Kapitalbedarf. Bei Tennet hieß es, die niederländische Regierung ziehe es vor, die niederländischen Aktivitäten von Tennet zu finanzieren, derzeit zehn Milliarden Euro. „Für den Eigenkapitalbedarf für die deutschen Aktivitäten von Tennet, der derzeit auf circa 15 Milliarden Euro geschätzt wird, sucht die niederländische Regierung eine strukturelle Lösung“, teilte das Unternehmen weiter mit.
Jahrelange Verhandlungen nähern sich Durchbruch
Damit nähern sich jahrelange Verhandlungen einem Durchbruch. Bis zum Sommer könnte ein Deal stehen, hieß es in Verhandlungskreisen. Schon Habecks Amtsvorgänger Peter Altmaier (CDU) war in Gespräche mit der niederländischen Regierung eingetreten, die allerdings zum Erliegen gekommen waren. Im Herbst vergangenen Jahres waren sie wieder aufgenommen worden.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kommt mit dem Einstieg beim Stromübertragungsnetzbetreiber Tennet voran.
Verschiedene mögliche Strukturen einer deutschen Beteiligung an den Investitionen standen in den vergangenen Monaten im Raum, darunter der direkte Einstieg des Bundes mit rund 25 Prozent an der niederländischen Muttergesellschaft oder die Beteiligung der Staatsbank KfW an der deutschen Tochtergesellschaft.
Als dritte Variante war die Rede davon, dass Deutschland bei einer noch zu gründenden Netztochter einsteigt, die für den Konzern alle Anbindungen von Windparks auf hoher See an die Ballungszentren in Deutschland und den Niederlanden baut. Nun erscheint die Übernahme der Deutschland-Tochter direkt durch den Bund oder durch die KfW als wahrscheinlichste Variante.
Kritisch äußerte sich Michael Kruse, energiepolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion: „Eine mögliche Übernahme der deutschen Tennet-Tochter darf nur ein Zwischenschritt sein. Die Bundesregierung müsste in diesem Fall an einer Vergabe an Private arbeiten“, sagte Kruse dem Handelsblatt.
„Sollten sich in Deutschland keine privaten Investoren mehr für Energienetze finden, dann wäre das ein Alarmsignal, dass etwas mit der Ausgestaltung der Energiewende schief läuft“, ergänzte er.
Staatsmonopole seien nicht in der Lage, die für die Energiewende nötigen Innovationen zu erbringen. Es ist allerdings unklar, ob sich die FDP mit dieser Position wird durchsetzen können. Bei SPD und Grünen gibt es viele Stimmen, die Tennet Deutschland lieber komplett behalten würden.
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Zu den wichtigsten Infrastrukturprojekten von Tennet gehören die gut 700 Kilometer lange Leitung „Südlink“ vom Hamburger Umland bis Nordbayern und Baden-Württemberg sowie die gut 500 Kilometer lange Leitung „Südostlink“ von Sachsen-Anhalt bis nach Niederbayern. Tennet plant in den kommenden zehn Jahren jährliche Investitionen von mindestens sechs Milliarden Euro – davon rund 60 Prozent in Deutschland.
Hoffnung auf positive Effekte für Energiewende
Die Niederländer hatten die Übertragungsnetztochter von Eon im Jahr 2010 gekauft. Dadurch war der erste grenzüberschreitende Stromübertragungsnetzbetreiber entstanden. Tennet hatte immer wieder hervorgehoben, man leiste damit einen wichtigen Beitrag zum Zusammenwachsen der europäischen Strommärkte.
Zu den wichtigsten Infrastrukturprojekten von Tennet gehöret die gut 500 Kilometer lange Leitung „Südostlink“ von Sachsen-Anhalt bis nach Niederbayern.
Tennet Deutschland hat eine Regulatorische Kapitalbasis (RAB) von rund 16 Milliarden Euro. In der Regel werden Netze zu einer Prämie zum RAB verkauft. Allerdings wird bei der Bewertung auch dem erwarteten Investitionsvolumen Rechnung getragen.
Die Niederländer hatten anfangs den enormen Investitionsbedarf falsch eingeschätzt. Insbesondere die kostspielige Netzanbindung von Offshore-Windparks in der Nordsee erwies sich als finanzielle Herausforderung.
Die Stromverbraucher mussten mit einer speziellen „Offshore-Umlage“ zur Kasse gebeten werden. In den Niederlanden gibt es seit Jahren Kritik daran, dass ein niederländisches Staatsunternehmen den Stromnetzausbau in Deutschland stemmen muss.
Im Bundeswirtschaftsministerium erhofft man sich von einem stärkeren Einfluss auf die Stromübertragungsnetzbetreiber positive Effekte für die Energiewende. Derzeit gibt es neben Tennet drei weitere Stromübertragungsnetzbetreiber in Deutschland: 50Hertz, Amprion und TransnetBW. Deutschland ist damit das einzige europäische Land, das sich vier Übertragungsnetzbetreiber leistet. In den anderen europäischen Staaten gibt es jeweils nur einen Übertragungsnetzbetreiber. Die Unternehmen sind überwiegend staatlich kontrolliert.
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Seit Jahren wird in Deutschland darüber debattiert, die vier Übertragungsnetzbetreiber zusammenzuführen und den staatlichen Einfluss zu auszubauen. Im Bundeswirtschaftsministerium verspricht man sich davon Synergien, eine bessere Steuerung und dadurch eine Beschleunigung der Energiewende. Allerdings gibt es in der Ampelkoalition auch Gegner einer solchen Lösung, insbesondere in der FDP.
Günstiger Zeitpunkt
Derzeit ist die Gelegenheit, den Einfluss des Staates zu erhöhen und eine „Deutsche Netz AG“ zu schmieden, günstig. Die KfW will ihr Vorkaufsrecht für einen 24,95 Prozent Anteil am Stromnetzbetreiber TransnetBW nutzen, wie mit der Angelegenheit vertraute Personen sagten. Für den anderen Anteil gelten die baden-württembergische Sparkassen als Favorit, eine finale Entscheidung wird allerdings erst in einigen Wochen erwartet, möglicherweise nach Ostern.
TransnetBW gehört dem Energiekonzern EnBW. EnBW hatte im vergangenen Jahr den Verkauf der Pakete angekündigt. Der Karlsruher Versorger sucht Partner für die bis 2025 geplanten Investitionen in Höhe von sechs Milliarden Euro.
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Bei 50Hertz ist die KfW ohnehin mit 20 Prozent beteiligt. Die staatliche Bank war 2018 im Auftrag des Bundes eingesprungen, um einen Einstieg des staatlichen chinesischen Netzbetreiber SGCC zu verhindern. Lediglich bei Amprion ist der Bund außen vor. Das Unternehmen gehört mehrheitlich Finanzinvestoren aus der Versicherungswirtschaft und von Versorgungswerken, 25,1 Prozent liegen beim Energiekonzern RWE.
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