Eigentlich könnten die Vorstandschefs der deutschen und der europäischen Banken dem neuen Jahr ziemlich entspannt entgegensehen. Bislang haben die Geldhäuser die Pandemie deutlich besser überstanden als befürchtet. Sollte sich Omikron nicht doch noch als äußerst üble Überraschung herausstellen, müsste die Vorsorge für faule Kredite eigentlich reichen, um die Coronarisiken im Griff zu behalten.
Dazu kommen alles in allem recht robuste Wachstumsaussichten und die berechtigte Hoffnung, dass sich allmählich etwas an der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) ändern könnte.
Der überraschende Inflationsschub in diesem Jahr ist für die Banken im Prinzip eine gute Nachricht, weil die steigenden Preise die EZB wohl zu einem zumindest etwas strengeren Kurs zwingen werden.
Eine Leitzinserhöhung dürfte zwar noch ein gutes Stück weit entfernt sein, aber Analystenschätzungen zeigen, wie stark der Hebel einer strikteren Geldpolitik auf das Ergebnis der Geldhäuser ist. Eine Zinserhöhung um einen Prozentpunkt würde dafür sorgen, dass die Gewinne der europäischen Banken um bis zu 25 Prozent höher ausfallen.
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So schlecht sind die Aussichten der Branche additionally gar nicht. Warum warnen dann Aufseher wie die Vizechefin der Bundesbank, Claudia Buch, oder der Chef der deutschen Finanzaufsicht Bafin, Mark Branson eindringlich vor Gefahren in den kommenden Monaten?
Die Dosis macht das Reward
Eine wichtige Antwort auf diese Frage lässt sich aus der Medizin ableiten. Manche Stoffe, die als besonders gesund gelten, zum Beispiel einige Vitamine, verwandeln sich ab einer bestimmten Dosis in Gifte. Ähnlich verhält es sich mit den Zinsen für die Banken.
Steigen sie moderat und vor allem kontrolliert, dann gehört die Branche zu den großen Profiteuren. Kommt es allerdings zu einem plötzlichen unkontrollierten Anstieg der Marktzinsen, kann das ziemlich heikle Folgen haben, zum Beispiel bei Immobilienkrediten.
Rund die Hälfte dieser Darlehen vergeben die Geldhäuser in Deutschland mittlerweile mit einer Zinsbindungsfrist von mehr als zehn Jahren. Das Geschäft boomt – auch in der Pandemie. Umso größer wäre die Gefahr, wenn sich die Banken plötzlich zu deutlich höheren Kosten refinanzieren müssten.
Ein plötzlicher Anstieg der Zinsen wäre nicht nur für die Banken schwierig: Versicherer, aber auch Fonds sind verwundbar. Wenn langfristige Markttrends kippen, dann verläuft das selten reibungslos.
Sollte 2022 wirklich zum Jahr der geldpolitischen Wende werden, wird das kaum ohne Verwerfungen vonstattengehen. Genau davor haben die Aufseher völlig zu Recht Respekt, und den sollten auch die Banken haben.
Mehr: Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch: „Wir sehen zunehmende Verwundbarkeiten im Finanzsystem“