Frankfurt Die großen Erfindungen der Luftfahrt haben zwar fast alle mit einer zunächst kühnen Vision begonnen. Doch Hans-Georg Kinsky und Markus Steinke haben auch den Realismus noch nicht verloren – trotz aller Begeisterung für ihre Idee. „Bis unsere Technologie massenmarktfähig sein wird, werden wir bei den Investitionen sicherlich nördlich der 150 Millionen Euro landen“, räumt Kinsky freimütig ein. Zu häufig haben die beiden gesehen, wie Luftfahrt-Start-ups ihre eigenen Prognosen korrigieren mussten.
Die Technologie der beiden Gründer ist ein sogenannter Cykloid-Rotor oder auch Cyclo-Rotor. Ihre Firma, die im österreichischen Linz zu Hause ist, haben sie entsprechend Cyclotech genannt. Kinsky führt das Unternehmen als CEO, Steinke als Technologie- und Entwicklungschef. Vorlage für den neuen Antrieb ist die Schifffahrt. Schon 1926 entwickelte Ernst Schneider den sogenannten Voith-Schneider-Propeller, der ein wenig an ein Schaufelrad erinnert.
Werden die kreisförmig angeordneten Flügel verstellt, ändert sich nicht die Kraft des Antriebs, sondern auch die Richtung, in die diese wirkt. Schiffe mit Voith-Schneider-Propeller sind dadurch extrem manövrierfähig, sie können mehr oder weniger auf der Stelle drehen. Schon seit vielen Jahren versuchen sich Luftfahrtenthusiasten daran, den Schiffsantrieb in die Luft zu bekommen – bis heute hat es keiner geschafft.
Auch Cyclotech werkelt bereits seit fast 20 Jahren an der Technologie – früher unter einem anderen Namen. Kinsky spricht scherzhaft vom „ältesten Start-up Österreichs“. „Fast genauso lange, wie es den Voith-Schneider-Propeller in der Schifffahrt gibt, gibt es Versuche in der Luftfahrt, bislang aber erfolglos. Wir werden das jetzt schaffen“, gibt sich Kinsky zuversichtlich.
Klar ist aber: Es wird dauern, bis etwas entstanden ist, das auch verkauft werden kann. „Wir gehen davon aus, dass wir Anfang der 2030er-Jahre so weit sein werden, ein marktfähiges Produkt zu haben“, sagt Kinsky.
Der neue Rotor soll das Fliegen komfortabler machen
Cyclotech will keine kompletten Flugvehikel bauen. Die Firma wolle einen neuen, klimaneutralen Antrieb für die Luftfahrt entwickeln und in den Markt bringen, so Kinsky. „Erst die Erfindung des Triebwerks sorgte für den Durchbruch der Luftfahrt. Es ist das entscheidende Element“, ist Entwicklungschef Steinke überzeugt.
Für die Luftfahrt wäre die Möglichkeit, ähnlich wie auf See perfekt zu manövrieren, ein großer Vorteil, sagt Steinke. Er nennt das die „dreidimensionale 360-Grad-Steuerung“. „Man kann mit dem Fluggerät zum Beispiel seitwärts fliegen. Man muss sich nicht in die Kurve legen, das bedeutet einen deutlich höheren Komfort für die Passagiere“, so der Entwicklungschef. Denn die Fluggastzelle könne immer waagerecht gehalten werden.
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Böen und überraschende Strömungen könnten so viel besser ausgeglichen werden. „Das Flugvehikel ist in der Lage, sich selbst zu stabilisieren. Das ist wichtig, denn für das Stadtgebiet gibt es viele unterschiedliche, sich ändernde Böen und Luftwirbel, für die es keine Wettervorhersage gibt.“
Noch liegt allerdings viel Arbeit vor den 43 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Linz. Luftfahrtexperten sehen vor allem zwei Herausforderungen: Zum einen sei das Gewicht der Rotoren durch die Scheiben und Lager hoch. Zum anderen sei die umströmte Fläche groß, entsprechend hoch sei auch die Reibung.
Der Unternehmer will demnächst bei Investoren frisches Geld einsammeln.
(Foto: CycloTech)
Steinke und Kinsky kontern solche Kritik: Durch Leichtbaumaterialien habe man heutzutage ganz neue Möglichkeiten bei der Konstruktion. Außerdem sei es mit virtueller Simulation möglich, Einstellungen auch ohne teure Prototypen zu erproben.
„Aktuell befindet sich die Technologie in einem guten Laborstadium“, sagt Florian Holzapfel, Professor für Flugsystemdynamik an der Technischen Universität München (TUM). Projekte weltweit hätten bereits belegt, dass Cyclo-Rotoren für den Flug einsetzbar seien. „Und es werden neue Fähigkeiten für die Luftfahrt gezeigt. Das ist Grund genug, sie für bestimmte Anwendungen weiterzuentwickeln.“
Experten sehen die Technologie in einem „guten Laborstadium“
Alleine die Möglichkeit, den Betrag und die Richtung der Kraft blitzschnell ändern zu können, sei Grund genug, weiter an der Technologie zu arbeiten. Allerdings: „Die Technologie hat eine Chance, aber am Anfang eher eine Chance als Zusatzaggregat, beispielsweise um die Manövrierbarkeit von existierenden Flugvehikeln zu erhöhen.“ So könnten Erfahrungen gesammelt und die Glaubwürdigkeit erhöht werden. Das sei in der sehr konservativen und auf Sicherheit bedachten Luftfahrtbranche wichtig.
Der Technologie- und Entwicklungschef von Cyclotech sieht einen ersten Markt für den neuen Antrieb als Zusatzaggregat für existierende Fluggeräte wie Drohnen.
(Foto: CycloTech)
Gleich ein komplettes Fluggerät damit zu bauen, davon rät Holzapfel ab: „Es ist die Frage, ob man gleich mit einem Flugsystem an den Markt geht, bei dem man für den sicheren Flug auf den Ansatz angewiesen ist und das Risiko eingeht, dass es zu schwerwiegenden Ausfällen kommt, die der Technologie am Ende schaden.“
Das hat man in Linz auch nicht vor. Cyclotech ziele auf die zweite Welle nach den heutigen Flugtaxen, sagt Entwicklungschef Steinke. „Unser Cyclo-Rotor kann zum Beispiel auch als Hilfsaggregat zur Stabilisierung einer Drohne eingesetzt werden.“
Bei allem Realismus – auch bei Cyclotech gibt es Träume, die eher abenteuerlich klingen. „Unsere Vision ist, dass Menschen zu Hause in ihr Fluggerät mit unserem Antrieb steigen und ohne Stau klimaneutral zu ihrem Ziel etwa in der Stadt oder im Umland fliegen können“, sagt Steinke.
Die Firma plant nicht, Fluggeräte komplett selbst zu fertigen.
(Foto: CycloTech)
Bis dahin braucht das Team vor allem zwei Dinge: Geld und eine erfolgreiche Zulassung durch die Behörden. In den vergangenen 20 Jahren habe man insgesamt rund 20 Millionen Euro in die Firma gesteckt, überwiegend aus eigener Tasche, berichtet Kinsky. Daneben sei ein Privat-Equity-Unternehmen engagiert: „Wir suchen aktuell nach frischem Kapital, führen dazu schon erste vielversprechende Gespräche. Im Herbst wird es eine Finanzierungsrunde geben.“
Bei der Zulassung wiederum wollen die beiden Unternehmer warten, bis es wirklich etwas zu zeigen gibt. Bisher testet das Start-up den neuartigen Antrieb lediglich mit einem kleinen Demonstrator ohne Aufbau – zunächst in einer Halle, zuletzt aber auch unter freiem Himmel. „Wir verfolgen natürlich die Regulierung der EASA und der FAA für elektrische Senkrechtstarter“, sagt Kinsky: „Aber wir selbst sind da noch nicht vorstellig geworden. Das wollen wir dann noch vor Beginn der Zertifizierungsphase, die ab dem Jahr 2027 beginnt, machen.“