Deutschlands wichtigste börsennotierte Unternehmen betrachten vor allem geopolitische Entwicklungen, Inflation und Cybervorfälle als Risiken für ihr Geschäft
Düsseldorf
Deutschlands wichtigste börsennotierte Unternehmen betrachten vor allem geopolitische Entwicklungen, Inflation und Cybervorfälle als Risiken für ihr Geschäft. Dahinter folgen Produktions- und Lieferengpässe sowie regulatorische Risiken. Mindestens rund drei Viertel der in den Auswahlindizes Dax, MDax und SDax gelisteten Unternehmen identifizieren diese Faktoren als Gefahr.
Zu diesem Ergebnis kommt eine wissenschaftliche Analyse der Kommunikationsberatung Crunchtime in Kooperation mit der Universität Hohenheim in Stuttgart. Sie betrachtet, welche Risiken Unternehmen beschäftigen und wie sie in den jüngsten Geschäftsberichten damit umgehen. Die Studie liegt dem Handelsblatt vorab exklusiv vor.
Der Crunchtime Risikomonitor wertet dabei erstmals Risikoberichte sowie Vorstandsvorworte aus den Geschäftsberichten börsennotierter Unternehmen aus. Analysiert wurden 151 von 160 Berichten, die im Leitindex Dax, dem Nebenwerteindex MDax sowie dem Small-Caps-Index SDax geführte Konzerne von Anfang Februar bis Ende April 2023 veröffentlicht haben.
Mit einem Anteil von 83 Prozent der in den Risikoberichten thematisierten Gefahren sind geopolitische Auswirkungen der Spitzenreiter. Nur knapp dahinter folgen mit je 79 Prozent Inflation sowie Cybervorfälle. Bemerkenswert: Nur rund jedes zweite Unternehmen der gesamten Stichprobe benennt den Klimawandel als Risikofaktor.
„Lange Zeit profitierten deutsche Unternehmen von der Globalisierung. Jetzt zeigt sich die Kehrseite der Medaille“, sagt Frank Brettschneider, Professor für Kommunikationswissenschaft und an der Universität Hohenheim verantwortlich für die Risikomonitor-Analyse.
Er nimmt Bezug auf die Besorgnis durch geopolitische Entwicklungen und erläutert: „Damit verbunden sind Risiken wie Produktions- und Lieferengpässe.“ Entscheidende Treiber für die Einschätzung der Firmen liegen auf der Hand: der Ukrainekrieg sowie die Konflikte zwischen den USA und China.
Entsprechend erwähnen die CEOs der Dax-Familie die Geopolitik auch in den Vorworten zu den Geschäftsberichten – als Risiko, worauf sie selbst kaum Einfluss haben. Gleichzeitig scheuen die Vorstände laut Studie offenbar, Gefahren anzusprechen, die sie selbst steuern könnten.
Conti-CEO thematisiert Cyberangriffe nicht im Vorstandsbrief
Das eindrücklichste Beispiel: Cyberbedrohungen liegen bei der Risikoeinschätzung auf dem geteilten zweiten Platz. Doch während Geopolitik (34 Prozent) und Inflation (23 Prozent) in den Ansprachen am häufigsten thematisiert werden, tauchen Cyberbedrohungen darin nahezu nicht auf.
Nur ein Prozent der 151 CEOs – exakt zwei – thematisieren Cybervorfälle demnach. Als „überraschend“ bewertet Johannes Fischer, Geschäftsführer von Crunchtime, diese geringe Ansprache: „Statistisch gesehen werden jährlich rund 50 Prozent der Unternehmen Opfer von Cyberangriffen, die ein erhebliches Risiko für Reputation und Geschäft darstellen.“
Man könne zwar aus der Zurückhaltung im Vorstandsvorwort nicht ableiten, dass das enorme Schadenpotenzial von Cyberkrisen nicht gesehen werde. Jedoch würden Vorstände in der öffentlichen Positionierung versuchen, „sich nicht zu stark mit Krisenthemen im unmittelbaren Unternehmensumfeld in Verbindung zu bringen“, meint Fischer.
Der Chef des Dax-Konzerns Continental etwa, Nikolai Setzer, thematisiert die Cyberrisiken in seinem Vorstandsbrief nicht. Und das, obwohl Conti 2022 Ziel eines groß angelegten Cyberangriffs war. Kriminelle griffen 40 Terabyte Daten bei dem Autozulieferer ab. Der Risikobericht von Conti hingegen widmet sich dem Angriff und künftigen IT-Risiken explizit.
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Anders geht das Windkraftunternehmen Nordex vor, das 2022 Ziel einer Cyberattacke war: CEO José Luis Blanco greift den Vorfall in seinem Vorstandsbrief nun auf.
Am sensibelsten für geopolitische Risiken zeigen sich laut Erhebung Konzerne aus den Branchen Energie/Rohstoffe, Handel/Konsum sowie Maschinenbau, Verkehr und Logistik. Mehr als 90 Prozent der analysierten Firmen dieser Branchen benennen diese Gefahr – sie liegen noch einmal signifikant über dem Schnitt von 83 Prozent in der gesamten Stichprobe.
Auch die Angst vor Produktions- und Lieferengpässen ist in diesen Branchen höher als im Schnitt aller Unternehmen (79 Prozent). Am wenigsten sensibel für Risiken zeigen sich laut Studie in ihren Berichten Finanzunternehmen. Sie adressieren insbesondere Cyberrisiken weit weniger als Gefahr – nur 53 Prozent thematisieren sie überhaupt.
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