München Die Planung für das neue 50-Millionen-Euro-Werk von Schaltbau im niederbayerischen Velden hatte 2019 schon vor Corona und dem Ukrainekrieg begonnen. Doch angesichts von unterbrochenen Lieferketten und gestiegenen Strompreisen hat sich die Entscheidung für den Standort Deutschland und eine dezentrale Energieversorgung mit Solarkraft als weitsichtig erwiesen. „Natürlich sehen wir uns bestätigt“, sagte Vorstandschef Jürgen Brandes dem Handelsblatt. „Unser Energiekonzept soll die Blaupause für modernste Fertigung in Europa sein.“
Angesichts der globalen Krisen und der gestiegenen Transportkosten erwägen viele Unternehmen, ihre Produktion wieder näher an die Heimat zu holen. „Mit hochmotivierten, intestine ausgebildeten Mitarbeitern kann man auch viel schneller und flexibler auf Veränderungen reagieren“, sagt Schaltbau-CEO Brandes.
Der Spezialist für Gleichstrom-Schutztechnik habe bei der Planung seines neuen Werks auch deshalb auf Automatisierung daheim – und nicht auf Niedriglöhne im Ausland – gesetzt, als die bestehende Fertigung in Velden an ihre Kapazitätsgrenze kam.
In der gesamten Industrie haben sich die Prämissen für die Produktion verändert. Lange ging es nur darum, möglichst günstig zu fertigen. Viele lokale Firmen dachten laut einer Befragung von Roland Berger wegen des starken Kosten- und Effizienzdrucks sogar darüber nach, ganz aufzugeben.
Prime-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Doch das ändert sich gerade vielerorts. „Der Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit in der verarbeitenden Industrie wandelt sich von einer hauptsächlich kostenorientierten zu einer holistischen Sichtweise, bei der auch CO2-Emissionen, politische Risiken oder die gestiegene Komplexität von Lieferketten eine viel größere Rolle spielen“, sagt so Marcus Berret, International Managing Director bei Roland Berger. Unternehmen, die ihre Produktion jetzt neu ausrichten, hätten die Probability, „sie von einer Belastung in einen Wettbewerbsvorteil zu verwandeln“.
Erneuerbare Energien, weniger Öl und Gasoline
Das neue Schaltbau-Werk – das Richtfest wird dieser Tage gefeiert – integriert eine 1,4-Megawatt-Photovoltaikanlage, Batteriespeicher und ein Gleichstromnetz. Letzteres gilt als zukunftsweisende Technologie für die Integration erneuerbarer Energien in die Produktion, unter anderem, weil Wandlungsverluste entfallen.
Schaltbau setzt damit eine Technologie ein, die auch der Schwerpunkt des eigenen Geschäfts ist. Denn die Firma produziert Schutztechnik, die einen sicheren Einsatz von Gleichstrom ermöglicht. Beim Abschalten von Gleichstrom entsteht ein Lichtbogen, der gefährlich ist. Schütze sollen für Sicherheit sorgen.
Lange waren die Produkte vor allem in der Bahnindustrie gefragt. Doch inzwischen sind Gleichstrom-Produkte auch bei Hochenergiebatterien für Elektroautos und in der Industrie gefragt. „Hier sind für uns ganz neue Absatzmärkte entstanden“, sagt Brandes.
Das Wachstum könnte sich nun noch beschleunigen. Um die Abhängigkeit von russischem Gasoline und Öl zu verringern, dürfte die Transformation der Energieversorgung und in der Mobilität an Tempo gewinnen.
So hat Schaltbau fürs Kerngeschäft ehrgeizige Pläne. Die Umsätze der Schaltbau GmbH will Brandes in den kommenden Jahren auf rund 300 Millionen Euro verdoppeln. Dabei soll das neue Werk in Velden helfen, das in der finalen Ausbaustufe, bezogen auf die Stückzahl, eine fünfmal so hohe Kapazität haben soll wie der alte Standort.
Fabriken am intelligenten Gleichstrom-Netz
Dass die „Subsequent Manufacturing facility“ von Schaltbau CO2-neutral ist und von einer innovativen Gleichstrom-Anlage versorgt wird, die von Photovoltaik gespeist wird, conflict ursprünglich vor allem als Bekenntnis zum Klimaschutz geplant. „Besonders unsere jungen Führungskräfte haben das Thema vorangetrieben“, sagt Brandes. Doch nun hilft das Konzept, die Stromkosten um 35 Prozent zu reduzieren und die Versorgung zu sichern. Zudem kann Schaltbau den teuren Einkauf zu Spitzenlastzeiten vermeiden und in dieser Zeit die eigenen Batterien nutzen.
Schaltbau sieht die Fabrik auch als Musterlösung für künftige Kunden, die ihre Produktion modernisieren wollen. Das Interesse in der Industrie ist vorhanden. Auch die Bundesregierung hatte mit dem Forschungsprojekt „DC-Industrie2“ Projekte zur Gleichstromversorgung von Produktionshallen angestoßen.
„Mit einem lokalen Gleichstromnetz in der Fabrik kann man Energieschwankungen leichter ausgleichen, die beispielsweise wetterbedingt regenerative Energien oder zunehmende Schwankungen des öffentlichen Versorgungsnetzes mit sich bringen“, sagte Timm Kuhlmann vom Fraunhofer IPA in Stuttgart. Alle elektrischen Anlagen in Fabriken könnten zu einem intelligenten DC-Netz gekoppelt werden. Assessments gab es unter anderem in der neuen Vorzeigefabrik Factory56 von Mercedes.
Für Schaltbau ist die Fabrik auch ein Image für den Neuanfang. Das 1929 gegründete Unternehmen hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Nach einer schmerzhaften Restrukturierung wurde das Unternehmen im vergangenen Jahr für rund 700 Millionen Euro vom Finanzinvestor Carlyle übernommen und von der Börse genommen. „Das vergleichsweise kurzfristige Denken des Kapitalmarkts verhindert manchmal langfristig sinnvolle Entscheidungen“, sagt Brandes. Ohne die Notierung könne man in Ruhe umbauen und für die Zukunft planen.
Hoher Automatisierungsgrad
Das bayerische Unternehmen ist Spezialist für die Gleichstrom-Technik, die bei Windrädern, Solaranlagen und Schnellladestationen für die E-Mobilität zum Einsatz kommt. Entsprechend steigt auch die Nachfrage nach der Schutztechnik von Schaltbau.
Die Fertigung in Deutschland ist nur mit einem hohen Grad an Automatisierung möglich. Das Kleinteilelager im neuen Werk ist vollautomatisiert, es sollen deckengeführte Schwarmroboter und fahrerlose Transportroboter unterwegs sein. Das Einlagern übernehmen Palettierungsroboter.
Die Automatisierungsbranche rechnet mit einem Sonderboom. „Es gibt schon länger den Trend, Produktion zum Beispiel teilweise nach Europa zurückzuholen“, sagte Marc Segura, der seit Kurzem die Robotik-Sparte von ABB führt, dem Handelsblatt. „Dieser Effekt wird sich weiter verstärken.“
Schaltbau will sich nun ganz auf die Elektrotechnik konzentrieren. Das Unternehmen hatte einst große Expansionspläne und kaufte sich mehrere Standbeine zusammen. So gehört zum Beispiel der Zugtür-Spezialist Bode zum Portfolio. „Wir werden die Schaltbau-Gruppe langfristig zu einem wachstumsstarken Spezialisten für Gleichstrom-Schutztechnik neu ausrichten“, sagt Brandes. Perspektivisch dürfte sich Schaltbau daher auf das Geschäft mit der Gleichstrom-Technologie konzentrieren.
Mehr: Rohstoffe: So wollen China und Russland den Rest der Welt abhängig machen.