Seit einem Jahr ist Boris Pistorius Bundesverteidigungsminister. Obwohl er laut Umfragen Deutschlands beliebtester Politiker ist, gibt es nun Kritik.
Seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr hat Boris Pistorius in der Wählergunst einen rasanten Aufstieg erlebt. Im Amt des Bundesverteidigungsministers zeigte der SPD-Politiker sofort, dass er anpacken will, und dass er keine Scheu vor der Nähe zur Truppe hat. Nicht nur die Soldaten sind in der Mehrzahl vom neuen Minister begeistert. Auch die Bevölkerung stellt Pistorius ein gutes Zeugnis aus. In Umfragen lag er unter den beliebtesten Politikern zuletzt ganz vorne.
In der SPD sollen sich manche daher schon für einen Wechsel im Kanzleramt ausgesprochen haben, wie die Süddeutsche Zeitung nun berichtet. Demnach gebe es durchaus Stimmen, die Pistorius für den besseren Kanzler halten. Olaf Scholz trauen die parteiinternen Kritiker demnach nicht mehr zu, die notwendigen Reformen umzusetzen und die nächste Wahl zu gewinnen.
Laut einer „Bild“-Umfrage sehen das viele Deutsche ähnlich. Nach Ansicht von 64 Prozent in einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Insa sollte Pistorius noch in der bis 2025 laufenden Legislaturperiode Kanzler Scholz an der Spitze der Regierung ablösen.
Pistorius als Scholz-Ersatz?
Doch wie erfolgreich macht der ehemalige niedersächsische Innenminister seine Arbeit eigentlich im neuen Amt? Unionsfraktionsvize Johann Wadephul sieht seinen SPD-Minister jedenfalls kritisch und stellt ihm eine negative Bilanz für das erste Jahr im Amt aus. „In seinen Initiativen und Ideen ist Pistorius bisher gescheitert“, sagte Wadephul dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Das gelte für Pistorius‘ Forderung nach einem höheren Verteidigungshaushalt und das „mehrmalige Kokettieren mit einer Wiedereinführung der Wehrpflicht“, sagte der CDU-Politiker. „Jedes Mal blieb es bei knackig vorgetragenen Interviews – die danach von Kanzler, den SPD-Partei- oder Fraktionsvorsitzenden ziemlich brüsk abgeräumt wurden.“
Nach Ansicht Wadephuls ist auch im Beschaffungswesen und bei der Veränderung der Strukturen in der Bundeswehr zu wenig in Pistorius‘ Amtszeit als Verteidigungsminister passiert.
Wadephul gestand dem Minister allerdings zu, „sehr schnell“ in seinem Amt angekommen zu sein. „Er hat von Beginn an gegenüber den Soldatinnen und Soldaten den richtigen Ton getroffen, was der Truppe sehr, sehr guttut. Und er hat gegenüber der Öffentlichkeit in begrüßenswerter Klarheit gesagt, wie die sicherheitspolitische Lage ist, was das für die Bundeswehr bedeutet und dass unser ganzes Land sich Fragen der Verteidigung stellen muss“, sagte der CDU-Politiker.
Schleppende Umsetzung der „Zeitenwende“
Damit zielt Wadephul wohl unter anderem auf Pistorius‘ Vokabel der „Kriegstüchtigkeit“ ab. Demnach müsse das Land sich viel stärker darauf vorbereiten, in einem möglichen Krieg auch wirklich verteidigungsbereit zu sein. Aus den eigenen Reihen, aber auch aus anderen Fraktionen hatte Pistorius für die Verwendung des Begriffs „kriegstüchtig“ viel Kritik einstecken müssen.
„Wir hören fast jeden Tag Drohungen aus dem Kreml – zuletzt wieder gegen unsere Freunde im Baltikum“, sagte der SPD-Politiker nun dem „Tagesspiegel“. „Wir müssen also einkalkulieren, dass Wladimir Putin eines Tages sogar ein Nato-Land angreift“, ergänzte Pistorius. Seine Warnung oder Forderung, dass die Bundeswehr „kriegstüchtig“ werden müsse, diene dazu, „unsere Gesellschaft damit auch wachrütteln“.
Doch nicht überall scheint er sich mit dieser offensiven wie vorausschauenden Haltung Gehör verschaffen zu können. Die Umsetzung der von Scholz ausgerufenen Zeitenwende kommt nach Meinung von Experten jedenfalls eher schleppend voran. In Sachen Taurus-Lieferung zögert der Kanzler nach wie vor mit einer noch kraftvolleren Unterstüzung der Ukraine im Überlebenskampf gegen Russland. Und auch die Aufstellung der deutschen Nato-Brigade in Litauen, die Pistorius den Bündnispartnern zugesagt hat, wird für die Bundesregierung zur Herkulesaufgabe.
„Kein Sprungbrett für höhere Aufgaben“
Wie die „SZ“ berichtet, sollen die kritischen Stimmen in der SPD daher zunehmend lauter werden. Die Stimmung sei wie auf der Titanic, zitiert die Zeitung einen namentlich nicht genannten SPD-Abgeordneten. Man sehe den Eisberg schon, aber „niemand tut etwas“. Angesichts der drohenden Niederlagen bei den Landtagswahlen in diesem Jahr, sprechen daher manche in der Partei schon von einer gewissen „Dynamik“, die sich gegen den Kanzler wenden könnte.