Berlin, Frankfurt, San Francisco Ein Maskierter mit Schusswaffe stürmt in den Raum und ruft: „Hände hoch, keiner bewegt sich!“ Ein Banküberfall, enormer Stress für die Angestellten des Geldhauses, wie lässt sich das Verhalten in solch einer Ausnahmesituation trainieren?
Die Bank of America arbeitete lange mit Videos, seit Kurzem setzt sie für das Training ihrer Banker auf das Metaverse. Dabei wird genau erfasst, wie die Betroffenen reagieren und wie viel Zeit sie dafür brauchen. Oberstes Lernziel: Ruhe bewahren und abschätzen, zu welchen Konsequenzen bestimmte Reaktionen führen können.
Der simulierte Bankraub im Cyberspace zeigt, dass viele Unternehmen aus dem Finanzsektor, die virtuelle Realität inzwischen ganz praktisch nutzen. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass sie die Vision von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg teilen, der auf das Metaverse so große Hoffnungen setzt, dass er seinen Konzern in „Meta“ umbenannte. Die Furcht wächst, dass auf den Hype die große Ernüchterung folgt.
Zumindest in einer Hinsicht hat Zuckerberg mit seiner Vision Erfolg: Fast alle in der Branche testen, wie sich in der virtuellen Welt Geld verdienen lässt, und richten sich provisorisch im Metaverse ein. Ob und wann aus dem Test- ein Regelbetrieb werden wird, steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt. Während einige Spieler einen Billionenmarkt wittern, warnen andere vor gefährlichen Übertreibungen.
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Genauso weit ist die Spannweite der Projekte. Während die einen sich mit schicken virtuellen Meetingräumen fürs Marketing oder für Schulungen begnügen, spekulieren die anderen bereits mit virtuellen Immobilien, die nur im Metaverse existieren.
Der Avatar als Versicherungsberater
Wohin die Zukunft der Beratung beim Versicherer Ergo gehen könnte, zeigt sich in einem Zukunftslabor in Berlin beim Blick durch die Datenbrille. Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Kunden müssen sich nicht mehr physisch treffen und auch nicht mehr über ruckelige Videokonferenzen kommunizieren.
In der virtuellen Realität lassen sich Beratungsgespräche, Mitarbeiterschulungen und Teammeetings in einer täuschend echten Umgebung arrangieren. So echt, dass sich die ersten Schritte anfühlen wie in der allerersten Fahrstunde, in der es galt, sich im Auto mit Lenkrad, Gaspedal und Bremse zugleich vertraut zu machen und sich auf der Straße ohne Schaden für sich und andere fortzubewegen.
Vom kleinen Beratungszimmer bis zur großen Townhall stehen unterschiedliche Räume bereit. Alles ist eingebettet in modernste Architektur, der Blick durchs Fenster zeigt Wald und Wiese. Ein Avatar begleitet das Gespräch und berät.
Bereits in Kürze soll es erste reale Kundenanwendungen geben, heißt es bei Ergo. „Wir werden im Metaverse zunächst die gleichen Produkte anbieten wie bisher, können sie dort aber virtuell präsentieren“, sagt Digital-Chef Mark Klein.
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Das Projekt des Versicherers gehört zu den eher klassischen Metaverse-Anwendungen. Virtuelle Realität, bei der Menschen sich in künstlichen dreidimensionalen Räumen bewegen, gibt es in vielfacher Form, etwa im medizinischen Bereich, für Schulungen, vor allem aber in der Milliardenbranche des „Gamings“, der Online-Spiele.
Zu den Metaverse-Optimisten zählt der Wall-Street-Riese JP Morgan, der bereits im Februar des vergangenen Jahres auf der Plattform „Decentraland“ die Onyx-Lounge eröffnete. Einen virtuellen 3D-Raum, in dem Avatare mehr über Onyx, die Blockchain-Einheit der Großbank, erfahren können, die dezentrale Datenbanktechnik, die auch hinter der populärsten Kryptowährung Bitcoin steckt.
JP Morgan wittert eine Billionenchance
„Das Metaversum wird in den kommenden Jahren wahrscheinlich jeden Sektor in irgendeiner Weise durchdringen, wobei die Marktchancen auf über eine Billion Dollar Jahresumsatz geschätzt werden“, hieß es im zeitgleich dazu veröffentlichten Bericht der Bank. Im Oktober investierte die Bank dann in Tilia, einen Zahlungsdienst für das Metaverse.
Auch die britische Bank HSBC erwarb vor gut einem Jahr virtuelle Immobilien auf der Plattform „The Sandbox“. In Deutschland nutzt die virtuellen Räume etwa der Bereich Global Payments Solutions, um Kunden einen Einblick in das Metaverse zu geben und die Möglichkeiten dieser Plattform aufzuzeigen. Die Bank arbeite mit Partnern zusammen, „um die Technologie und deren Weiterentwicklung zu verfolgen und potenzielle Einsatzfelder zu identifizieren“, erläuterte ein Sprecher.
Ende des vergangenen Jahres eröffnete die Deutsche Bank eine 3D-Besucherlounge. „Die Idee hinter der Eröffnung der Lounge für die Unternehmensbank im Metaverse war vor allem der Aufbau interner Fähigkeiten“, sagt ein Sprecher.
Virtuelle Immobilien bieten aber nicht nur Raum für die Angebote der Unternehmen im Metaverse. Wie in der realen Welt können sie auch Spekulationsobjekt sein. Im Zuckerberg’schen Metaversum können virtuelle Gegenstände von Kunst bis zu Grundstücken, die angelehnt an reale Immobilien definiert werden, gehandelt und finanziert werden. Die Firma Upland tritt in diesem Bereich auch in Deutschland schon als Makler auf und vermittelt zum Beispiel „Grundstücke“ im virtuellen London und Birmingham.
Virtuelle Realität, bei der Menschen sich in künstlichen dreidimensionalen Räumen bewegen, gibt es in vielfacher Form.
Die in New York ansässige Kryptofirma Republic Realm verkündete schon Ende 2021 den Kauf eines Stücks Land für 4,3 Millionen Dollar. Die Immobilie auf der Plattform „The Sandbox“ können nur Avatare betreten.
Cathy Hackl, eine bekannte Social-Media-Beraterin in den USA und Expertin im Bereich Virtual Reality, ist überzeugt, dass das Metaverse in den nächsten Jahren einem immer breiteren Publikum zugänglich sein wird: Entsprechend werde sich das Thema Immobilien weiterentwickeln, denn schon heute könne jeder in der virtuellen Welt nicht nur ein Grundstück kaufen, sondern auch darauf bauen, eine Immobilie vermieten und es auch wieder verkaufen, schreibt die Amerikanerin in ihrem Blog.
In der Tat wird digitales Land inzwischen als Geldanlage gehandelt, genau wie reale Grundstücke. Der Besitz an den digitalen Gütern wird über sogenannte Non-Fungible Tokens, kurz NFTs, nachgewiesen. Diese basieren wie der Bitcoin auf der Blockchain-Technologie und funktionieren wie Besitzurkunden. Investiert wird in virtuelle Welten wie Sandbox oder Decentraland, die zwei größten bereits existierenden 3D-Plattformen. Bezahlt wird dort nur mit Kryptowährungen.
Spekulation mit virtuellen Immobilien
Viele Immobilieninvestoren blicken auf den Hype eher mit Skepsis. Nachdem laut der Internetseite The Dapp 2021 auf den vier größten Metaverse-Seiten noch „Land“ für insgesamt mehr als 100 Millionen Dollar verkauft wurde, ist das Interesse inzwischen deutlich abgekühlt. Laut dem Research-Portal The Block sind inzwischen lediglich zwischen 30 bis 50 Personen als Käufer pro Woche auf Decentraland aktiv, das Transaktionsvolumen ist auf rund 50.000 Dollar zusammengeschrumpft.
Ein für die Branche zuweilen schmerzhaftes Thema lässt sich auch im Metaverse nicht ausblenden: die Regulierung. Darauf weist Reneé Fischer, Leiter Financial Services in Deutschland und Österreich bei der Beratungsgesellschaft Oliver Wyman, hin. Der Berater sagt das auch mit Blick auf die Kryptowährungen, die zunächst unreguliert gestartet waren und einen großen Hype ausgelöst haben, bis sich dann doch die Notwendigkeit zeigte, verbindliche Regeln zu schaffen.
Upland-Co-Gründer Dirk Lueth schaut trotz allem mit Zuversicht nach vorn. Er erklärt, wie verschiedene Zukunftsbereiche zusammenwachsen. „Metaverse, Blockchain und Künstliche Intelligenz (KI) werden aus meiner Sicht in der Zukunft sehr eng miteinander verknüpft sein“. Sein Beispiel: „Ich schaffe mit KI eine Bank, die aus virtuellen Filialen mit digitalen Innenausstattungen besteht und wo ich innovative, digitale Finanzprodukte anbiete.“
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Die Filiale, die Innenausstattungsgegenstände und die digitalen Finanzprodukte werden auf der Blockchain hinterlegt, was das Eigentum sichert und es möglich macht, die Güter jederzeit zu übertragen. Das Metaverse ist dann der virtuelle Ort, wo Kunden die Filiale betreten, mehr über die Produkte erfahren und sie handeln können. Damit schließe sich „das Dreieck dieser drei Zukunftstechnologien, die zu signifikanten Innovationen und Disruptionen führen werden“.
Aber längst nicht alle Experten sind so optimistisch. „Ich glaube nicht, dass es für virtuelle Immobilienkäufe derzeit ein seriöses Geschäftsmodell gibt“, sagt Sebastiano Ferrante, stellvertretender Europachef der Immobilienfirma PGIM Real Estate, eines der größten Immobilienverwalter der Welt. Ein Kauf im virtuellen Raum sei derzeit „pure Spekulation“.
Sollte das Metaverse einmal tatsächlich die Art und Weise sein, wie Millionen Menschen ihren Alltag verbringen, könnten Immobilien dort handelbar sein, räumt er ein, fügt aber hinzu: „Bisher ist es das nicht, sondern es handelt sich um einen engen Nischenmarkt, der keine Transparenz und keinen angemessenen Reifegrad aufweist.“
Geht dem Hype die Luft aus?
Berater Fischer von Oliver Wyman sieht ein gewisses Risiko, dass das Metaverse am Ende doch in die Gaming-Ecke abrutscht, ohne über die Gruppe der begeisterten Spieler hinaus große Bedeutung zu erlangen.
„Im vergangenen Jahr ist ein gewisser Hype um das Thema aufgekommen, doch seitdem ist dieser deutlich abgeflacht“, meint auch Dirk Elsner, Leiter des Innovation Lab der DZ Bank. Elsner hat bereits selbst mit seinen Kollegen Exkursionen in virtuelle 3D-Räume unternommen, doch das Ergebnis sei nicht zufriedenstellend gewesen. „Die Nutzung oder auch der Komfort waren deutlich schlechter als etwa im Vergleich zum Onlinebanking am Smartphone“, sagte Elsner. „Deshalb bleibt die Frage: Würden es die Kunden überhaupt nutzen?“
Zudem gebe es noch viele rechtliche Fragen zum Beispiel rund um das Thema Datenschutz. „Die Technologie ist noch nicht reif für den Massenmarkt und weiterhin eine Vision“, so Elsners Fazit. Perspektivisch könne das Thema aber vor allem für jüngere Kundengruppen interessant werden.
Selbst Lueth rät zur Vorsicht, ohne pessimistisch zu werden. Der Gründer konstatiert einen „etwas zu großen Hype, der jetzt korrigiert wird“. Das heiße nicht, dass das Metaverse verschwinden werde: Es sei ja bereits heute omnipräsent und werde mit neuen Technologien und Zugangsgeräten weiter stark wachsen.
Lueth sagt: „Man muss nur seine Kinder beobachten, wie viel Zeit die in virtuellen Spielen, zum Beispiel auf der Plattform Roblox, verbringen – und wie viel Geld dort ausgegeben wird.“
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