Kunden müssen angelockt und umworben werden.
Köln Es ist ein finanzieller Kraftakt: Mehr als 9,1 Milliarden Euro haben deutsche Händler im vergangenen Jahr laut einer Studie des Forschungsinstituts EHI in ihre stationären Flächen investiert. Dabei lag für 68 Prozent der Handelsunternehmen der Fokus auf Umbau und Instandsetzung – die Kunden sollen es schön haben.
Die Generalüberholung tut not, sagt Johannes Berentzen, Geschäftsführer der Münchener Handelsberatung BBE. „Onlineshopping ist spätestens mit der Pandemie in der breiten Masse angekommen.“ Um Kunden vom Sofa in die Innenstädte zu locken, müsse man nun einen echten Zusatznutzen durch besondere Einkaufserlebnisse bieten – mit Wohlfühlatmosphäre in den Läden, exzellenter Beratung und digitalen Konzepten. Stationär und online seien heute keine getrennten Welten mehr.
Ein Großteil der stationären Händler besitzt einen Onlineshop, gleichzeitig setzen aber auch immer mehr Onlinehändler auf repräsentative Showrooms in den Einkaufsmeilen. Inflation und hohe Energiekosten belasten derweil weiterhin das Konsumklima.
Doch wem gelingt es, in diesem Spannungsfeld bei den Kunden zu punkten? Das hat das Kölner Analyseinstitut Servicevalue im Auftrag des Handelsblatts untersucht. Dazu wurden im April Tausende Verbraucher befragt. Unter 541 stationären Händlern aus 53 Branchen erreichte die Schreibwarenkette McPaper die höchste Prozentzahl an Nennungen als „bester Händler“ in ihrer Branche. Das Unternehmen ist in Deutschland mit über 300 Filialen Marktführer. Platz zwei belegte die Fitnessgerätekette Hammer Sport.
In beiden Branchen hätten wenige große Ketten eine besondere Marktstellung aufgebaut – und die Konkurrenz tue sich schwer, aufzuschließen, sagt Servicevalue-Geschäftsführer und Studienleiter Claus Dethloff. Neben McPaper hat es auch der Büro- und Schreibwarenhändler Kaut-Bullinger in die Top Ten geschafft – und bei den Fitnessgerätehändlern belegen Sport-Tiedje und Cardiofitness weitere Spitzenplätze.
Die Fitnessgerätehändler haben in den Pandemiejahren von der großen Nachfrage nach Laufbändern oder Hantelbänken für zu Hause profitiert. Zugleich setzen sie konsequent auf mehrere Verkaufskanäle. Die stationären Shops dienen der persönlichen Beratung und dem Ausprobieren, das gesamte Sortiment gibt es online. Hammer Sport ist zudem nicht nur Händler, sondern auch Hersteller seiner Geräte – eine Entwicklung, die in vielen Branchen zu beobachten ist. Denn digitale Kampagnen und Social-Media-Präsenz erleichtern den unmittelbaren Kontakt zu den Kunden.
Neue Vertriebsformen und kreative Konzepte auf der einen Seite, Insolvenzen etwa von Modehändlern auf der anderen – diese Entwicklungen verändern das Erscheinungsbild der Einkaufsmeilen. Es entstehe eine stärkere Mischnutzung, sagt Handelsexperte Berentzen. So erwarteten die Kunden in der Innenstadt neben Geschäften auch Restaurants und Cafés, Arztpraxen sowie Dienstleister wie Friseur- und Kosmetiksalons. Auch Hotels oder Coworking-Spaces sorgen für Laufkundschaft. In einer Umfrage der auf Stadt- und Regionalentwicklung spezialisierten Beratung Cima befürwortete 2022 fast die Hälfte der Befragten, dass Innenstädte in Zukunft stärker der Freizeitgestaltung und dem Erlebnis dienen sollen.
Karaoke-Bühne im Süßwarenladen
Einige Händler haben dies bereits verinnerlicht. Der Mode- und Sporthändler L&T hat in einem seiner Stores in Osnabrück ein Wasserbecken mit einer zum Indoor-Surfen geeigneten stehenden Welle geschaffen. Am Berliner Kurfürstendamm gibt es seit 2021 einen 3000 Quadratmeter großen Flagship-Store der Schokolinsen-Marke M&M’s. Neben individuell gestalteten Süßwaren gibt es dort auch eine Karaoke-Bühne.
Zielführend sei es oft, Fläche durch digitale Technologien zu ersetzen, sagt Berentzen. Eine breite Palette an Produkten vor Ort sei oft verzichtbar. „Schließlich gibt es online sowieso mehr Auswahl.“ Stattdessen könne man einzelne Produkte ansprechend in Szene setzen und einen Teil des Sortiments auf dem Tablet oder auf großen Videoscreens präsentieren. Auch die schwer gebeutelte Fashion-Branche sei keineswegs machtlos. „Kreative Händler schaffen Anknüpfungspunkte an soziale Medien.“ So könnten Kunden beim sogenannten VIP-Shopping eine eigene Fläche mit Catering buchen – und Einkäufe dann online anderen Nutzern präsentieren.
Onlinehändler mit Vor-Ort-Präsenz
Parallel untersuchten die Analysten von Servicevalue in ihrer Studie mehr als 1200 Onlinehändler aus 92 Branchen. „Ein Onlineshop ist in relativ kurzer Zeit erstellt – ein Ladengeschäft hat ganz andere Einstiegshürden“, sagt Dethloff. Daher herrsche im digitalen Handel viel Bewegung. Im Ranking konnten gleich mehrere Anbieter aus dem Sportbereich punkten. So erhielten die Fußball-Spezialisten 11Teamsports und Soccerboots prozentual besonders viele „Beste Händler“-Nennungen, ebenso wie der Laufsporthändler Lauf-bar, der auch einen stationären Laden in München besitzt – mit dem Angebot einer videogestützten Analyse des Laufstils.
Eine Konzentration auf bestimmte Sportarten habe sich im Sporthandel bewährt, sagt Berentzen. „Schließlich sind Sportartikel besonders beratungsintensiv.“ 11Teamsports berät nicht nur online, etwa über WhatsApp-Chats, sondern auch in mittlerweile über 30 deutschen Filialen. Die größte Berliner Filiale bietet etwa eine Hightech-Torwand und Umkleidekabinen im Stil von Stadion-Katakomben. Im März wurde bekannt, dass Gründer Oliver Schwerin den CEO-Posten an Ralf Fäßler übergeben hat, der über 20 Jahre lang im Management von Nike tätig war. Er soll beim baden-württembergischen Unternehmen die internationale Expansion vorantreiben.
Im Ranking verschlechtert hat sich derweil Onlinegigant Amazon, der im Vorjahr noch unter den Top Ten der Onlinehändler zu finden war. Zwar sei der US-Konzern noch immer die klare Nummer eins unter den Generalisten und habe jahrelang Maßstäbe in Sachen Kundenorientierung und intelligente Datennutzung gesetzt, sagt Dethloff. Doch die Konkurrenz – darunter deutsche Händler wie Otto oder Tchibo – hole bei diesen Themen zunehmend auf. Zudem sei für Amazons Image die öffentliche Berichterstattung über schlechte Arbeitsbedingungen oder Steuertricks nicht förderlich.
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