Berlin Bis 2030 müssen Dutzende neuer Gaskraftwerke in Betrieb gehen. Sie sollen als Back-up-Kapazitäten genutzt werden, wenn Wind und Sonne keinen Strom liefern. Doch wer diese Kraftwerke bauen soll, ist unklar.
Das Bundeswirtschaftsministerium arbeitet an einer Kraftwerksstrategie, die Neubauten anreizen soll, doch bislang sind keine Details bekannt. Die Branche pocht auf Transparenz und mahnt zur Eile.
Der Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW und die Kraftwerksbetreiber Steag und GKM haben nun einen eigenen Vorschlag erarbeitet: Die Unternehmen plädieren dafür, einen Neubauvorschuss einzuführen.
Konkret fordern sie, dass die Vergütungen, die schon heute für Kraftwerkseinsätze gezahlt werden und die der Netzstabilisierung dienen („Redispatch“), bereits zum Zeitpunkt der Investition in ein neues Kraftwerk garantiert werden. Diese Vergütungen könnten dann ohne Risikoabschlag in die Investitionsrechnung eines Kraftwerkbetreibers aufgenommen werden.
Der Clou: Die Investitionsanreize würden exakt dort entstehen, wo potenzielle Investoren große Beiträge ihrer Kraftwerke zur Netzstabilisierung erwarten. Es würde somit genau dort der Neubau von Kraftwerken angereizt, wo der Netzausbau den Zielen hinterherhinkt, neue Kraftwerke deshalb zur Netzstabilisierung ohnehin unverzichtbar sind und künftig als Back-up dringend benötigt werden dürften. Das ist besonders im Westen und Südwesten Deutschlands der Fall.
„Die Anlagen entstehen regional dort, wo sie zur Nachfragedeckung und zur Netzstabilisierung gebraucht werden“, heißt es in einem Konzept, das die drei Unternehmen von dem auf Energiethemen spezialisierten Beratungsunternehmen Enervis haben anfertigen lassen.
Gefährdung der Versorgungssicherheit befürchtet
Die Initiatoren drücken dabei aufs Tempo. „Die notwendigen Entscheidungen müssen jetzt getroffen werden, damit ab 2030 eine möglichst große Zahl von Anlagen mit disponibler Leistung in Betrieb gehen können – die Zeit läuft“, sagte Holger Becker, kaufmännischer Vorstand beim Grosskraftwerk Mannheim (GKM). Anteilseigner der GKM sind RWE, EnBW und MVV.
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Andreas Reichel, Chef des Kraftwerksbetreibers Steag, argumentiert, Kraftwerksbetreiber benötigten Investitionssicherheit und „ein Marktmodell, das nicht nur Stromerzeugung, sondern auch bereitgestellte Kapazität vergütet“. Andernfalls sei die Versorgungssicherheit gefährdet. Reichel nennt damit den Kern des Problems. Es ist zwar unumstritten, dass neue Gaskraftwerke entstehen müssen, weil ansonsten die gesicherte Kraftwerksleistung in Deutschland zu knapp bemessen ist.
Da der Ausstieg aus der Kernkraftnutzung bereits vollzogen ist und der Kohleausstieg bis 2030 folgen soll, müssen bis dahin Gaskraftwerke mit einer Leistung von bis zu 25 Gigawatt zusätzlich am Netz sein. Das entspricht rund 50 großen Kraftwerksblöcken.
Da diese Kraftwerke aber mit wachsendem Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung tendenziell immer seltener zum Einsatz kommen, um die Stromnachfrage zu decken, halten sich potenzielle Investoren zurück. Sie fürchten, dass sich ihre Investition nicht lohne.
Position des Wirtschaftsministeriums unklar
Das Geld, das die Kraftwerksbetreiber schon heute mit Netzstabilisierungsmaßnahmen verdienen, soll nun als Brücke zur Rentabilität dienen, indem es als Vorschuss ausgezahlt wird. Die Auszahlung erfolgt bislang im Nachgang und ist zum Zeitpunkt der Investition ungewiss.
Werner Götz, Chef des Übertragungsnetzbetreibers TransnetBW, argumentiert, es handele sich „um eine kurzfristige, sehr kosteneffiziente Option für eine zukünftig sichere und stabile Energieversorgung“. Die Systemkosten erhöhten sich insgesamt nicht.
Wie das Wirtschaftsministerium zu solchen Überlegungen steht, ist unklar. Zwar hat auch Minister Robert Habeck (Grüne) immer wieder gesagt, dass er Anreize für den Kraftwerksbau für unverzichtbar hält. Details sind aber nicht bekannt.
Auf Anfrage hieß es aus dem Ministerium, man arbeite an einer Kraftwerksstrategie, die Instrumente umfassen werde, „die kurz- bis mittelfristig zu Investitionen in Neubauten und Modernisierungen von 25 Gigawatt steuerbaren Kapazitäten führen sollen“. Man führe Gespräche mit der EU-Kommission zu beihilferechtlichen Fragen und gehe davon aus, dass Bekanntmachungen der ersten Ausschreibungen bis Ende des Jahres erfolgten.
Maschinenbauer wollen eine rasche Lösung
In der Branche wächst der Unmut, weil die Zeit drängt. Viele Akteure fürchten, dass das Ministerium komplexe Systeme entwickelt, die sich als nicht praktikabel erweisen.
„Die Unternehmen brauchen schnellstmöglich Klarheit darüber, wie genau die Ausschreibungen im Rahmen der Kraftwerksstrategie aussehen werden. Wichtig ist zudem, dass Genehmigungsverfahren beschleunigt und von einer Gelingenshaltung in den Genehmigungsbehörden geprägt sind“, sagte Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Beim Ausbau zusätzlicher steuerbarer Leistung sei besondere Eile geboten, wenn wir den Kohleausstieg bis 2030 erreichen wollen, sagte Andrae. „Projektrealisierungszeiten im Kraftwerksbau betragen zwischen vier und sieben Jahren“, sagte die BDEW-Chefin.
Auch beim Verband der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) wächst die Ungeduld. „Der Energieanlagenbau braucht jetzt schnell eine klare und verlässliche Perspektive, um langfristig Produktionskapazitäten bereitzustellen. Hierfür sind möglichst marktnahe Ansätze zielführend“, sagte Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer von VDMA Power Systems. „Da die ersten Ausschreibungen noch in diesem Jahr stattfinden sollen, braucht es einen Dialog mit der Branche über die passenden Rahmenbedingungen für Investitionen in Versorgungssicherheit“, fordert Rendschmidt.