Das Gesundheitswesen aber wird seit Jahren immer teurer, während die Qualität abnimmt.
(Foto: IMAGO/Political-Moments)
Die „Entökonomisierung“ des Gesundheitswesens treibt Karl Lauterbach ausgerechnet aus einem Gebäude voran, in dem einmal das Herz des deutschen Kapitalismus schlug. Im Jahr 2022 zog sein Ministerium von einem Zweckbau in der Berliner Friedrichstraße wenige Hundert Meter weiter in den früheren Hauptsitz der Deutschen Bank – einen Prachtbau, errichtet Ende des 19. Jahrhunderts, nun frisch renoviert.
Diese Erneuerung steht dem Gesundheitssystem mit maroden Krankenhäusern und Krankenkassen noch bevor. Das Mantra des Gesundheitsministers lautet: Man habe es mit der Ökonomisierung „zu weit“ getrieben.
Soll heißen: Der schlechte Zustand der Kliniken, Arzneimittel- und Versorgungsengpässe – all das sei Folge einer wirtschaftlichen Denke, Folge von Sparpolitik und zunehmenden Einfluss von Investoren auf medizinische Versorgungszentren.
Diese These passt in den Zeitgeist, ist aber trotzdem nicht stimmig. Lauterbach operiert auf Grundlage einer falschen Diagnose.
In der Ökonomie geht es um den sparsamen und sinnvollen Einsatz von Ressourcen. Das weiß Lauterbach, der Mann ist Gesundheitsökonom.
Das Gesundheitswesen aber wird seit Jahren immer teurer, während die Qualität abnimmt. In Apotheken sind Medikamente knapp, auf dem Land schließen Praxen, gleichzeitig gibt es viel zu viele Hüft- und Knieoperationen und die Versicherten zahlen Rekordbeiträge, die offenbar nicht dazu führen, dass das System besser wird.
Mehr, nicht weniger Ökonomisierung
Das deutsche Gesundheitswesen ist vieles, aber es ist sicher nicht durchökonomisiert. Geld wird nicht an allen Ecken gespart, sondern an vielen Stellen verschwendet. Lauterbachs Antwort darauf lautet: nicht mehr, sondern weniger Ökonomisierung.
Wozu diese Fehldiagnose führt, zeigt sich beispielsweise bei der Klinikreform. Die Fallpauschale, so Lauterbach, zwinge Krankenhäuser in ein Hamsterrad, sich mit immer mehr Behandlungen finanziell über Wasser zu halten. Dabei sollten nur medizinische Gründe einen Eingriff rechtfertigen.
Das stimmt. Aber Lauterbach unterschlägt, dass die Fallpauschale einmal dazu gedacht war, lediglich die laufenden Betriebskosten eines Krankenhauses zu decken – und nicht alle Ausgaben. Dafür muss die Fallpauschale aber schon seit Jahren herhalten und auch einen Teil der Klinikinvestitionen decken, die eigentlich Aufgabe der Länder sind.
Die Kliniken müssen das fehlende Geld mit dem Skalpell wieder reinholen, um halbwegs rentabel zu arbeiten. Lauterbach kann sich noch lange an der Ökonomisierung abarbeiten – ohne die Länder wird sich an der prekären Lage der Kliniken nichts ändern.
Die fetten Jahre des Gesundheitswesens sind vorbei
Die angebliche Ökonomisierung wird offenbar auch als Freifahrtschein gesehen, um die Einnahmen der Krankenkassen über Beitragserhöhungen immer weiter zu erhöhen, obwohl die Versicherten bereits Rekordbeiträge zahlen und Arbeitgeber unter Rekord-Lohnnebenkosten ächzen.
Daran aber, die Ausgaben nennenswert zu kürzen, hat sich schon lange kein Gesundheitsminister mehr herangetraut. Das System hat sich daran gewöhnt, dass es von allem immer mehr gibt. Leistungskürzungen sind deswegen höchst unpopulär, aber ohne Alternative, denn sonst müssen auch die Einnahmen immer drastischer steigen.
Ohne zunehmende Beschäftigung oder stark steigende Löhne, von denen die gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden, geht das nur durch höhere Beiträge oder immer neue Steuerzuschüsse. Ökonomisch ist das nicht – und schon gar nicht nachhaltig. Die Probleme verschieben sich nur immer weiter in die Zukunft. Die fetten Jahre im Gesundheitswesen sind vorbei.
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