Guten Morgen allerseits,
am vergangenen Montag begann unsere Morgenkonferenz mit einem Bild und einem Satz: „Momentan fällt der Dax ziemlich steil“, schrieb unser Teamleiter Geldanlage & Märkte, Andreas Neuhaus, in Teams unter einen Screenshot vom Leitindex. Es war Tag eins nach der Rettung der Credit Suisse durch Notfusion mit der UBS – und wir dachten, was Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff so beschreibt: „Es gibt wieder dieses Gefühl des Jahres 2008.“
Wir diskutierten lange und heftig, ob das jetzt eine neue Finanzkrise sei. Doch als der Dax nach Beruhigungen und Beschwichtigungen von allen Seiten wieder ins Plus drehte, und sich sogar die europäischen Banktitel nach der freundlichen Eröffnung der US-Börsen erholten, machte sich verhaltene Zuversicht breit. Auch bei uns in der Redaktion.
Der Dax schloss schlussendlich nur leicht im Minus.
Fest steht: Die Krise der Credit Suisse ist hausgemacht und auch in der europäischen Bankenlandschaft ein Einzelfall. Unser Zürich-Korrespondent Jakob Blume beschreibt in sieben Akten eindrücklich das Drama um die 1856 gegründete Schweizerische Kreditanstalt.
Das ändert aber nichts daran, dass in der Bankenwelt nichts mehr normal ist, seitdem die Silicon Valley Bank, ein eher kleines auf Start-ups spezialisiertes Institut aus Kalifornien, Pleite ging und die Credit Suisse zum Schnäppchenpreis von drei Milliarden Franken bei der UBS landete – schon gar nicht an den weltweiten Finanzmärkten.
Das hat sich am Freitag einmal mehr gezeigt: Die Aktie der Deutschen Bank brach ein und zählte mit der Aktie der Commerzbank zu den schwächsten Werten im Dax. Auch die Titel anderer europäischer Banken lagen deutlich im Minus. Die in Brüssel zum EU-Gipfel versammelten Regierungschefinnen und -chefs versuchten zu beruhigen. Und auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde versicherte, die Banken hätten mehr als genug Kapital und Liquidität.
Der massive Kursrutsch der Deutschen Bank rief sogar Kanzler Olaf Scholz auf den Plan, der dem Institut demonstrativ sein Vertrauen aussprach. „Es gibt keinen Anlass, sich irgendwelche Gedanken zu machen“, sagte Scholz nach dem EU-Gipfel.
Das Bankensystem im freien Fall
Es lässt sich aber nicht von der Hand weisen, dass viele Investoren nach wie vor befürchten, die Vertrauenskrise könnte sich auf weitere Geldhäuser ausweiten. Umso drängender stellt sich jetzt die Frage, wie ein Bankensystem gestaltet sein muss, damit es nicht immer wieder zu diesen Krisen kommt.
Mit den Ideen – von deutlich mehr Eigenkapital, auch für Staatsanleihen, bis hin zu einem Trennbankensystem – beschäftigt sich unser Wochenendtitel. Und auch mit der UBS, die nun nicht mehr nur too big to fail ist, sondern auch too big to bail.
Was uns diese Woche sonst noch beschäftigt hat:
1: „Der wohl größte aktuelle Negativfaktor ist die Bankenkrise“, schreibt auch unser Aktienexperte Ulf Sommer, der die Bilanzen der 40 Dax-Konzerne analysiert hat. Zwar haben die wichtigsten börsennotierten Unternehmen in Deutschland 2022 mit einem Nettogewinn von zusammen 117 Milliarden Euro ihr zweitbestes Ergebnis in der Geschichte eingefahren. Aber die Aussichten sind alles andere als rosig: Auslaufende Corona-Effekte, die im vergangenen Jahr die Geschäfte beflügelt hatten, sowie steigende Preise und Zinsen dürften die Ergebnisse in diesem Jahr belasten. Und eben nicht zuletzt die Bankenkrise.
2: „Spätestens wenn Banken in die Knie gehen, lohnt es sich, sein Portfolio noch einmal kritisch zu durchleuchten“, rät Maik Bolsmann vom Vermögensverwalter B&K Vermögen in Köln. Gesagt, getan. Unser Chefreporter Geldanlage, Markus Hinterberger, hat Geldprofis gefragt, wie sie die aktuelle Lage einschätzen und wie 10.000, 50.000 und 100.000 Euro nun kurz-, mittel- und langfristig angelegt werden sollten.
3: Microsoft spricht von „Preisharmonisierung“, Experten von einem „Ausweis von Marktmacht“, die sich mit der Integration von ChatGPT in zahlreiche Produkte des Tech-Konzerns noch verstärken dürfte. Egal, wie man begründet, warum die Bürosoftware Office 365 und weitere Angebote von Microsoft teurer werden (im Euro-Raum teilweise um elf Prozent): Die Preiserhöhungen sorgen bei Geschäftskunden für dicke Luft.
Apropos ChatGPT: Die Künstliche Intelligenz schreibt in Sekunden Hausaufgaben und Hausarbeiten. Schüler und Studierende sind begeistert, Lehrer und Politiker hilflos – noch. Für unsere Bildungsexpertin Barbara Gillmann stellt sich da die Frage: Was ist Bildung?
4: Dicke Luft ist ein gutes Stichwort. „Unser Abschied vom Verbrenner steht fest“, stellt Audi-Chef Markus Duesmann im Handelsblatt-Interview klar. Auch der Streit mit der EU-Kommission in Brüssel und den Grünen in Berlin um das Verbrenner-Verbot, angestoßen durch die FDP und ihren Verkehrsminister Volker Wissing, ändert nichts an Audis Entscheidung. Zwar stehen die Zeichen in Brüssel auf Annäherung, aber manchmal fragt man sich schon, warum – oder besser gesagt für wen – die Politik überhaupt Politik macht.
5: Es ist ein Bild, das keine Zweifel lässt: Xi Jinping und Wladimir Putin schauen sich, die Gläser erhoben, tief in die Augen und prosten sich zu. Drei Tage war Chinas Staatschef bei seinem „lieben Freund“, dem russischen Präsidenten, im Kreml zu Besuch – zum Abendessen am Montag gab es unter anderem Rentier und Wachtelpfannkuchen. Das Treffen machte deutlich: Peking steht zu Moskau.
Xi Jinping (l.) und Wladimir Putin.
(Foto: via REUTERS)
Die ernüchternde Erkenntnis meiner Kollegin Mareike Müller in Riga: Europa und die USA sollten der Ukraine im Kampf um ihre Souveränität und territoriale Integrität jetzt erst recht den Rücken stärken – und zwar geschlossen. „Xi ist kein ehrlicher Makler in diesem Konflikt.“
6: Die historische Trendwende am Immobilienmarkt zeigt sich jetzt auch schwarz auf weiß in Zahlen. Im vergangenen Jahr sind die Preise für Wohnungen sowie Ein- und Zweifamilienhäuser in Deutschland von Oktober bis Dezember im Vergleich zum vierten Quartal 2021 gesunken – das erste Mal seit 2010. Das teilte das statistische Bundesamt am Freitag mit, offizieller geht es also nicht.
Eine Woche zuvor hatte die Behörde den stärksten Rückgang von Baugenehmigungen seit 2007 vermeldet. „Im Wohnungsbau geht die Angst um“, konstatiert Felix Leiss, Forscher am Münchener Ifo-Institut. Auch die lässt sich belegen. Laut Ifo werden immer mehr Aufträge im Wohnungsbau wegen höherer Zinsen und den gestiegenen Baukosten storniert.
7: Es muss ein Schock gewesen sein: Im Sonntagstrend, den das Meinungsforschungsinstitut Insa wöchentlich für die „Bild am Sonntag“ erhebt, kamen die Grünen vor knapp einer Woche nur noch auf 15 Prozent – und lagen sogar hinter der AfD mit 16 Prozent. Mit Vorhaben wie dem Verbot von Öl- oder Gasheizungen ab 2024, angeführt von Robert Habeck, bringt die Partei viele gegen sich auf. Kein Wunder, dass die Stimmung des Wirtschaftsministers zu Beginn der Woche auf dem Tiefpunkt war.
In den „Tagesthemen“ brach es dann aus ihm raus: Der Gesetzentwurf zum Heizungsaustausch sei in einem sehr frühen Stadium „an die Bild-Zeitung – ich muss unterstellen bewusst – geleakt worden, um dem Vertrauen in der Regierung zu schaden“. Dadurch seien Gespräche der Koalitionspartner „wahrscheinlich mit Absicht zerstört worden, des billigen taktischen Vorteils wegen“. Er gehe aber davon aus, dass dies beim Koalitionsausschuss am Sonntag wieder gekittet werden könne. Mal abwarten, würde ich sagen.
8: Eine Kritikerin des geplanten Verbots von Öl- und Gasheizungen ist übrigens Veronika Grimm. Das sei „eben kein nachhaltiger Klimaschutz“, sagt die Wirtschaftsweise im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Wir sehen jetzt schon, dass sich unzählige Haushalte noch schnell eine neue Gasheizung einbauen wollen. Das bindet die knappen Fachkräfte – zur Unzeit.“ Zu überstürzten Panikkäufen hat auch unsere Energieexpertin Catiana Krapp eine klare Meinung: „Bloß die Finger weg von Öl- und Gasheizungen.“
9: Die deutsche Reisebranche hat womöglich einen Datenskandal. Mit diesem Satz beginnt eine Geschichte unseres Reporters René Bender. Der FTI-Gruppe, mit einem Jahresumsatz von zuletzt 1,6 Milliarden Euro der drittgrößte europäische Anbieter, sollen über Jahre hinweg Umsatzzahlen von Reisebüros und Konkurrenten zugespielt worden sein. Aus Insiderkreisen erfuhr Bender, dass FTI die Daten offenbar für eine Vertriebsoffensive zulasten von Wettbewerbern nutzte. Deren Empörung ist groß.
Ich wünsche Ihnen ein Wochenende mit wenig Empörung und viel Gelassenheit. Sie werden Ihre innere Ruhe für den Mega-Streik am Montag brauchen!
Herzliche Grüße
Ihre
Kirsten Ludowig
Stellvertretende Chefredakteurin Handelsblatt
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