Kiel Die Bundesregierung bereitet sich auf eine Beteiligung am Werftenkonzern Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS) vor. „Wir überlegen das“, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Dienstag vor Journalisten – und bestätigte damit einen entsprechenden Bericht des Handelsblatts. Einen passenderen Ort für seine Ankündigung hätte er kaum finden können. Zusammen mit seinem norwegischen Amtskollegen Björn Arild Gram und den Thyssen-Krupp-Vorständen Miguel López und Oliver Burkhard gab er auf dem Kieler Werftgelände den Startschuss für die Fertigung einer neuen U-Boot-Klasse.
In den vergangenen Wochen hatten Vertreter des Bundes und Thyssen-Krupp bereits die Möglichkeiten für eine Staatsbeteiligung ausgelotet. Grundsätzlich, so berichten es mit den Gesprächen vertraute Kreise, hätten die Koalitionspartner das Vorhaben positiv beurteilt. Eine finale Zustimmung steht indes noch aus.
Eine Entscheidung wird nach den Angaben von Verteidigungsminister Pistorius nicht vor Ende des Jahres gefällt. „Wir sind ja nicht allein beteiligt“, sagte der Verteidigungsminister. Auch andere Ressorts würden eingebunden. Deswegen werde die Entscheidung etwas Zeit in Anspruch nehmen. Das Verteidigungsministerium werde eine Prüfung durch die staatseigene KfW-Bankengruppe in Auftrag geben; auch das Finanz- und das Wirtschaftsministerium sollen den Deal begutachten. Am Ende müsste auch Bundeskanzler Olaf Scholz seine finale Zustimmung geben.
Ohne eine Beteiligung des Bundes stünden wohl Arbeitsplätze auf dem Spiel. Thyssen-Krupp zählt TKMS nicht zum Kerngeschäft und hat den Bereich daher mehrfach zum Verkauf gestellt. Aktuell beschäftigt die Werftentochter 6000 Mitarbeiter.
Eine Veräußerung an einen ausländischen Wettbewerber habe die Bundesregierung inoffiziell faktisch untersagt, heißt es in Branchenkreisen. In den vergangenen Monaten hatte das Management um TKMS-Chef Oliver Burkhard bereits mit einer Reihe von Finanzinvestoren gesprochen.
Milliardenrisiken in den Büchern
Doch die Interessenten scheuen das Risiko, das in den Büchern des Unternehmens schlummert. Um wichtige Aufträge zu gewinnen, hat TKMS seinen Kunden zahlreiche Garantien für die Fertigstellung der Schiffe und U-Boote gewährt. Sie summieren sich laut Konzernkreisen auf über zehn Milliarden Euro.
„Kein Finanzinvestor kann so eine Last übernehmen“, hieß es in Finanz- und Konzernkreisen. Damit kommt nun der Bund ins Spiel. Denn Deutschland ist nicht nur der wichtigste Kunde, sondern könnte auch als Bürge für TKMS einspringen. Ein Großteil der Garantien gilt ohnehin für Aufträge aus Deutschland, Norwegen und Israel. Diese Kunden dürften beruhigt sein, sollte die Bundesregierung grünes Licht für eine Beteiligung an der Werftengruppe geben.
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Als Vorbild für einen Einstieg des Bundes gilt der Radarhersteller Hensoldt. Dort beteiligte sich der Staat mit 25,1 Prozent. Denkbar sei bei TKMS auch ein Anteil von 20 Prozent, hieß es in Kreisen, die mit den Gesprächen vertraut sind.
Für TKMS-Chef Burkhard ist der Zeitpunkt der Verhandlungen günstig. Denn mit dem Ukrainekrieg ist die Auftragslage der Rüstungsindustrie besser geworden. „Wir haben jetzt ein Momentum durch die Zeitenwende“, sagte Burkhard am Rande der Veranstaltung in Kiel. Durch das Wachstum und mögliche Folgeaufträge sei TKMS interessanter geworden – auch für Finanzinvestoren.
Private Investoren könnten ihre Beteiligung nach einem Börsengang, den TKMS vollziehen will, wieder abstoßen. Der Staat würde dann an seinen Aktien festhalten, um auch langfristig die Unabhängigkeit der Gruppe zu sichern. Nach dem Börsengang könnte TKMS auch die Konsolidierung der Marinebranche vorantreiben. Wettbewerber Lürssen hatte bereits Interesse an einer Fusion gezeigt.
Ungeliebte Beteiligung
Der Kern der heutigen Gruppe, die frühere Howaldtswerke-Deutsche Werft, war im Jahr 2005 von Thyssen-Krupp übernommen worden. Die damalige Bundesregierung hatte den Konzern in diskreten Gesprächen zum Erwerb der Gesellschaft aufgefordert. Die Politik hatte Bedenken, da HDW sich damals unter der Kontrolle des US-amerikanischen Finanzinvestors One Equity Partners befand, und fürchtete um das Know-how im U-Boot-Bau.
Der Ruhrkonzern hatte damals zwar eine Reihe von Werften in Emden, Hamburg und anderen Küstenorten. Zu einem Verbund konnte Thyssen-Krupp die einzelnen Teile aber nicht zusammenführen. Das Geschäft blieb damit ein Fremdkörper im Konglomerat, der zudem wenig Interesse an Rüstungsgütern hatte.
Über die Jahre hatten Vertreter von Thyssen-Krupp mit Interessenten über einen Verkauf oder eine Fusion verhandelt. Mit der französischen Naval, Fincantieri aus Italien, der arabischen Gruppe Abu Dhabi Mar sowie diversen Finanzinvestoren kam aber nie ein Deal zustande. Über den Staat soll nun der Exit aus dem Geschäft gelingen.
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