Düsseldorf Das deutsche Rüstungs-Start-up Helsing erhält in einer neuen Finanzierungsrunde 209 Millionen Euro. An der Münchner Firma beteiligen sich der US-Risikokapitalgeber General Catalyst, die schwedische Saab-Gruppe als strategischer Investor und die Wagniskapitalfirma La Famiglia. Das teilte Helsing am Donnerstag mit.
Die erst zwei Jahre alte Technologiefirma, die Künstliche Intelligenz (KI) für Kampfflugzeuge, U-Boote und Panzer entwickelt, soll damit eine Bewertung von 1,7 Milliarden Euro erreichen. Das sagten mit der Sache vertraute Personen dem Handelsblatt. Helsing ist somit Europas erstes Start-up in der Verteidigungsbranche, das von Investoren mit mehr als einer Milliarde Euro bewertet und zu einem sogenannten Einhorn wird.
Das ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: Einerseits ist es für Jungunternehmen schwierig, im Verteidigungsbereich Fuß zu fassen. Andererseits sind Investments in Rüstungstechnologie für viele europäische Risikokapitalgeber relativ neu, galten sie doch vor dem Krieg in der Ukraine als Tabu.
Doch die Gründer von Helsing kommen mit ihrer Vision nicht nur zur richtigen Zeit. Es ist ihnen auch gelungen, bei etablierten Unternehmen und der Bundeswehr Vertrauen aufzubauen. So konnte die Firma schon einen ersten wichtigen Auftrag gewinnen.
Gundbert Scherf, Torsten Reil und Niklas Köhler wollen bestehende Waffensysteme mit Software und KI aufrüsten. Kriegsflugzeuge, Kampfschiffe und Panzer werden meist über Jahrzehnte entwickelt und sind sehr teuer, werden aber schnell von der technologischen Entwicklung überholt. Dem will Helsing entgegenwirken. „Vorhandende Verteidigungssysteme können mit Software und KI in ganz anderer Geschwindigkeit und Präzision betrieben werden“, sagt Co-Chef Gundbert Scherf.
Den Start-up ist es gelungen, bei etablierten Unternehmen und der Bundeswehr Vertrauen aufzubauen.
(Foto: Helsing)
Zu sehen ist das auch in der Ukraine, die dem russischen Angriffskrieg auch durch den Einsatz neuer Kriegssoftware standhält. Die Masse der verwendeten Waffensysteme sei relevant, sagt Scherf. „Aber der Einsatz von modernsten Technologien – insbesondere Künstlicher Intelligenz – macht den strategischen Unterschied.“
>> Lesen Sie auch: Das Terminator-Dilemma – Wie KI die Kriegsführung verändert
Experten geben ihm recht. Torben Arnold, Luftwaffenoffizier und Gastwissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, sagte dem Handelsblatt kürzlich: „Seit Jahren zeichnet sich ab, dass es einen Umschwung von der hardwaredefinierten zur softwaredefinierten Kriegsführung gibt.“ Deswegen seien Unternehmen wie Helsing „wahnsinnig interessant“.
Helsings KI soll manipulierte Radarsignale lesen können
Zusammen mit dem neuen Investor, dem schwedischen Rüstungskonzern Saab, soll die Firma jetzt dafür sorgen, dass einige ältere Kampfflugzeuge vom Typ Eurofighter zur elektronischen Kampfführung befähigt werden. Mithilfe von KI soll das Kampfflugzeug künftig schneller und besser Radarsignale auswerten können.
Das wird manuell zunehmend unmöglich, weil Gegner ihre Signale softwaregestützt manipulieren können. Dieses Verschleiern und Täuschen nennt sich „Spoofing.“ Ob ein Signal echt oder falsch ist, könnten Piloten nur mithilfe von KI rechtzeitig erkennen, sagen die Helsing-Gründer.
Ältere Kampfflugzeuge des Typs sollen mithilfe der Helsing-KI künftig schneller und besser Radarsignale auswerten können.
(Foto: AP)
Konkret baut die Firma mit ihren 220 Mitarbeitern eine Softwareplattform, auf der die Sensordatenströme einlaufen und verarbeitet werden können. Das sind im Fall der Eurofighter vor allem Radarsignale und alle Energien, die das Kampfflugzeug anstrahlen. Bei U-Booten wären es etwa Sonardaten.
>> Lesen Sie dazu: Deutschlands wohl geheimnisvollstes Start-up bekommt seinen ersten Rüstungsauftrag
Allerdings war eine potenziell überlegene Technologie bisher kein Garant dafür, dass Start-ups bei Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr berücksichtigt werden. Oft gab es Zweifel, dass die jungen Firmen dauerhaft am Markt bleiben und ihre Wehrtechnik instand halten können. Helsing hat sich wohl auch deshalb mit etablierten Unternehmen zusammengetan. Neben Saab kooperiert Helsing mit Rheinmetall und Airbus.
Dass Tech-Start-ups langfristig nicht nur Juniorpartner in Rüstungsprojekten bleiben müssen, sieht man in den USA. Dort hat sich etwa Elon Musks Raumfahrtfirma SpaceX etabliert, um beispielsweise Aufklärungssatelliten zu starten.
Start-up-Investoren müssen für Rüstungsinvestments Verträge ändern
Helsing-Chef Torsten Reil hofft, dass in Europa mehr Gründer ermutigt werden, im Verteidigungssektor zu gründen. „Diese Finanzierungsrunde zeigt, dass europäische Firmen nicht in die USA gehen müssen, um 200 Millionen Euro für Technologieentwicklung zu bekommen“, sagt er.
Die USA haben jedoch bei Wagniskapitalinvestments in Rüstungstechnologie einen Vorsprung. Das zeigt sich etwa am Portfolio von Helsings neuem US-Investor General Catalyst: Die Beteiligung Anduril ist für militärische Drohnen bekannt, Vannevar Labs bietet Software zur Auswertung militärischer Informationen an, und Applied Intuition entwickelt eine Simulationsplattform für autonome Fahrzeuge, die auch im Militär zum Einsatz kommen könnte.
Viele Investmentfirmen in Deutschland hingegen haben in Verträgen mit ihren Geldgebern Waffeninvestments bisher ausgeschlossen. Das galt auch für La Famiglia. Mitgründerin Jeannette zu Fürstenberg hatte sich zwar privat schon früh bei Helsing beteiligt, mit ihrer Firma ging das aber zunächst nicht. Inzwischen hat La Famiglia zwei neue Fonds aufgelegt, die sich solche Investitionen offenhalten.
„Ich bin überzeugt, dass die Entwicklung originärer KI-Lösungen für die europäische Verteidigungsindustrie zentral ist“, sagt die Investorin. Technologische Souveränität sei für Europa in der aktuellen geopolitischen Situation zwischen China und den USA essenziell.
Löst KI das Munitionsproblem der Bundeswehr?
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Investment auch finanziell auszahlt, schätze von Fürstenberg „sehr hoch“ ein: „Wir sehen schon klare Indikationen, dass es einen Markt für die Technologie von Helsing gibt.“
Geht es nach Gundbert Scherf, muss dieser Markt aber noch wachsen. Mit Blick auf die Rüstungsinvestitionen seit dem Beginn des Ukrainekriegs und der „Zeitenwende“-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz kritisiert er: „Ein Großteil der Zeitenwendegelder wird auf Programme ausgerichtet, die ausgedacht wurden, bevor wir das Potenzial der neuen Technologien kannten.“
>> Lesen Sie außerdem: Chef des Rüstungskonzerns Hensoldt: „KI ist für uns von enormer Bedeutung“
Scherf fordert jetzt auch eine „technologische Zeitenwende“: „Wir sehen in der Ukraine, dass Kompanien mit moderner Auswertungstechnologie 40 bis 60 Prozent weniger Munition brauchen als andere“, sagt der Gründer. „Wenn wir präziser und effektiver wirken, brauchen wir weniger Munition. Software und KI können Entlastung schaffen.“
Co-Chef Torsten Reil hält solche Diskussionen vor allem mit Blick auf künftige Abschreckungsaufgaben an der Nato-Ostflanke für nötig. Mit der heutigen Verteidigungstechnik, der Anzahl von Systemen und dem bestehenden Personal könne diese „extrem lange Grenze zu Russland“ nicht geschützt werden. „Da können wir noch so viel konventionelle Technik bestellen.“
Mehr: Entwicklung des neuen deutsch-französischen Kampfpanzers droht das Aus