Düsseldorf Die Baubranche boomt. Weltweit. Nicht nur in Metropolen entsteht Haus um Haus. Infrastrukturprojekte, Wohngebäude, Gewerbeimmobilien – je mehr Menschen auf der Welt leben, desto mehr wird gebaut. Das ist nicht nur eine Frage von Kapazitäten – sondern auch eine des Klimaschutzes. International werden jährlich über 4,6 Milliarden Tonnen Zement verbaut. Bei dessen Herstellung fallen ganze 2,8 Milliarden Tonnen CO2 an. Das sind quick acht Prozent der weltweiten Emissionen – somit mehr als die globale Rechenleistung und der weltweite Flugverkehr zusammen.
Klimapositive Baustoffe könnten die Branche buchstäblich nachhaltig verändern: Sie speichern mehr CO2 als ihre Herstellung an Emissionen verursacht. Diese Methode nennt sich „Carbon Seize and Utilization“ oder „Carbon Seize and Utilization“ (CCU): Die CO2-Belastung der Atmosphäre wird deutlich verringert – und ein merklicher Beitrag zum Klimaschutz geleistet.
Unternehmen und Begin-ups sehen darin eine Likelihood, dem Klimawandel entgegenzuwirken. „Dies ist eine sehr aufregende Zeit für Innovationen im Bereich der Baumaterialien“, sagt Russell Hill, Cheftechnologe des amerikanischen Begin-ups Solidia Applied sciences. „Der Wandel erfordert alle Hände an Deck – öffentlich und privat.“.
Der Druck, die Emissionen zu verringern, wächst vor allem bei der Herstellung von Zement oder Beton. Letzterer ist einer der schlimmsten Klimasünder. Drawback ist der Zementklinker, wichtigster Bestandteil des Baustoffs.
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CO2-absorbierender Zement löst viele Probleme gleichzeitig
Genau hier setzt Solidia an. Das Begin-up aus New Jersey will klimafreundlichen Zement und Beton produzieren. Prominente Geldgeber glauben an das Vorhaben: Die Risikokapitalfirma Kleiner Perkins Caufield & Byers oder der Chemieriese BASF sind beteiligt. „Das Bewusstsein für die Notwendigkeit nachhaltigerer Lösungen für Herstellungsprozesse und Produkte ist rapide gewachsen,“ sagt Solidias Cheftechnologe Hill.
Die hohen Emissionen des Zements entstehen vor allem bei der Herstellung. Der Brennvorgang muss bislang bei etwa 1400 Grad stattfinden. Solidia verwendet bei seiner Zementformel weniger Kalkstein und mehr Ton, einschließlich des Stoffes Wollastonit. Dadurch kann der Zement bei nur etwa 650 Grad gebrannt werden.
Diese Methode benötigt rund 30 Prozent weniger Energie, entsprechend sinkt der CO2-Verbrauch. Mit diesem Ansatz löst Solidia nicht bloß das CO2-Drawback, sondern spricht gleichzeitig drei weitere Klimaschutzthemen an: Energieverbrauch, Wasserverbrauch und Abfallverwertung.
Denn anstelle von Wasser reagiert der Zement von Solidia mit CO2 und bindet den Kohlenstoff, um den Kalkstein herzustellen, der den Beton zusammenhält. Die ansonsten fossilen Rohstoffe, die den Drehofen erhitzen, werden durch Abfälle ersetzt. Zählt man alles zusammen, so kann Solidia Applied sciences den CO2-Fußabdruck im Unterschied zu handelsüblichem Zement und Beton um bis zu 70 Prozent reduzieren.
Der von Solidia hergestellte Zement benötigt rund 30 Prozent weniger Energie, entsprechend sinkt der CO2-Verbrauch.
Das Ganze kann in bereits bestehenden Öfen von Bauunternehmen verwendet werden. Wasser, das im Prozess für die Formung der Fertigteile verwendet wird, kann anschließend aufgefangen und recycelt werden. Die Technologie von Solidia wird derzeit noch zur Herstellung von CO2-ausgehärteten Fertigteilen in den USA eingesetzt. In der Testphase befindet sich die Produktmarke „Solidia SCM“, die erste Anwendung des Unternehmens für Transportbeton und den größeren Fertigmischmarkt.
Carbonauten-Kunststoff günstiger als erdölbasierte Stoffe
Nicht nur Beton und Zement sind Klimakiller, auch Kunststoff und Aluminium stehen klimatechnisch schlecht da. Im Jahr 2019 wurden allein durch die Kunststoffherstellung mehr als 850 Millionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt.
Die Nachfrage nach den Produkten sei sehr groß, der Zugang zum nötigen CO2 werde umso schwieriger, berichtet Solidia-Technologiechef Russell Hill.
Die Carbonauten aus Giengen in Baden-Württemberg bauen Karbonisierungsanlagen, die Biomasse in Biokohlenstoffe umwandeln. Dafür verwertet das Unternehmen vor allem Reste aus der Forst- und Landwirtschaft, der Lebensmittel- und Holzindustrie. Die Biokohlenstoffe binden das CO2 dauerhaft und können als Grundmaterialien für Beton, Asphalt und Mauerwerke dienen.
Ein weiterer wichtiger Punkt beim Ersatz von erdölbasierten Materialien sind Rohrmaterialien, Silikone, Bauschaum und Kunststofffolien, die am Bau in großen Mengen zum Einsatz kommen. Man sei zur Entwicklung und Herstellung der Stoffe bereits mit mehreren Unternehmern im Kontakt, erklärt Torsten Becker, Gründer der Carbonauten. Auch klimapositiv hergestellte Isoliermaterialien wiesen eine weitaus bessere funktionale Wirkung und Feuchtigkeitsaufnahme auf als herkömmliche Materialien, so Torsten Becker.
Jede Tonne Carbonauten-Biokohlestoff speichert nach Angaben der Firma bis zu 3,3 Tonnen CO2. In dem Prozess bleibt sogar noch grüne Energie übrig, die für die Produktion genutzt werden kann – auch umgeleitet für energieaufwendige Prozesse am Bau. „Die so hergestellten Materialien sind zudem auch kostengünstiger als erdölbasierte Baustoffe“, so Becker. Dies biete für die Bauunternehmen einen wichtigen Anreiz.
Im Frühjahr dieses Jahres geht in Eberswalde die erste Produktionsanlage der GmbH in Betrieb. Ab dann sollen hier professional Jahr 6000 Tonnen Biokohlenstoffe aus regionalen Biomasseresten produziert werden.
Klimapositiv hergestellte Isoliermaterialien wiesen oft eine weitaus bessere funktionale Wirkung und Feuchtigkeitsaufnahme auf als herkömmliche Materialien, so Carbonauten-Gründer Torsten Becker.
Auch das Berliner Unternehmen Fabricated from Air nutzt wie die Carbonauten die sogenannte Pyrolyse-Technologie. Für die Produktion nutzen sie den thermochemischen Prozess, bei dem organische Abfälle wie Sägemehl, Gras, Laub und Baumschnitt, aber auch Industrieabfälle bei sauerstofffreier Erhitzung bei etwa 400 bis 700 Grad aufgespalten werden. Damit stellt das Unternehmen Kunststoffelemente her, die erdölbasierte Produkte oder Aluminium ersetzen können und beispielsweise bei großflächigen Gebäudefassaden verwendet werden können.
Seit der Gründung hat das Unternehmen mehr als zehn Tonnen Materials produziert und an den Autobauer Audi oder die Modekette H&M geliefert. Was den großen Durchbruch des klimapositiven Plastiks von Fabricated from Air bisher verhindert, ist der Preis. Plastik aus fossilem Öl, Gasoline oder Kohle ist deutlich billiger.
Unternehmer: „Baubranche ist erzkonservativ“
Der Umschwung in der Branche läuft laut Carbonauten-Gründer Torsten Becker auch aus anderen Gründen schleppend. Unternehmen aus der Baubranche seien interessiert, hätten aber oft nicht die finanziellen Möglichkeiten. „Die Erkenntnis und der Wille sind da, aber die Branche ist erzkonservativ“, analysiert Becker.
Denn bei großen Unternehmen fehle aktuell auch noch der finanzielle Anreiz. „Die Aufträge laufen, die Baubranche boomt – das Baumaterial ist knapp. Der wirtschaftliche Druck ist für die Unternehmen daher eher gering, der ökologische nimmt massiv zu“, erklärt Becker.
Im Kunststoffbereich seien auch große Baufirmen hingegen wesentlich offener, so Becker. Für eine Umstellung bräuchte die Branche aber noch Zeit. Wenn man in einem so zentralen Bereich Baumaterialien zulassen wolle, benötige der Prozess in der Regel bis zu zehn Jahren – dies sei auch berechtigt. „Die Konstruktion darf ja nicht zusammenbrechen.“
Doch die Zeit drängt, die Unternehmen müssen mittelfristig umstellen: „In Anbetracht der Klimaeskalation bedeutet das für mich ein bis zwei Jahre“, so Becker. „Die Lösungen liegen auf dem Tisch, die Industrie kriegt den Hintern nur langsam hoch.“
Auch in den USA ist die Umstellung des Sektors eine Herausforderung – einige Probleme fallen dort allerdings weg: „In Europa liegt der Schwerpunkt eher auf Regulierung, Gesetzgebung und Steuern zur Förderung der Nachhaltigkeit“, sagt Hill, Chief Know-how Officer von Solidia.
In den USA sei der Ansatz in der Regel eher anreizbasiert, doch bestehe die Herausforderung darin, dass die Vorschriften für Bau und Baumaterialien sich, je nach Bundesstaat, stark unterscheiden. „Daher ist es schwierig, eine Einheitslösung zu entwickeln, die für mehrere Märkte geeignet ist“, so Hill. „Wir arbeiten mit Herstellern in Europa, den USA und Kanada zusammen.“ Die große Vielfalt an Ansätzen zur Förderung nachhaltiger Lösungen sei eine Herausforderung und mache es den Herstellern schwer, darauf zu reagieren.
Ein anderes Drawback überrascht: Ausgerechnet die Beschaffung des schädlichen CO2 stellt die Branche vor eine Herausforderung. Die Nachfrage nach den Produkten sei sehr groß, berichtete Hill von Solidia. „Die wahrscheinlich größte Herausforderung ist der Zugang zu CO2 und dessen Erschwinglichkeit“, so Hill.
Dazu kommen „Probleme in der Lieferkette, sodass es für die Hersteller schwierig ist, eine Pause einzulegen, um neue Technologien einzuführen.“
Solidia: Entwicklung einer CO2-Infrastruktur erforderlich
Die Baubranche in Deutschland äußert sich optimistisch. „Das Stimmungsbild, das wir verzeichnen steht eindeutig auf Aufbruch“, so Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer beim Hauptverband der Bauindustrie in Deutschland. Bei der Herstellung der Baustoffe fielen die meisten CO2-Emissionen an, weniger beim Bauen selbst.
Vor diesem Hintergrund müsse man sich vor allem den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes anschauen, meint Müller. „Der große Hebel für die CO2-Emissionen im Bau- und Immobilienbereich liegt in der Bestandssanierung“, so Müller.
Etwa 75 Prozent der Emissionen im Hochbau entstünden beim Betrieb der Gebäude. Regenerative Energien seien daher der Schlüssel beim Betrieb der Gebäude. Aber klimapositive Sanierungsmöglichkeiten sind teuer. „Der Bauherr muss es wollen und uns entsprechend beauftragen – und dann müssen die Baustoffe verfügbar sein, in großer Menge“, sagt Müller. „Gebäudesanierung muss ein ganzheitliches Produkt werden – am besten quartiers- und sektorenübergreifend.“
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