Hamburg Mehr als drei Stunden am Tag verbringen die Deutschen im Schnitt an ihrem Smartphone. Die meisten sind dabei schon mit Anwendungen der Applike Group in Berührung gekommen. Das Start-up entwickelt und vermarktet Spiele und kümmert sich um technologiegetriebene Werbung.
Das ist ein Milliardengeschäft: Der globale App-Markt wird laut Branchenkennern auf über 100 Milliarden Euro taxiert. Mit einem Umsatz in niedriger dreistelliger Millionenhöhe gehört Applike zu den zehn größten App-Plattformen der Welt. Von den global 3,5 Milliarden Smartphones mit Spiele-Apps haben die Hamburger bereits eine halbe Milliarde erreicht. Die Firmengründer Jonas Thiemann, 32, und Carlo Szelinsky, 37, verfolgen kein geringeres Ziel als langfristig auf jedem Smartphone zu sein.
Applike ist die zweitgrößte deutsche Unternehmensausgründung nach dem Internethändler About You, der ein Spin-off der Otto Group ist. Applike entstand 2015 unter dem Dach des früheren Verlags Gruner+Jahr (G+J). Mittlerweile gehört die junge Firma direkt zur Konzernmutter Bertelsmann. Die Gütersloher halten 80 Prozent der Anteile, die beiden Gründer jeweils zehn Prozent.
Vor fast einem Jahr erhielt Applike eine 100 Millionen Euro schwere Finanzierung von Bertelsmann. Davon haben Thiemann und Szelinsky noch keinen Cent ausgegeben. Ihre Investitionen konnten sie bislang selbst finanzieren, das Geschäft ist mit einer zweistelligen Gewinnmarge hochprofitabel.
Ein Teil der 100 Millionen Euro dürfte in das nächste große Projekt fließen: Die Gründer wollen ein fünftes Unternehmen an den Start bringen, erfuhr das Handelsblatt vorab. Derzeit umfasst die Holding Applike Group die vier Unternehmen JustDice, Adjoe, Sunday und Justtrack.
JustDice untersucht das Verhalten von Android-Nutzern und empfiehlt ihnen passende Apps. Adjoe hilft App-Herstellern dabei, mobile Anwendungen durch Werbung zu monetarisieren. Sunday konzentriert sich auf die Entwicklung und Vermarktung von Spielen auf Smartphones. Und die 2022 gegründete Firma Justtrack soll App-Betreibern dabei helfen, Marketingprozesse automatisiert zu steuern. Insgesamt verdient Applike sein Geld durch Vermarktung, Lizenzgebühren oder App-Installationen.
Gamification: Werbung per Spiele-App
Mit ihrer fünften Firma will sich Applike an die Hersteller mit Direktkundengeschäft wie Autoproduzenten oder Konsumgüterunternehmen richten. Die Gründer planen, für diese Spiele-Apps zu entwickeln und zu vermarkten.
Ein Beispiel: Volkswagen könnte bei Applike ein Autorennspiel in Auftrag geben. Nutzer, die besonders erfolgreich sind, können etwa eine Probefahrt gewinnen. Während des Spielens kommen Nutzer die gesamte Zeit mit der Marke VW in Berührung, ohne dass der Konzern oft als störend empfundene Anzeigen schalten muss.
Applike ist durch seine bisherigen Firmen in der Lage, so ein Spiel zu entwickeln, den Prototyp an einer kleineren Zielgruppe zu testen, das fertige Spiel global zu vermarkten und das Verhalten der Spieler auszuwerten. „In dem fünften Unternehmen können wir unsere bisherigen Stärken synergetisch miteinander verbinden“, sagt Thiemann.
Viele Markenartikler sind schon von klassischer TV-Werbung ins Internet gewechselt, um Nutzer so zielgerichteter anzusprechen. „Durch eine Spiele-App können Marken über einen vergleichsweise langen Zeitraum mit Kunden in Kontakt treten und so eine bessere Werbewirkung erzielen“, ergänzt Szelinsky.
Markenberater Fabian Gärtner von der Markenidentitätsberatung Spall.macht.Marke bewertet die Idee als „vorausschauend“. Spiele-Apps seien eine „willkommene Erweiterung des Marketing-Mix“, so Gärtner. „Durch Gamification bauen Nutzer eine stärkere emotionale Verbindung zur Marke auf.“
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Die Grenzen des Geschäftsmodells würden aber darin liegen, dass der Mensch nur begrenzt aufnahmefähig sei. Die Wahrnehmung für die einzelne Marke sinke mit jeder neuen Anwendung. „Erfolg bei Gamification-Apps kann sehr flüchtig sein. Die Sättigung beim Nutzer ist nicht programmierbar“, sagt Gärtner.
Anders als Amazon oder Facebook: Applike baut Stellen auf
Die fünfte Firma, die noch keinen Namen hat, soll in diesem Jahr an den Start gehen. Dafür sucht Applike noch einen Geschäftsführer. Ohnehin stellt die Gruppe gerade verstärkt ein – während Technologieriesen wie Facebook, Twitter oder Amazon zuletzt Hunderte Stellen abgebaut haben. In den vergangenen zwölf Monaten hat sich die Zahl der Applike-Beschäftigten von 130 auf 220 erhöht. „Es wäre jetzt falsch, beim Thema Personalaufbau auf die Bremse zu treten, weil der Markt langfristig wachsen wird“, sagt Szelinsky.
Anders als die großen Tech-Riesen will das Start-up weiter Mitarbeiter einstellen.
(Foto: Applike)
Die zunächst angepeilte Marke von 250 Mitarbeitern hat das Start-up nicht erreicht – weil es nicht genügend qualifizierte Bewerber gegeben habe, so Thiemann. „Wir sind in einem stark kompetitiven Markt, deshalb sind unsere Anforderungen sehr hoch.“
Aber das nächste Ziel steht bereits: Bis Jahresende sollen 300 Beschäftigte für Applike arbeiten. 60 Prozent der Neueinstellungen sind Mitarbeiter mit Technologie- und Softwarekompetenz, der Rest Management-, Vertriebs- und Personalposten.
Das Büro in Hamburg mit vier Etagen und Blick auf die Außenalster reicht für so viel Personal nicht mehr. Applike hat drei weitere Etagen gemietet. Die Gründer verlangen von ihren Beschäftigten, dass sie an drei festen Tagen ins Büro kommen. „Wir sind davon überzeugt, dass für den Erfolg von Wachstumsunternehmen regelmäßiger sozialer Austausch unabdingbar ist“, so Szelinsky.
Applike eröffnet erstes Büro in Amerika
Applike will auch international expandieren. 2023 soll in Boston das erste US-Büro eröffnen. „Viele der größten Gaming-Unternehmen und die bedeutenden Werbekunden sitzen in Amerika“, erklärt Thiemann. Zunächst soll dort ein Dutzend Beschäftigte arbeiten. Die USA sind für Applike der wichtigste Markt, stehen je nach Firma für 30 bis 60 Prozent der Umsätze. In Deutschland erwirtschaftet das Start-up ein Zehntel der Erlöse.
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Bei der Expansion sei die Zusammenarbeit mit Bertelsmann hilfreich, so Szelinsky, etwa um bessere Zugänge zu Kunden zu bekommen oder bei Arbeitsrechts- und Finanzfragen. „Wir haben einen ganz anderen Gesprächskanal, wenn wir gemeinsam mit Bertelsmann auftreten.“
Applike gehört zur Sparte Bertelsmann Investments, mit dem das Familienunternehmen künftige Geschäftsfelder erschließen will. Spartenchef Carsten Coesfeld sagt: „Wir helfen Gründern, ihre Vision zu verwirklichen und ihre Unternehmen auf die nächste Ebene zu heben.“ Applike sei dafür ein „super Beispiel“.
Applike entstand bei G+J, die frühere Verlagschefin Julia Jäkel hatte das Projekt vorangetrieben. Vor der Fusion von G+J mit RTL, die nun zu Hunderten Entlassungen im Hamburger Verlagsgeschäft geführt hat, hatte Bertelsmann wachstumsstarke Marken wie Applike aus dem Portfolio von G+J herausgenommen.
„Wir hatten eine sehr positive Zeit bei G+J und dort Unterstützung in der ersten Phase des Unternehmens bekommen“, sagt Thiemann. Die neue Zuordnung bei der Konzernmutter sei hilfreich, weil man so noch besser die internationale Expansion vorantreiben könne. Trotz der Pläne: Am Standort Hamburg wollen die Gründer festhalten. Szelinsky sagt: „Wir sind stolz darauf, eine weltweit agierende Tech-Firma in Deutschland gegründet zu haben.“
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