Düsseldorf Künstliche Intelligenz (KI) verändert die Welt – darüber sind sich Wissenschaftlerinnen, Unternehmenslenker und Politiker zunehmend einig. Entsprechend gibt es eine Vielzahl von Büchern zum Thema. Viele ähneln einer Technikanleitung oder beschreiben eine Vision dessen, wie die Menschen in Zukunft zusammenleben und arbeiten werden. Da kommt das Buch „Menschenversteher – Wie Emotionale Künstliche Intelligenz unseren Alltag erobert“ der deutsch-marokkanischen Ingenieurin und KI-Expertin Kenza Ait Si Abbou gerade recht.
Die Autorin wuchs in Marokko auf, studierte Elektrotechnik und Telekommunikation in Spanien und Berlin, arbeitete als KI-Expertin zunächst bei der Deutschen Telekom und jetzt bei IBM Deutschland. Sie setzt sich für Technologieoffenheit an Schulen und die Förderung von Frauen in Technikberufen ein.
Ihr erstes, 2020 veröffentlichtes Buch „Keine Panik, ist nur Technik“ wurde zum „Spiegel“-Bestseller. Nun widmet sie sich also konkret der Künstlichen Intelligenz.
Schon heute gibt es KI, die biometrische Daten wie Gesichtszüge oder Stimmen erfasst und automatisiert Rückschlüsse auf die Emotion dieser Person zieht. Anhand von Mimik, Gestik und Hirnströmen können hochauflösende Kameras und Sensoren schon heute Gefühle ablesen, zum Beispiel die Gemütsverfassung von Kunden bei einer Reklamation. In der Medizin etwa sollen künftig bei der Früherkennung von Parkinson Diagnoseinstrumente zum Einsatz kommen, die Gesichtsausdrücke lesen.
Dass die wirtschaftliche Bedeutung emotionaler Künstlicher Intelligenz steigt, zeigen auch Zahlen. Das Marktvolumen von Technologien zur Emotionserkennung durch KI steigt laut Angaben des Marktforschers „Markets and Markets“ von 23,5 Milliarden US-Dollar 2022 auf 42,9 Milliarden US-Dollar im Jahr 2027. 2015 lag das Marktvolumen weltweit noch bei lediglich etwa fünf Milliarden US-Dollar.
Besserer Zugang zu den eigenen Emotionen
Ait Si Abbou beschreibt zu Beginn des Buchs ein Fotoshooting mit einem Roboter, „Pepper“, der das Buchcover schmückt. Das „Date“ mit der Maschine läuft allerdings nicht so, wie Ait Si Abbou es sich erhofft hat: Pepper sei leicht ablenkbar. Sobald etwas in seiner Umgebung passiere, wende er sich ab – schlechte Voraussetzungen für ein gelungenes Date. Trotzdem verabschiedet sich die Autorin nur ungern von ihm. Er sei Teil des Teams geworden, schreibt sie.
Diese Einleitung ist beispielhaft für den Ton, den die Autorin in ihrem Buch wählt. Sie erklärt technisch komplexe Zusammenhänge anhand ihrer eigenen Erfahrungen als Robotik-Expertin, Partnerin, Mutter und Führungskraft. Sie fragt kritisch nach, welche Rolle der Mensch im Verhältnis mit Maschinen einnimmt und wie er dabei seine Selbstbestimmung bewahrt. Dank ihrer Erzählform ist das Buch für alle an Technik und den gesellschaftlichen Folgen Interessierten geeignet, auch ohne Vorwissen im Bereich KI.
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Hervor stechen auch Thesen, die in der Debatte um KI zu selten gehört werden. Künstliche Intelligenz, also Maschinen, könnte Menschen helfen, ihre Emotionen besser kennenzulernen, schreibt die Autorin – und auf diese Weise ihre Zusammenarbeit mit Kollegen zu verbessern, das Schulsystem menschenfreundlicher zu gestalten, die Medizin und Pflege zu revolutionieren sowie die eigene Kreativität und den Innovationsgeist zu fördern.
Wie können Maschinen also Menschen dabei helfen, Zugang zu ihren eigenen Emotionen zu finden? Im Hinblick auf die Arbeitswelt der Zukunft, in der Mensch und Maschine ein Team bilden, bedeutet das: Während Roboter die Routineaufgaben übernehmen, hätten Menschen mehr Zeit, sich ihren eigenen – menschlichen – Stärken zuzuwenden, nämlich ihrer Fantasie, Neugier, Empathie und ihrem Innovationsgeist.
Kenza Ait Si Abbou: Menschenversteher
Droemer HC
München 2023
256 Seiten
20 Euro
Die KI mache das Bildungswesen auf der anderen Seite insofern menschenfreundlicher, indem eine Lernsoftware Wissen wie zum Beispiel die Fähigkeit zu schreiben vermittelt, während Lehrer durch die Klasse gehen, beobachten, wie sich die Kinder fühlen, und individuell coachen, schreibt die Autorin.
Am Ende des Buchs stellt Ait Si Abbou klare Forderungen: Das Training von Maschinen dürfe nicht den Tech-Konzernen überlassen werden. Maschinen lernten anhand von Daten, die Nutzerinnen und Nutzer mit jedem Klick hinterlassen.
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Dadurch würden sie zu Prosumern, zu Menschen also, die gleichzeitig Produzenten und Konsumenten sind. Ihnen komme die Verantwortung zu, durch die Art ihrer Nutzung das Produkt selbst mitzugestalten. Deshalb fordert sie eine kritische Auseinandersetzung mit der Technologie.
Tech-Konzerne müssten dagegen mit den Mitteln des Staates reguliert werden – durch Standards, die Innovationen lenken, etwa Regeln im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte und die eigenen Daten, aber auch im Hinblick auf die Verpflichtung, Steuern zu zahlen und transparent Rechenschaft über die gesellschaftlichen Folgen der Innovationen abzulegen.