Berlin Er wollte „eine Acht vorm Komma“ erhalten, es conflict dann doch eine Neun: Friedrich Merz ist mit 94,6 Prozent zum neuen Vorsitzenden der CDU gewählt worden. Das verkündete Noch-Generalsekretär Paul Ziemiak im Konrad-Adenauer-Haus, aus dem erstmals in der Geschichte der Partei ein Bundesparteitag abgehalten wird, digital angesichts der alle beherrschenden Pandemie. Bei der Mitgliederbefragung hatte Merz im Dezember 62,1 Prozent der Stimmen erhalten, ein klares Votum für den konservativen Wirtschaftspolitiker, der zwei Mal vergeblich versucht hatte, die Mehrheit von Sozialflügel und Frauen Union in der Partei zu brechen.
Das eine Mal (2018) lag Annegret Kramp-Karrenbauer knapp vor ihm, das andere Mal Armin Laschet (2021). Nun muss sein Sieg noch per Temporary von den Delegierten bestätigt werden, dann ist er am 31. Januar perfekt.
„Ich bin tief bewegt und beeindruckt von diesem Wahlergebnis“, sagte Merz, den Tränen nah. „Das ist ein starker Auftrag und ein großartiges Mandat.“
Zuvor hatte der 66-Jährige, der von 1994 bis 2009 für die CDU im Europaparlament wie auch im Bundestag saß und nun seit Herbst wieder Bundesparlamentarier ist, bereits in einer Grundsatzrede skizziert, wie er sich die Zukunft der CDU vorstellt. Merz nannte drei zentrale Aufgaben: „kraftvolle Opposition im Bund“ zu sein, die nächsten Landtagswahlen zu gewinnen und eigene Ideen zu entwickeln und ein neues Grundsatzprogramm zu erarbeiten. Die Partei dürfe nicht mehr streiten oder „in alle Himmelsrichtungen auseinanderlaufen“, ansonsten werde der Weg zurück in Verantwortung im Bund „möglicherweise sehr lang“.
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Für die Programmatik nannte der neue Vorsitzende gleich ein paar Eckpunkte. So sei „das Soziale konstitutiver Bestandteil der Marktwirtschaft“ und nicht nur der „Reparaturbetrieb des Kapitalismus“. Auch sei ein zentrales Versprechen der katholische Soziallehre noch nicht eingelöst: „Die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital.“ Freiheit, Verantwortung, der Schutz der Familie und Chancen für Kinder seien für ihn wichtig. Er nannte den „aktivierenden Sozialstaat“.
„Wir sind liberal und offen, sozial und bewahrend zu gleich. Das ist im besten Sinne konservativ“, formulierte Merz. Er forderte alle in der Partei auf, dass sich 2021 nicht mehr wiederhole. „Mut und Fröhlichkeit“, empfahl er den Mitgliedern. Die Menschen sollten merken, „dass wir Freude an unserer Arbeit haben“. Dann würde die Union auch wieder gewählt.
Merz nutzte die Rede auch dazu, um die neue Bundesregierung und vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) anzugreifen. Der hatte Führung im Wahlkampf angekündigt. Nun fragte Merz: „Welche Führung meinen Sie denn?“ Scholz wolle eine allgemeine Impfpflicht, lege aber keinen Gesetzesentwurf vor. Trotz Ukrainekrise sei er weder zu Besuch in Washington noch in Moskau gewesen. „Alle ihre Vorgänger hätten in dieser Lage Führung gezeigt.“ Die Inflation sei so hoch wie seit Jahren nicht. Scholz gebe keine Antwort. „Wir bekennen uns zu politischer Führung.“
Der neue dankte dem alten Vorsitzenden. Armin Laschet habe sich voll engagiert und die volle Verantwortung für die Niederlage übernommen habe. „Diese Bundestagswahl hätten wir gerne zusammen gewonnen, wir haben sie jetzt zusammen verloren“, betonte er. Als Geschenk für ihn und Ziemiak gab es je ein Pill mit besonderen Apps: Für Laschet ein Fotobuch, Hyperlinks zu seinen Lieblingsvereinen und Lieblingsurlaubsorten. Und auch internationale Zeitungsabonnements – zeitlich unbefristet.
Laschet: „Merz ist in dieser Zeit genau der Richtige.“
Sein Vorgänger Laschet hatte sich zuvor mit eindrücklichen Worten von der Partei verabschiedet. Er appellierte an die Geschlossenheit und die Bedeutung der 384.000 Mitglieder appelliert, an die Regierungsbeteiligungen in den Bundesländern. „Starke Foundation, klarer Kurs“, lautet nicht ohne Grund der Titel des Parteitags. Zugleich verzichtete Laschet darauf, mit seinen Widersachern abzurechnen. Nur so viel: Es sei „ein Jahr, wie eine Achterbahn“, gewesen. „Und: Es wird sich nie wiederholen, dass CDU und CSU sich so streiten.“ Ein Streit, der mit der Flüchtlingskrise begann und nicht enden wollte.
Laschet dankte Merz für seine Unterstützung und Loyalität und sagte an den politischen Gegner gerichtet: „Zieht Euch heat an, die CDU kommt wieder. Friedrich Merz ist in dieser Zeit genau der Richtige.“
Der 60-jährige Rheinländer Laschet hat nicht nur den Parteivorsitz verloren und das Rennen ums Kanzleramt, sondern auch das Amt als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen. Er will sich künftig als einfacher Bundestagsabgeordneter der Nahost-Politik widmen.
Die Delegierten wählen eine neue Mannschaft
Bis zum Nachmittag werden die Delegierten noch die komplette Führungsmannschaft wählen. Merz hatte bereits Mario Czaja gebeten, sein Generalsekretär zu werden. Der 46-Jährige war einst Sozialsenator in Berlin und soll mit dieser Expertise zugleich den Sozialflügel besänftigen. Er erhielt intestine 93 Prozent der Stimmen.
Julia Klöckner (49) hatte Merz anstelle des stellvertretenden Parteivorsitzes das Amt der Bundesschatzmeisterin angeboten. Für sie stimmten 73 Prozent der Delegierten. Sie muss die Parteifinanzen angesichts der herben Niederlage bei der Bundestagswahl ordnen und wird die Aufgabe haben Spenden einzusammeln.
Der scheidende Schatzmeister Philipp Murmann verwies, dass es glücklicherweise 2020 einen Überschuss von 28,9 Millionen Euro gegeben habe. Allerdings würden angesichts der Niederlagen 2021 die künftigen Jahren „sehr herausfordernd sein“, um die Partei „kampagnenfähig zu halten“.
Das enge „Workforce Merz“ ergänzen fünf Stellvertreter: Carsten Linnemann (44), Bundestagsabgeordneter aus Paderborn und bislang Chef der Mittelstandsunion erhielt 82 Prozent. Er wird eine zentrale Rolle bei der Erneuerung der Partei spielen und die Grundsatzprogrammkommission leiten. Dazu erhält er Mitarbeiter und ein eigenes Büro im Konrad-Adenauerhaus.
Karin Prien (56), schleswig-holsteinische Bildungsministerin, steht für den liberalen Flügel und erhielt 71 Prozent der Stimmen; Andreas Jung (46), Bundestagsabgeordneter aus Konstanz, steht für die Klima- und Finanzpolitik der Partei (81 Prozent); Michael Kretschmer (46) soll als sächsischer Ministerpräsident die ostdeutschen Belange verkörpern (93 Prozent); Silvia Breher (48) wird sich für die Familien- und Agrarpolitik sowie die ländlichen Räume einsetzen (82 Prozent). Die dreifache Mutter vertritt das konservative niedersächsische Cloppenburg und Vechta im Bundestag.
Hinzu gesellen sich noch sieben Präsidiumsmitglieder. Zur Wahl standen indes acht: Neben dem bisherigen Parteivize Jens Spahn waren dies Bernd Althusmann, Landesvorsitzender in Niedersachsen und dort Wirtschaftsminister; Ines Claus, Fraktionschefin im hessischen Landtag und mögliche Nachfolgerin von Volker Bouffier auch im Amt als Ministerpräsident; Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt; Ronja Kemmer, Chefin der Jungen Gruppe in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion; Karl-Josef Laumann, Chef des Arbeitnehmerflügels CDA; Ina Scharrenbach, Bauministerin in Nordrhein-Westfalen sowie Annette Widmann-Mauz, Chefin der Frauen Union. Das Nachsehen hatte Widmann-Mauz. Spahn wurde nur knapp gewählt. Er hatte im Vorfeld intensiv für sich geworben.
Obendrein wurde noch der Bundesvorstand neu bestimmt. Auch hier kandidierten mehr als es Plätze gab: 21 Frauen und 18 Männer bemühten sich um die 26 Plätze.