Berlin Das Hamburger Energie-Start-up 1Komma5 hat es bereits geschafft. Im Juni wurde die Firma von Philipp Schröder trotz der Finanzierungskrise nach nur 23 Monaten zum Einhorn, also zu einer mit mehr als einer Milliarde Dollar bewerteten Firma. In der jüngsten Finanzierungsrunde sammelte 1Komma5 insgesamt 215 Millionen Euro ein.
Das Start-up profitiert ähnlich wie das Berliner Solar-Einhorn Enpal davon, dass Investoren weiterhin großes Interesse an allem haben, was mit erneuerbaren Energien zu tun hat.
Der Datendienst Dealroom hat im Auftrag des Wagniskapitalgebers Creandum ermittelt, welche Start-ups inmitten der Krise die meisten Chancen haben, es bald 1Komma5 nachzumachen. Aktuell gibt es in Deutschland 13 Start-ups, die bereits mit mehr als 600 Millionen Dollar bewertet werden, aber eben die Milliardengrenze noch nicht überschritten haben.
Ganz oben auf der Liste stehen das Fintech Vivid, die Kreditplattform Auxmoney und das Berliner Blockchain-Start-up Matter Labs. Dahinter folgen die Coaching-Plattform Coachhub, das Raumfahrt-Start-up Isar Aerospace und der Fernwartungs-Software-Anbieter Anydesk sowie die Heizungs-App Tado.
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Unter Start-ups wie auch Investoren ist der Einhorn-Status eine begehrte Währung, der mit Prestige verbunden ist. In der Regel steigt damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Einhorn in absehbarer Zeit einen Börsengang oder Verkauf hinlegt, der den Geldgebern hohe Rendite verspricht.
Laut dem Wagniskapitalgeber Atomico gab es Ende 2022 insgesamt 352 Einhörner in Europa, darunter 36 in Deutschland. Vor allem während des Coronabooms sammelten nahezu wöchentlich Start-ups so viel Geld bei Investoren ein, dass sie die Milliarden-Bewertung erreichten.
Hoffnung auf Einhorn-Status kann sich schnell zerschlagen
Das hat sich mit der Zinswende, der anhaltend hohen Inflation und dem Ukrainekrieg radikal geändert. Inzwischen ist es wieder eine Besonderheit, den Einhorn-Status zu erlangen. Träume, bald in diese Liga vorzustoßen, können schnell zerplatzen.
Das erlebte der Immobilienmakler McMakler Ende Juni. Lange Zeit stand er ganz oben auf der Dealroom-Liste und fiel dann plötzlich auf Rang 25 zurück. Zwar konnte das Unternehmen bei Investoren kürzlich 20 Millionen Euro an Kapital einsammeln, musste dafür aber Firmen- und Investorenkreisen zufolge eine Abwertung in Kauf nehmen.
Mehreren mit der Finanzierungsrunde vertrauten Personen zufolge halbierte sich der Firmenwert bei der jüngsten Runde auf rund 400 Millionen Euro. Firmenchef Felix Jahn will sich davon nicht beirren lassen. Ziel sei es, die beste Immobilienplattform in Deutschland zu bauen, betonte Jahn im Handelsblatt. „Alles andere ergibt sich dann daraus, eventuell auch der Einhorn-Status und eines Tages auch ein Börsengang.“
Als Börsenkandidat gilt McMakler seit dem Einstieg des britischen Investors Baillie Gifford vor zwei Jahren. Baillie-Gifford-Partner Peter Singlehurst hat die 20-Millionen-Runde begleitet und rät Gründern zu Flexibilität: „Die Halbierung der Firmenbewertung beim Bezahldienst Stripe war ein wichtiges Signal für die Branche. Er hat anderen gezeigt, dass eine niedrigere Bewertung nicht gleichbedeutend mit einem Fehlschlag ist. Bewertungen gehen rauf und runter.“
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Bei Isar Aerospace könnte der Einhorn-Status nach Einschätzung des Investors Earlybird bald erreicht werden. „Wenn bei Isar Aerospace die Rakete erst mal erfolgreich gestartet ist, ist der kommerzielle Erfolg aufgrund des riesigen Nachfrageüberhangs für Raketenstarts nicht mehr weit. Die Firma wird dann über Nacht zu einem nennenswerten Einhorn“, sagte Earlybird-Partner Hendrik Brandis.
Ziel von Isar ist es, bis Jahresende Raketen auf den Abschussplatz und dann Satelliten in den niedrigen Erdorbit (Leo) zu bringen. Um das zu finanzieren, sammelte Isar im März weitere 155 Millionen Euro zu einer Bewertung von wohl etwa 800 Millionen Euro ein – und landete damit schon in der Nähe der Marke von einer Milliarde.
Bei Isar deutet sich bereits an, dass im Falle des Raketenstarts mehrere Investoren bereit sein werden, dem Start-up weiteres Geld zuzuschießen. Im Allgemeinen aber haben es Start-ups derzeit viel schwerer, an Kapital zu kommen, als noch während der Coronakrise.
Der Londoner Wagniskapitalgeber Atomico geht davon aus, dass in Europa in diesem Jahr insgesamt 51 Milliarden Dollar in Start-ups fließen, was weniger als der Hälfte der 2021 erzielten Summe entspricht. Weniger als ein Fünftel, also neun Milliarden Dollar, dürfte deutschen Firmen zur Verfügung stehen.
Stellenstreichungen bei Start-ups halten an
„Dies sorgt für Druck bei den Start-ups, nachhaltiger zu wachsen, schneller profitabel zu werden und den sogenannten Runway, also die Zeit, bis die nächste Finanzierungsrunde notwendig wird, hinauszuzögern“, sagt der Start-up-Experte Daniel Breitinger vom Branchenverband Bitkom.
Um sich unabhängiger von Investorengeldern zu machen, müssen auch viele der sogenannten Futurecorns (baldigen Einhörnern) ihre Kosten senken. Das geschieht häufig über Stellenstreichungen.
So mussten beim Einhorn-Anwärter Coachhub in diesem Jahr im Juni bereits zum zweiten Mal Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. Coachhub begründete die Entscheidungen mit dem wirtschaftlichen Umfeld, ähnlich wie McMakler. Das Start-up hat seit vergangenen Sommer 250 Mitarbeiter entlassen.
Der Heizungs-App-Spezialist Tado wird von Dealroom auf Platz sieben der wahrscheinlichsten baldigen Einhörner in Deutschland geführt. Im Januar sicherte sich die Münchener Firma 43 Millionen Euro bei Investoren – darunter Kiko Ventures.
Das war auch nötig, weil sich Tado nicht wie ursprünglich erhofft über die Börse selbst Geld holen konnte. Denn der im vergangenen Jahr über einen Börsenmantel (Spac) geplante Börsengang musste abgesagt werden.
Kiko-Ventures-Partner Arno Morteani macht trotz des geplatztes Kapitalmarktdebüts großes Potenzial aus: „Wir sind eingestiegen, um aus Tado ein Energie-Unicorn zu machen. Da die Firma schon Marktführer bei der Energiesteuerung in Privathaushalten ist, sollte der Weg dorthin nicht mehr so weit sein.“
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