Ab Donnerstag steht Ex-Wirecard-Chef Markus Braun vor Gericht.
Die ersten zehn Jahre der Beziehung zwischen dem Zahlungsdienstleister Wirecard und der Staatsanwaltschaft München waren aus rechtsstaatlicher Perspektive ein Offenbarungseid. Wenn am Donnerstag der Prozess gegen den ehemaligen Konzernchef Markus Braun und zwei Mitarbeiter beginnt, haben die bayerischen Beamten eine große Chance: sie können das Vertrauen in ihre Arbeit und Unabhängigkeit wiederherstellen. Hoffentlich scheitern sie nicht wieder.
Der Blick zurück schmerzt. Schon 2011 wiesen Anlegervertreter auf Merkwürdigkeiten im Wirecard-Geschäft hin. Es waren schwierige Zeugen, weil sie auf fallende Wirecard-Kurse wetteten, gewissermaßen Partei waren. Zwei von Ihnen wurden wegen Insiderhandels tatsächlich verurteilt. Ihre Kritik an Wirecard ließ die Staatsanwaltschaft München kalt. Im Jahr 2015 dann begann die „Financial Times“ („FT“) mit ihrer Artikelserie „House of Wirecard“. Grundsätzliche Fragen an der Werthaltigkeit wurden aufgeworfen. Die Staatsanwaltschaft hielt die Quellen der „FT“ für dubios.
Diese Nachlässigkeit der Münchener Staatsanwaltschaft wiegt schon schwer. Gar nicht zu erklären ist das Verhalten der Ermittler ab 2019. Erneut berichtete die „FT“, diesmal über Geldwäsche und Kontenfälschungen in Asien. Grundlage war ein Bericht einer Anwaltskanzlei, die Wirecard selbst beauftragt hatte.
Die nächsten Monate hätten in eine Slapstick-Komödie gepasst, wäre es nicht um viele Milliarden Euro gegangen. Wirecard spielte die Erkenntnisse der Kanzlei herunter. Asienvorstand Jan Marsalek persönlich nahm sich der Beziehung zu den Behörden an. Ergebnis: Die Finanzaufsicht verbot Spekulationsgeschäfte mit Wirecard-Aktien und stellte Strafanzeige gegen zwei Reporter der „FT““. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf.
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So lief es bis fast zum bitteren Ende. Wirecard holte selbst einen Sondergutachter, um seine Bilanzen zu überprüfen. Die Staatsanwaltschaft schaute zu. An der Börse gab es derweil wilde Kursausschläge. Einen Anhaltspunkt für Manipulation sah die Staatsanwaltschaft freilich nicht. Erst im Frühjahr 2020 begann sie schließlich mit Ermittlungen in Richtung Wirecard.
Marsalek wurde die Flucht leicht gemacht
Zu einer Razzia kam es erst kurz vor dem Zusammenbruch von Wirecard. Dann allerdings schaute sie zu, wie Marsalek flüchtete. Als die bayerischen Ermittler im September endlich ihr Verfahren gegen die Reporter der „FT“ einstellten, lag Wirecard längst in Schutt und Asche.
Es gibt bis heute keine Erklärung für dieses Rechtsversagen. Der Justizstandort Bayern erntete weltweit Hohn und Spott. Nun beginnt in München ein Jahrhundertprozess. Werden die Ermittler ihren Ruf wiederherstellen? Ihr Kronzeuge ist ein Mann, der noch mit Mitte 40 einem pubertierenden Teenager glich, besessen von Sex und Geld, gern in Fäkalsprache unterwegs.
Die Anwälte des Hauptangeklagten Markus Braun sind siegessicher. Wer solche Zeugen hat, brauche schon handfeste Beweise, um einen ehemaligen Vorstandschef zu verurteilen. Die habe die Staatsanwaltschaft aber nicht. Behalten sie recht, wäre das gut für Braun, aber schlecht für den Rechtsstaat. Der größte Finanzskandal Deutschlands könnte ohne Schuldigen ausgehen.