Wien Trotz der demonstrativen Gelassenheit, mit der die Ukraine auf den russischen Aufmarsch an der Grenze reagiert, ist die Sicherheitslage äußerst prekär. Kiew hält zwar am Ziel des EU- und des Nato-Beitritts fest. Doch die Regierung weiß, dass dieses in weite Ferne gerückt ist – das Risiko eines direkten bewaffneten Konflikts mit Russland wollen die Amerikaner und Europäer unter allen Umständen vermeiden.
Die westliche Allianz und die USA stärken deshalb ihre Präsenz entlang der ukrainischen Westgrenze: Sie bauen die Militärkontingente in Polen, Rumänien und dem Baltikum aus und planen neue Nato-Kampfgruppen in der Slowakei und Bulgarien.
Die Ukraine setzt ihrerseits auf sogenannte kleine Allianzen zur Abschreckung Russlands, wie Außenminister Dmitro Kuleba erklärt. „Wir können Sicherheit und Wohlstand nicht irgendwann in der Zukunft erwarten, wenn wir Mitglieder der EU und der Nato werden. Wir brauchen sie jetzt.“
Vergangene Woche formalisierte Kiew ein Bündnis mit London und Warschau, die beide zu den wichtigsten ausländischen Unterstützern gehören. Es ergänzt bestehende regionale Formate wie das „Lubliner Dreieck“ zwischen der Ukraine, Polen und Litauen.
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Auch die Rüstungszusammenarbeit mit der Türkei, die dem osteuropäischen Land unter dem Protest Moskaus etwa Kampfdrohnen geliefert hat, gehört zur Strategie der „kleinen Allianzen“. Dazu kommt das „Assoziierte Trio“ zusammen mit Georgien und der Moldau.
Die trilaterale Partnerschaft mit Polen und Großbritannien soll die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit der Ukraine unterstützen. Die Sicherheitszusammenarbeit steht im Zentrum – es gehe um Waffen, Gaslieferungen und den Kampf gegen Desinformation, hieß es bei der Verkündung in Kiew. Eine Beistandspflicht analog zur Nato ist jedoch nicht vorgesehen.
Wir können Sicherheit und Wohlstand nicht irgendwann in der Zukunft erwarten, wenn wir Mitglieder der EU und der Nato werden. Wir brauchen sie jetzt. Der ukrainische Außenminister Dmitro Kuleba
Für die Ukraine bedeutet dies, dass ihre 250.000 aktiven Soldaten und 200.000 Reservisten einen Krieg mit Russland allein führen müssten. Die polnisch-ukrainisch-litauische Brigade mit ihren 4500 Mann wäre zwar einsatzfähig und nahm wiederholt an internationalen Übungen teil, wird aber aufgrund der heiklen Verquickung von Nato- und Nicht-Nato-Truppen kaum zum Einsatz kommen.
Die Allianzen bieten zusätzliche politische Rückendeckung, die nicht zuletzt Waffenlieferungen erleichtert: Dies bedeutet aber nicht, dass sich alle Waffenlieferanten mit Bündnissen an die Ukraine binden – Frankreich etwa sieht sich als wichtigen Vermittler gegenüber Russland.
Hinter Paris ist Warschau mit Waffengeschäften über mehr als 650 Millionen Euro zwischen 2014 und 2020 der zweitwichtigste Lieferant.
Dieses Volumen wird nun rasch ausgeweitet, wobei sich polnische Militärkreise vorstellen können, die stets etwas theoretische Unterscheidung zwischen Defensiv- und Offensivwaffen weiter aufzuweichen.
So meinte ein ehemaliger stellvertretender Verteidigungsminister, auch ein Panzer diene je nach Kontext der Verteidigung. Bereits eingeleitet ist die Lieferung großer Mengen an Munition für Flugabwehrkanonen sowie von Boden-Luft-Raketen.
Großbritannien hatte sich mit Waffenlieferungen lange eher zurückgehalten und in den sechs Jahren nach der Krim-Annexion lediglich Ausrüstung für 31 Millionen Euro nach Kiew verkauft.
Dies hat sich radikal geändert: Im Januar ratifizierte das ukrainische Parlament ein Geschäft über den Bezug von Schiffen für die Marine von den Briten im Wert von umgerechnet über zwei Milliarden Euro.
Raketen und finanzielle Unterstützung in dreistelliger Millionenhöhe
Unter dem Eindruck des eskalierenden Konflikts schickte London zudem Raketen zur Panzerabwehr. Das neue trilaterale Abkommen bringt zusätzliche finanzielle Unterstützung in dreistelliger Millionenhöhe mit sich.
Die wachsende Zahl von Allianzen verstärkt die Unübersichtlichkeit rund um die Ukraine, erhöht aber auch ihren Manövrierraum. Das ist für Kiew umso wichtiger, als sich wichtige Nato-Mitglieder wie Deutschland zurückhalten. Sie haben wenig Interesse daran, tiefer in den geopolitischen Treibsand hineingezogen zu werden als unbedingt nötig.
Großbritannien hingegen scheint entschlossen, politisch klar Place zu beziehen. Die Ukraine und ihr Nachbar Polen wissen hingegen angesichts der Überlegenheit Russlands aus leidiger Erfahrung, dass ein Abseitsstehen keine Choice darstellt.
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