Das vom dänischen Verteidigungskommando zur Verfügung gestellte Foto zeigt das Nord-Stream-2-Gasleck in der Nähe von Bornholm aus der Luft.
Die Geschichte über die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines hat nun wirklich alles, was eine gute Story braucht: Agenten-Zauber mit James-Bond-Charakter, einen Krieg, in dem sich die Ukraine heldenhaft des übermächtigen und imperialistischen Aggressors aus Moskau erwehrt. Und das Ganze vor der Kulisse der großen Weltpolitik, will heißen die epochale Auseinandersetzung zwischen der absteigenden Weltmacht USA, der abgestiegenen Weltmacht Russland und deren Schutzmacht: die aufstrebende Weltmacht China.
Irgendwo dazwischen steckt schließlich noch ein kleines, verunsichertes Europa, dessen ökonomische Führungsmacht Deutschland sich mit seiner Pipeline-Connection zu Russland hoffnungslos verzettelte – politstrategisch, ökonomisch, ja auch moralisch. Und schließlich zusah, wie mit den Pipelines das Symbol dieser Verzettelung am Meeresgrund zersprengt wurde.
Nun, Ehre, wem Ehre gebührt: Die Kollegen der „New York Times”, der ARD und der Zeit haben viele und zum Teil überraschende Details recherchiert, was genau am Ostseegrund passierte. Zur ganzen Wahrheit gehört allerdings auch: Viel schlauer als vorher sind wir auch nicht – zumindest nicht, was die entscheidende Frage angeht, wer hinter der Sprengung der Pipelines steht.
Eine „proukrainische Gruppe“ soll es gewesen sein. Dahinter allerdings könnte sich die halbe Welt verbergen: die üblichen Verdächtigen USA und Großbritannien genauso wie die Ukraine selbst sowie alle westlichen Unterstützer, die die technischen Voraussetzungen für einen solchen Sabotageakt am Meeresgrund mitbringen.
Und auch eine „False Flag“-Aktion russischer Geheimdienste, die durchaus ein Interesse haben könnten, dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski die Schuld zuzuschieben, schließen die Recherchen keinesfalls aus.
Joe Bidens Ankündigung in undiplomatischer Manier
Die große Frage bleibt, wer Profiteur der spektakulären Aktion am Meeresgrund ist. Auch diese aber ist ungeklärt. Beispiel USA: Präsident Joe Biden hatte noch vor Beginn der russischen Invasion in Gegenwart des Bundeskanzlers in undiplomatischer Manier angekündigt, er werde das Problem Nord Stream beenden, sollten Putins Soldaten in die Ukraine einmarschieren.
Doch die Theorie, dass die Amerikaner dahinterstecken, wie es etwa der weltbekannte US-Investigativreporter Seymour Hersh unter Berufung auf eine anonyme Quelle behauptet, überzeugt nicht wirklich.
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Das Projekt Nord Stream war zum Zeitpunkt der Sprengung Ende September längst erledigt. Wozu dann noch dieses Risiko eingehen?
Die jetzigen Enthüllungen bilden also allenfalls die Basis für weitere Recherchen. Natürlich stellt sich die Frage, was es für das komplexe Beziehungsgeflecht bedeutet, sollte sich die jetzt möglicherweise recherchierte Spur zur ukrainischen Regierung bestätigen. Doch auch für diese Frage gilt die bisherige Lehre aus dem gesamten Vorgang: Voreilige Schlüsse gilt es gerade bei einer solch geopolitisch aufgeladenen Geschichte, die zu Verschwörungstheorien geradezu einlädt, zu vermeiden.
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