Der VW-Betriebsrat hatte nach dem BGH-Urteil Klagen angekündigt und von einem „ bundesweiten Angriff auf die Mitbestimmung“ gesprochen.
Düsseldorf Nach Gehaltskürzungen im Anschluss an eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) blickt Volkswagen Dutzenden Klagen von Betriebsräten entgegen. Wie das Handelsblatt von mehreren mit der Sache vertrauten Personen erfuhr, sind mindestens fünf Verfahren bei Arbeitsgerichten anhängig, zwei in Hannover und drei in Braunschweig. Ein Versuch, sich in einem Gütetermin zum Auftakt des Verfahrens zu einigen, scheiterte, nun muss weiterverhandelt werden.
Zudem haben bis zu 15 weitere Arbeitnehmervertreter konkret Klagen angekündigt, heißt es aus Kreisen, die mit den Verfahren vertraut sind. Demnach könnten auch in Kassel und Emden bald Arbeitnehmervertreter gegen VW vor Gericht ziehen.
Deutschlands größter Autobauer hat im Februar infolge eines Urteils des BGH knapp 80 Arbeitnehmervertretern die Gehälter gekürzt und stößt damit auf Widerstand. „Der ganz überwiegende Teil wird den Klageweg wählen“, kündigte ein Betriebsratssprecher an – und nannte eine mittlere zweistellige Anzahl an Klägern.
Ein Konzernsprecher hält es für „nachvollziehbar, dass die Betroffenen den Klageweg beschreiten“ und über ein arbeitsgerichtliches Verfahren Klarheit zu ihrer Vergütung als Betriebsrat suchen. „Dies liegt auch im Interesse der Volkswagen AG.“ Insoweit begrüße das Unternehmen „die zu erwartende Klärung durch die Arbeitsgerichte als zuständige Fachgerichtsbarkeit“.
VW hatte nach Handelsblatt-Informationen seinen Betriebsräten in der Spitze das Gehalt um bis zu 4000 Euro monatlich gekürzt. Bei den ersten Fällen, die nun verhandelt werden, geht es jedoch um deutlich kleinere Summen.
Knapp 300 Euro weniger
So ging es in dem am Dienstag erstmals verhandelten Fall in Hannover um ein Mitglied des Betriebsrats von VW-Nutzfahrzeuge, das nach dem BGH-Urteil von Entgeltstufe 14 (aktuell: 5177 Euro) auf Entgeltstufe 13 (4879 Euro) gefallen war. Zudem sollte der Betroffene rund 1500 Euro seines Gehalts zurückzahlen.
In einem weiteren Fall eines Betriebsrats aus Salzgitter, der am Donnerstag in Braunschweig verhandelt werden soll, geht es um eine Reduzierung von Stufe 12 (4598 Euro) auf Stufe 11 (4317 Euro). Genau wie der Betriebsrat in Hannover wurde auch der Arbeitnehmervertreter aus Salzgitter jahrelang nach dem Modell der „hypothetischen Karriere“ bezahlt.
Dabei wird vereinfacht gesagt geschätzt, welchen Werdegang ein Arbeitnehmer ohne die Betriebsratstätigkeit eingeschlagen hätte. Das ist ein beliebtes Vergütungsmodell für zahlreiche Betriebsräte in deutschen Industrieunternehmen, nicht nur bei VW.
Der BGH erklärte dieses Vergütungsmodell Mitte Januar jedoch für unzulässig. Den Richtern zufolge sei ein Betriebsratsgehalt „nach der Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung zu bemessen“. VW hat infolge des Urteils Dutzende Gehälter von Arbeitnehmervertretern nach unten anpassen müssen.
Vor Gericht wird nun unter anderem darüber gestritten, welche Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer die richtige für die betroffenen Betriebsräte ist. Die Arbeitnehmerseite sieht im ersten Fall in Hannover eine höhere Entgeltstufe als angemessen an, VW eine niedrigere.
Frage nach entsprechender Vergleichsperson
Der Konzern muss bis zum 28. April die Vergleichspersonen offenlegen und erläutern, warum genau diese Personen und nicht andere oder eine größere oder eine kleinere Gruppe angemessen sein sollen. Zu Details des laufenden Verfahrens wollte sich VW nicht äußern.
Überraschend kommen die Klagen nicht. Der VW-Betriebsrat hatte nach dem BGH-Urteil Klagen angekündigt und von einem „ bundesweiten Angriff auf die Mitbestimmung“ gesprochen. Auch die Gewerkschaft IG Metall hatte gemahnt, dass das Urteil für die Betroffenen „zu einer enormen Rechtsunsicherheit“ führe, und den Gesetzgeber aufgefordert, für Rechtsklarheit zu sorgen.
Die Interpretation des BGH als höchstem deutschen Strafgerichts steht in Konflikt zu früheren Urteilen mehrerer Arbeitsgerichte und des Bundesarbeitsgerichts. Der Richter, der nun den Fall in Hannover verhandelte, deutete an, dass die besprochenen Fragen sicherlich in Erfurt landen könnten – dem Sitz des Bundesarbeitsgerichts.