Brüssel, New York Kremlchef Wladimir Putin hat einen Militäreinsatz Ostukraine offiziell angeordnet. „Ich habe beschlossen, eine Sonder-Militäroperation durchzuführen“, sagte Putin am Donnerstagmorgen in einer Fernsehansprache. „Ihr Ziel ist der Schutz der Menschen, die seit acht Jahren Misshandlung und Genozid ausgesetzt sind.“
Am frühen Morgen häuften sich Augenzeugenberichte um die Hauptstadt Kiew. So spricht ein Reporter der Nachrichtenagentur Reuters von mehreren, entfernten Explosionen. Auch Reporter des US-Nachrichtensender CNN berichteten von Explosionen in Kiew und in der zweitgrößten Stadt Charkiw. Später bestätigten sich Angriffe auf ukrainische Großstädte und militärische Infrastruktur.
Die russische Nachrichtenagentur Interfax berichtet von russischen Raketenangriffen auf militärische Ziele in der ganzen Ukraine. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba spricht von einem „großangelegten Krieg gegen die Ukraine“.
US-Präsident Joe Biden verurteilte das Vorgehen Putins in einem Assertion mit scharfen Worten: Putin habe vorsätzlich einen Krieg begonnen, der den katastrophalen Verlust von Menschenleben und Leid mit sich bringen werden. Russland sei alleine verantwortlich für die Zerstörung, die diese Attacke mit sich bringen könnte. Die Vereinigten Staaten und ihre Bündnispartner werden „gemeinsam und bestimmt antworten. Die Welt wird Russland zur Rechenschaft ziehen“.
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Auch Deutschland äußerte sich am Morgen in ähnlich scharfem Ton. Bei der kurzfristig anberaumten Sitzung des UN-Sicherheitsrats in New York sagte die deutsche UN-Botschafterin Antje Leendertse: „Die russische Aggression wird politisch, wirtschaftlich und moralisch einen beispiellosen Preis haben“.
USA warnten am Abend vor Angriff in der Nacht
Die Lage hatte sich in der Nacht zum Donnerstag stetig zugespitzt. Die USA warnten am Abend vor einem russischen Angriff innerhalb der kommenden 48 Stunden. Beschrieben wurde eine Großoffensive, eingeleitet durch Bombardements aus der Luft, begleitet von Artilleriebeschuss und Raketenfeuer. US-Außenminister Antony Blinken sprach in einem Fernsehinterview sogar davon, dass er mit einer Invasion noch in der Nacht rechne.
Diese Prognosen scheinen sich nun zu bestätigen. Am frühen Morgen (MEZ) befanden sich 80 Prozent der russischen Truppen entlang der Grenze in Kampfstellung. Die Flugsicherheitsorganisation warnte Fluggesellschaften davor, den ukrainischen Luftraum zu überfliegen. So könne es zu einem unbeabsichtigten Abschuss kommen, oder Cyberattacken könnten die Flugsicherung behindern.
Auch diese Warnung bestätigte sich offenbar. Laut dem US-Fernsehsender CNN seien zahlreiche ukrainische Web sites in den frühen Morgenstunden nicht abrufbar gewesen. Die Web sites des ukrainisches Ministerkabinetts und der Ministerien für Äußeres, Infrastruktur und Bildung seien davon betroffen gewesen.
Den Ereignissen des Morgens vorangegangen struggle die Nachricht, dass die Separatistengebiete Donezk und Luhanzk Putin gebeten hätten, „die Aggression der ukrainischen Streitkräfte zurückzuschlagen, um Opfer unter der Zivilbevölkerung und eine humanitäre Katastrophe im Donbass zu vermeiden“, wie der Kreml am Mittwochabend mitteilte.
Aus der Ukraine wurden die Bitten um Frieden unterdessen immer dringlicher. In einer emotionalen Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski warnte dieser vor Zehntausenden Toten. Er bat Russland, den Frieden zu bewahren, fügte aber hinzu, dass sich sein Land wehren werde, wenn es zu einem Angriff auf die Freiheit des Landes und Leben seiner Leute käme.
Selenski habe sich auch bemüht, direkt Kontakt zu Putin aufzunehmen. Seine Anrufe blieben aber unbeantwortet. Auch hat der ukrainische Präsident den UN-Sicherheitsrat erneut um eine Dringlichkeitssitzung gebeten. Das Gremium hatte sich zuletzt am Montag zur Ukrainekrise zusammengefunden. Die UN struggle der Bitte noch in der Nacht zum Donnerstag nachkommen.
Militärexperten haben das Szenario einer Invasion zuletzt so beschrieben: Die erste Angriffswelle würde voraussichtlich die Kommandozentralen der ukrainischen Armee zerstören, ihre Kommunikationsnetze lahmlegen. Dann würden die Bodentruppen vordringen und den desorientierten Gegner ausschalten. Binnen Tagen könnte es zehntausende Tote geben. Polen rechnet mit bis zu einer Million Flüchtlingen.
Am Abend kursierten außerdem alarmierende Bilder aus der Area. Handyvideos, auf denen Kolonnen von Panzer und Militärlaster zu sehen sind, aufgenommen von matschigen Straßenrändern im Grenzgebiet. Satellitenaufnahmen zeigen außerdem neue Truppenmassierungen in der Area um die russische Stadt Belgorod, weniger als 100 Kilometer von Charkiw entfernt, der zweitgrößten Stadt der Ukraine mit 1,4 Millionen Einwohnern. Der Flughafen von Charkiw wurde geschlossen.
Die Ukraine rief den Ausnahmezustand aus und zog Reservisten ein. „Die Ukrainer haben aus ihren Erfahrungen von 2014 viel gelernt“, sagte die amerikanische Nato-Botschafterin Julianne Smith im Gespräch mit dem Handelsblatt – eine Anspielung auf die Gefechte mit russischen Truppen in Donbass, bei der die Ukraine schwere Verluste erlitt.
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„Viele Nato-Associate, gerade auch wir Amerikaner, haben bei der Ausbildung der ukrainischen Armee geholfen und dabei, ihre Verteidigungsfähigkeiten zu verbessern.“ Doch militärisch, da sind sich praktisch alle Experten einig, wären die Ukrainer der russischen Übermacht nicht gewachsen, jedenfalls nicht bei einer direkten Konfrontation.
Der Westen verdeutlicht unterdessen seine Unterstützung für die Ukraine und seine Einwohner. Im Herzen Berlins erstrahlte das Brandenburger Tor in den Landesfarben der Ukraine – blau und gelb. Die Geste ist jedoch eine rein symbolische: So hat der Westen deutlich zu verstehen gegeben, dass niemand außer den Ukrainern für die Freiheit der Ukraine kämpfen wird.
Stattdessen versuchen die westlichen Verbündeten Putin mit Sanktionen beizukommen. In der Nacht zum Donnerstag traten eine Reihe von Maßnahmen der EU in Kraft. Betroffen sind unter anderem der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu, Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow sowie Vize-Ministerpräsident Dmitri Grigorenko.
Ob die aktuell ergriffenen Maßnahmen diesen Zweck erfüllen, blieb jedoch unklar, denn der Kreml hat die wirtschaftlichem Strafen in seine Vorhaben vermutlich schon eingepreist. Von nun an dienen die Sanktionen der EU und der USA nicht mehr primär der Abschreckung, sondern der Verteidigung der eigenen Glaubwürdigkeit. „Wir werden die Sanktionen weiter eskalieren, wenn Russland eskaliert“, sagte US-Präsident Biden. Dazu gehört wohl auch die Sanktionierung des Pipeline-Betreibers der Nord Stream 2.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte die Zertifizierung der Ostseepipeline bereits gestoppt. Die jüngsten Sanktionen zielen laut dem US-Finanzministerium auch auf den deutschen Nord-Stream-Geschäftsführer Matthias Warnig ab. Zudem sollen die Sanktionen die in der Schweiz ansässige Muttergesellschaft treffen. Aufsichtsratschef der Nord Stream 2 AG ist der ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Er soll nach Angaben der US-Regierung nicht von den Sanktionen betroffen sein.
Biden hatte zuvor aus Rücksicht auf Deutschland auf einen solchen Schritt verzichtet. Die Entscheidung der Amerikaner nun ist ein weiterer schwerer Schlag für die Pipeline.
Mit Agenturmaterial.