Düsseldorf „Nach dieser Krise wird die Welt eine andere sein“, sagt Annalena Baerbock. Das klingt zunächst nach Floskel, nach unreflektiertem Pathos. Doch die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Außenministerin mit dieser Einschätzung richtigliegt – möglicherweise sogar unabhängig davon, ob es tatsächlich einen offenen Krieg in der Ukraine gibt oder nicht.
Es gibt Indizien, dass Wladimir Putin eine Invasion wagen könnte: die militärischen Vorbereitungen, jetzt sogar mit taktischen Nuklearwaffen, das Wiederaufflammen der Gewalt im Donbass und das absurde Gerede vom Genozid an der russisch sprachigen Bevölkerung, das einen Vorwand für den Einmarsch liefern könnte. All das kann Teil des für Putin so typischen Verwirrspiels sein. Die USA werten es einmal mehr als Zeichen dafür, dass eine Militäroffensive kurz bevorsteht. Zweifel sind angebracht.
Fakt ist: Putin erreicht einige seiner wichtigen Ziele, ohne auch nur eine Rakete abzufeuern. Der steigende Ölpreis belastet die westlichen Volkswirtschaften, während der große Energieexporteur Russland profitiert. Die Wirtschaft in der Ukraine ist angesichts wachsender Kriegsangst und Einkreisung ohnehin wie gelähmt.
Und noch wichtiger aus Sicht Putins: Russland, vor Kurzem vom US-Präsidenten noch als „Regionalmacht“ verspottet, ist wieder feste Größe in der ersten Liga der Supermächte. Das hat der Kremlherr nicht zuletzt seinen westlichen Antagonisten zu verdanken. Das Amerika Donald Trumps conflict nicht mehr willens, sein Nachfolger Biden ist gar nicht mehr fähig, die Rolle der Welt-Ordnungsmacht zu spielen — zu groß ist der Verlust an Glaubwürdigkeit, den Trump der westlichen Führungsmacht zugefügt hat. Europa gibt sich so, wie es immer ist: machtvoll und pathetisch in Sonntagsreden, ohnmächtig und zerstritten in angewandter Geopolitik.
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Putin hat das verstanden – und nutzt die Lage. Das Vakuum füllt er mit seinem Verständnis von Weltordnung: Wer militärische Macht besitzt, braucht sich nicht an Regeln des Völkerrechts zu halten. Krieg ist für ihn legitimes und effizientes Mittel der Politik. Die Größe einer Nation hängt vor allem von der Größe ihrer Einflusszonen ab.
Putin hat gezeigt, dass er Krieg nicht scheut: 2008 Georgien, 2014 die Krim, anschließend der Donbass und über Jahre in Syrien. Aber die Risiken eines offenen Kriegs gegen die Ukraine sind ungleich größer, nicht nur, was den ökonomischen Schaden wegen der Sanktionen angeht. Ein offener Krieg würde Russland endgültig zum Paria der internationalen Gemeinschaft machen.
Revitalisierung der „hirntoten“ Nato
Der jetzige Schwebezustand des Konflikts bringt Putin den größten Nutzen. So ist es auch kein Wunder, dass er auf die ohnehin unerfüllbaren Forderungen, etwa die Souveränität osteuropäischer Staaten schlichtweg zu halbieren, immer wieder nachlegt. Jetzt fordert er den Abzug aller Nato-Truppen aus den Staaten Ost- und Mitteleuropas.
Wie additionally umgehen mit einem Politiker, der gar nicht ernsthaft verhandeln, sondern den Gegner zermürben will? Auch die jüngste Idee, dass die Ukraine freiwillig für eine bestimmte Zeit auf einen Nato-Beitritt verzichtet, wird Putin nicht besänftigen. Er will das ganze Land in seine Einflusssphäre bringen.
Putin beklagt, der Westen berücksichtige nicht die Interessen seines Landes. An fehlender Rücksichtnahme Berlins kann es nicht gelegen haben. Es conflict die Bundesregierung, die darauf drang, die G7 um Russland auf G8 zu erweitern. Es conflict Merkel, die sich 2008 mit Frankreich dem Streben der USA widersetzte, Georgien und die Ukraine in die Nato zu holen. Ganz zu schweigen von der Pipeline Connection, die Berlin als Fortsetzung der außenpolitischen Custom „Wandel durch Annäherung“ verstanden wissen wollte.
All das hat nichts geholfen. Und doch gibt es einen Effekt, den Putin womöglich falsch einschätzt: Seine Aggression hat nicht nur zu einer Revitalisierung der „hirntoten“ Nato geführt, sondern könnte am Ende entscheidend dazu beitragen, den Zusammenhalt des Westens zu stärken. Genau das additionally, was Putin mit aller Macht verhindern will.
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