In Brandenburg, dem dritten und letzten ostdeutschen Bundesland, wird in wenigen Tagen gewählt. Die Regierung verfolgt bereits eine rechtsextreme Politik, um Wählerstimmen zu halten. Wie wird die Wahl wohl ausgehen?
Brandenburg ist das letzte ostdeutsche Bundesland, das vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr an den Landtagswahlen teilnimmt.
Der Staat wird seit den 90er Jahren, als Deutschland nach dem Fall der Berliner Mauer wiedervereinigt wurde, von den Sozialdemokraten regiert.
Nach ähnlichen Wahlen in anderen ostdeutschen Bundesländern, bei denen die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) deutliche Zugewinne verzeichnen konnte, beobachtet ganz Deutschland die Abstimmung in Brandenburg mit Spannung, um zu sehen, ob es auch in diesem Landtag zu drastischen Veränderungen kommt.
In Deutschland finden alle vier bis fünf Jahre 16 Landtagswahlen statt und „alle haben einen gewissen Einfluss auf die Bundespolitik, weil die Bundesländer eine große Rolle spielen“, sagte Timm Beichelt, Professor für Europastudien an der Europa-Universität Viadrina, gegenüber Euronews.
Er sagte, dass es nach den neuesten Umfragen „wahrscheinlich zu einem Rückgang von zwei Parteien aus der Ampelkoalition der Bundesregierung (bestehend aus Mitte-links, Mitte-rechts und den Grünen) kommen wird. Es gibt also schon jetzt deutliche Veränderungen. Das Signal an die Bundesregierung ist stark, auch vor Ort.“
Er sagte jedoch, dass die Ergebnisse möglicherweise nicht so dramatisch ausfallen würden wie in den beiden anderen ostdeutschen Bundesländern Thüringen und Sachsen, die am 1. September wählten.
In Thüringen errangen die populistischen Parteien AfD und das rechtsextreme Sahra Wagenknecht-Bündnis (BSW) mehr als 50 Prozent der Stimmen, und die AfD kam auf den ersten Platz. Damit gewann zum ersten Mal seit Nazi-Deutschland eine rechtsextreme Partei eine Landtagswahl.
In Sachsen erreichte die AfD fast ebenso viele Stimmen wie die konservative CDU, die den ersten Platz belegte.
Den Umfragen zufolge könnten die populistischen Parteien in Brandenburg 40 Prozent der Stimmen erhalten.
„Das bedeutet, dass 60 Prozent immer noch für etablierte oder Mainstream-Parteien sind. Wer gewinnen oder verlieren wird, bleibt abzuwarten“, sagte Beichelt.
Warum ist der Populismus in Brandenburg so stark?
Auch wenn die traditionellen Parteien den Populisten kollektiv voraus sein mögen, glauben die Brandenburger Experten, dass ihre Anliegen nicht berücksichtigt werden und wählen deshalb aus Protest ihre Stimme.
Sie warnen, dass Sicherheit, Migration und die hohen Lebenshaltungskosten die größten Sorgen der Menschen seien. Und hier kommen AfD und BSW ins Spiel: Beide sind für eine Reduzierung der Migration, eine Verwässerung der Klimapolitik und ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine.
„Die Menschen sind sehr besorgt, dass sich die Lage im Gesundheitssystem verschlechtern wird“, erklärte Beichelt. „Es besteht große Sorge, dass sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können.“
„Auch der Krieg in der Ukraine belastet die Menschen in Brandenburg stärker als im Rest Deutschlands“, fügt er hinzu. „Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist es daher nicht allzu schwer zu verstehen, warum Protestparteien wie die AfD so viel Zulauf bekommen.“
In Frankfurt an der Oder, an der Grenze zu Polen, leben rund 60.000 Einwohner.
Euronews fragte die Einwohner der Stadt, wie die Stimmung im Vorfeld der Abstimmung sei. Eine Rentnerin äußerte diese Bedenken und sagte, ihr sei geraten worden, für einen Zahnarztbesuch bis nach Berlin zu fahren.
Laut Beichelt sind diese Probleme in ländlichen Gebieten außerhalb der Städte viel schlimmer.
„Zwei Drittel aller Ärzte in Brandenburg sind über 60 Jahre alt“, sagte er gegenüber Euronews. „Das ist das Gesundheitssystem. Und der öffentliche Nahverkehr? Es gibt keine richtige Infrastruktur für Züge, das ist nicht sehr gut. Vielerorts gibt es nur alle zwei Stunden oder gar keine Verbindungen.“
Er machte auch die ständigen Bau- und Sanierungsarbeiten dafür verantwortlich, die es den Menschen in den ländlichen Gebieten zusätzlich erschweren, sich fortzubewegen, und die zusätzlich zu den steigenden Kosten führen.
Das Problem liege darin, dass die Politiker Brandenburgs in den vergangenen beiden Jahrzehnten weder wesentliche Reformen auf den Weg gebracht noch entscheidende gesellschaftliche Probleme ausreichend angegangen seien, so Beichelt.
„Irgendwie fehlt es der Politik an einem Signal, dass sie sich dieser Themen annimmt“, sagt er. „Die Politik interessiert sich nicht für die Dinge, die den Menschen in Brandenburg wichtig sind. Deshalb ist die Unterstützung für die AfD auch Ausdruck einer Enttäuschung über die etablierten Parteien.“
Ein größerer deutscher Einfluss
Brandenburg wird seit 2013 von SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke regiert, der angekündigt hat, zurückzutreten, sollte die AfD am Sonntag die meisten Stimmen erhalten.
Bei einem schlechten Abschneiden der SPD könnte Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr als Kanzlerkandidat der Partei ausgeschlossen werden.
Doch die Regierungszeit der SPD in Brandenburg könnte ihr bei der Wahl zugutekommen.
„In Brandenburg zeichnet sich ab, dass es ähnlich sein wird wie in Sachsen oder bei vielen anderen Landtagswahlen: Die amtierenden Minister sind in ihren Ländern beliebt und ziehen ihre Parteien im Stimmenanteil nach oben“, sagt Beichelt.
Während Thüringen und Sachsen um die Bildung von Koalitionen ringen, sei dies in Brandenburg im Hinblick auf die AfD laut Beichelt nicht der Fall.
„Wahrscheinlich wird es eine Koalition mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht geben, weil es nur wenige mögliche Konstellationen gibt, in denen ihre Partei nicht benötigt würde“, erklärte er.
„Für das deutsche Wahl- oder Parteiensystem ist es etwas Neues, ein Bündnis zu haben, das sich um eine Person dreht. Es gibt noch kein Programm, nur einen Namen: Sahra Wagenknecht“, fügte er hinzu. „Aber in Europa, insbesondere in Mittel- und Osteuropa, kennen wir diese Bündnisse, die sich um Persönlichkeiten bilden und nicht lange halten. Wenn man diese Regel anwendet, würde man sagen, dass sich eine Partei ohne klares Programm innerhalb eines Jahres oder vielleicht spätestens fünf Jahren von selbst auflöst.“
Was auch immer bei der Landtagswahl herauskommt: Man sollte vorsichtig sein, die Ergebnisse auf die im Herbst nächsten Jahres angesetzte Bundestagswahl zu extrapolieren, denn in 365 Tagen kann viel passieren, so Beichelt.
„Wir wissen auch nicht, wie sich die etablierten Regierungsparteien sowie CDU und CSU entwickeln werden“, sagt er. „Generell heißt es, dass populistische Parteien bei Landtagswahlen tendenziell höhere Anteile erzielen. Das haben wir bei drei Landtagswahlen gesehen und jetzt werden wir sehen, ob sich dieser Trend fortsetzt oder ob es bei der Bundestagswahl wieder moderatere Ergebnisse geben wird.“
Brandenburgs Zukunft
Brandenburg ist für Berlin wichtig, denn hier liegt der Hauptstadtflughafen und die Tesla-Fabrik, in der Tausende von Menschen arbeiten. Viele Menschen ziehen auch in die umliegenden Gebiete Brandenburgs, da sie in Berlin kaum bezahlbaren Wohnraum finden.
Im Jahr 2023 zogen laut Statistischem Bundesamt 17.000 Berliner nach Brandenburg. Die Zahl der Geburten sank in Brandenburg auf den niedrigsten Stand seit fast 30 Jahren.
Die Stadt Frankfurt (Oder) ist eine Universitätsstadt. Doch wenn man umhergeht, wird deutlich, dass ein großer Teil der Bevölkerung aus Rentnern besteht.
Nach dem Erfolg der AfD in Thüringen und Sachsen hat die Bundesregierung eine rechtere Politik verfolgt. Unter anderem wurden an allen Grenzübergängen Stichprobenkontrollen eingeführt, nachdem es zu einer Reihe tödlicher Messerangriffe durch Migranten gekommen war. Die Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze gibt es allerdings schon seit letztem Jahr.
Alle Einwohner von Frankfurt an der Oder, mit denen Euronews sprach, nannten die Migration als Grund für die negative Atmosphäre in der Stadt.
Rana, die ursprünglich aus Pakistan stammt, aber seit fünf Jahren in Frankfurt an der Oder lebt, sagte, sie habe in den letzten sechs Monaten einen Anstieg der Migration bemerkt. Sie erwartet, dass Brandenburger vor allem AfD wählen werden.
„In letzter Zeit gab es einige Probleme mit der Kriminalität, kleine, winzige Probleme wie Messerkriminalität und kleinere Fälle von Terrorismus“, sagte sie. „Ich glaube, deshalb wenden sich die Einheimischen gegen Einwanderer.“
Sie glaubt nicht, dass die AfD die Probleme der Stadt lösen würde, „denn es ist nicht in Ordnung, einfach zu sagen, hier sollen keine Einwanderer herkommen.“ Sie befürchtet auch, dass sie bei einem Wahlerfolg der AfD am Sonntag mit mehr Rassismus konfrontiert würde.
Allerdings lebten im Land Brandenburg laut Ausländerzentralregister im März 2023 knapp 200.000 Ausländer.
Auch die Rentnerin, mit der Euronews sprach und die seit Jahrzehnten in Frankfurt an der Oder lebt, findet die Stimmung in der Stadt negativ. Sie erwähnte auch die Migration und sagte: „Ich möchte nicht verallgemeinern, aber ich lebe in einem Hochhaus, in dem 80 Prozent der Bewohner Polen sind, 10 Prozent sind Aussiedler, Einsiedler oder was auch immer.“
Sie sagte, Frankfurt an der Oder sei eine Pendlerstadt, die ihren Gemeinschaftssinn verloren habe: „Es geht nicht um Brüderlichkeit oder Freundschaft oder so etwas, es geht darum, wo es die Dinge am billigsten gibt, hin und her. Es ist eine Konsumgesellschaft mit viel Gedränge geworden.“