Konkret geht es um die neuen Anti-Streik-Gesetze, die seit dem Sommer in Kraft sind und von den Arbeitnehmern verlangen, auch bei Streiks eine Mindestversorgung in Schlüsselbranchen sicherzustellen. Der Gewerkschaftsverband TUC sieht darin eine unzulässige Einschränkung des Streikrechts.
Die Regierung von Premier Rishi Sunak beharrt darauf, dass die verschärften Regeln zum Schutz der Bevölkerung notwendig seien. Hintergrund für den Streit sind die seit mehr als ein Jahr andauernden Massenstreiks von Eisenbahnern, Krankenschwestern, Ärzten und Lehrern in Großbritannien, die viele öffentliche Dienstleistungen immer wieder zum Erliegen gebracht haben.
Die britische Wirtschaft hat nach Berechnungen der Denkfabrik Resolution Foundation in den vergangenen zwölf Monaten rund vier Millionen Arbeitstage durch die Arbeitskämpfe verloren. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst fordern einen Ausgleich für die hohe Inflation, die bis vor Kurzem noch bei fast zehn Prozent lag, inzwischen aber auf 6,8 Prozent gesunken ist. Die Regierung hält das angesichts knapper Kassen für unbezahlbar.
„Die ILO hat der britischen Regierung bereits eine Ohrfeige verpasst und sie aufgefordert, dafür zu sorgen, dass bestehende und künftige Gesetze mit den ILO-Normen in Einklang stehen“, sagte TUC-Chef Paul Nowak beim Gewerkschaftstag seiner Organisation in Liverpool. „Diese Gesetze sind nicht dazu gedacht, Konflikte am Arbeitsplatz zu lösen, sondern sie sollen sie eskalieren. Sie sind undurchführbar, undemokratisch und verstoßen mit Sicherheit gegen internationales Recht.“
Die Regierung sieht das gänzlich anders: „Der Zweck dieser Gesetzgebung ist es, das Leben und den Lebensunterhalt der Allgemeinheit zu schützen und sicherzustellen, dass sie während eines Streiks weiterhin Zugang zu lebenswichtigen öffentlichen Diensten hat“, rechtfertigte ein Regierungssprecher die neuen Gesetze.
Gewerkschaften drohen Schadenersatzklagen
Für Sanitäter, Feuerwehrleute und Eisenbahner sollen die Regeln auch gegen den Widerstand der Beschäftigten durchgesetzt werden. Wer dagegen verstößt, muss mit arbeitsrechtlichen Sanktionen bis zur Entlassung rechnen. Den beteiligten Gewerkschaften drohen Schadenersatzklagen. Bei anderen Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheitsversorgung hofft die Regierung auf freiwillige Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern.
Danach sieht es allerdings im Moment nicht aus. Die TUC wollte ihre Mitglieder am Montag auf Antrag der Transportarbeitergewerkschaft RMT über eine Kampagne abstimmen lassen, mit der die Gewerkschafter zum Widerstand gegen die neuen Regeln aufgefordert werden.
„Wenn der erste Arbeiter entlassen wird, weil er sich weigert, an einem Streiktag zu arbeiten, werden wir in den Betrieben und an den Streikposten kämpfen“, sagte TUC-Chef Nowak am Montag.
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Zuletzt hatten die Eisenbahner am 2. September den Bahnverkehr in vielen Teilen Großbritanniens lahmgelegt, um höhere Löhne durchzusetzen. Sie drohen nun damit, auch die Anreise zum Parteitag der Tories Anfang Oktober mit Streiks zu erschweren.
Labour-Partei rückt weiter in die politische Mitte
Die TUC hatte bereits vor ihrer Jahrestagung den Konflikt mit der Regierung verschärft und eine Vermögensteuer für die 140.000 reichsten Briten ins Gespräch gebracht. Unterstützung für den kontroversen Vorschlag von der traditionell eng mit den Gewerkschaften verbundenen Labour-Partei kann der Gewerkschaftsbund jedoch nicht erwarten. Rachel Reeves, die bei einem Wahlsieg der in den Umfragen weit vorne liegenden Labour-Partei Finanzministerin werden soll, hat solche Pläne bislang abgelehnt.
Das Verhältnis zwischen den Gewerkschaften und Labour hat sich spürbar abgekühlt. Sharon Graham, Generalsekretärin der zweitgrößten britischen Gewerkschaft Unite, hatte im Sommer Labour-Chef Keir Starmer davor gewarnt, die Unterstützung der Arbeitnehmerorganisationen als „Blanko-Scheck“ zu betrachten.
Die Partei sammelte zuletzt mehr Spenden von Unternehmern als von den Gewerkschaften.
(Foto: AP)
Zuvor hatte Starmer den Zorn vieler Gewerkschafter auf sich gezogen, als er die Labour-Parlamentsabgeordneten anwies, bei den Massenstreiks nicht als Streikposten zu fungieren. Der Oppositionsführer will seine Partei vom sozialistischen Image befreien, das sein Vorgänger Jeremy Corbin der Arbeiterpartei gegeben hatte.
Starmer möchte Labour dagegen nach dem Vorbild des ehemaligen britischen Premiers Tony Blair wieder mehr in die politische Mitte rücken, um seine Chancen bei den voraussichtlich im kommenden Jahr stattfindenden Parlamentswahlen zu verbessern. Der Labour-Chef traf am Montagabend mit den Gewerkschaftsführern zusammen.
Supermarkt-Eigentümer Sainsbury spendet für Labour
Auch finanziell ist Labour nicht mehr so stark von den Spenden der Gewerkschaften abhängig wie früher. Im zweiten Quartal 2023 erzielte die Partei nach Angaben der Wahlkommission Rekordeinnahmen von 10,4 Millionen Pfund (rund 12 Millionen Euro).
Die beiden größten Einzelspenden kamen dabei von den Unternehmern David Sainsbury (drei Millionen Pfund) und Gary Lubner (2,2 Millionen Pfund). Der Eigentümer der Supermarktkette Sainsbury’s hatte seine Spenden während der Corbyn-Ära eingestellt. Von den Gewerkschaften erhielt Labour in den drei Monaten bis Juni insgesamt 2,7 Millionen Pfund.
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