Der Vagusnerv spielt eine wichtige Rolle bei der Stressbewältigung. Wie er sich bei Stress stimulieren lässt, hat t-online bei einem Stressexperten nachgefragt.
Das Wichtigste im Überblick
Wo verläuft der Vagusnerv?
Der Vagusnerv, lateinisch Nervus Vagus, ist der zehnte und längste Nerv unserer insgesamt zwölf Hirnnerven und Teil des vegetativen Nervensystems. Er entspringt rechts und links dem Hirnstamm und verlässt den Schädel durch das sogenannte Drosselloch im Bereich der hinteren Schädelbasis. Er verläuft an beiden Seiten des Halses nach unten und schließt an die Speiseröhre an, mit der er durch den Brustkorb bis zum Zwerchfell reicht. Auf seinem Weg nach unten zweigen vom Vagusnerv zahlreiche Nerven ab, welche unter anderem zum Herzen und zur Lunge ziehen.
Unter dem Zwerchfell trifft der Vagusnerv dann mit dem Sonnengeflecht (Solarplexus, Geflecht aus Fasern des vegetativen Nervensystems) zusammen – und damit auch mit Nervenfasern des sympathischen Nervensystems. Die vegetativen Nerven verzweigen sich von dort zu fast allen Organen im Bauchraum. Der Vagusnerv endet unter dem linken Rippenbogen mit dem quer verlaufenden Dickdarm.
Welche Aufgaben hat der Vagusnerv?
Das vegetative Nervensystem lässt sich, vereinfacht ausgedrückt, in Parasympathikus und Sympathikus aufteilen. Der Sympathikus ist für die Leistungssteigerung unter Stress zuständig. Er bewirkt beispielsweise, dass sich der Herzschlag beschleunigt, der Atem schneller und flacher wird, der Blutdruck steigt und sich die Muskulatur anspannt. Der Parasympathikus, der Gegenspieler des Sympathikus, unterstützt den Stressabbau. Er fördert Erholung und Entspannung und wirkt bei der Regulierung von Emotionen mit. Der Vagusnerv ist der wichtigste Nerv des Parasympathikus. Er wird auch als Ruhenerv bezeichnet.
„Der Vagusnerv verbindet wichtige Organsysteme mit dem Gehirn und unterstützt die Weiterleitung körpereigener Signale. Er ist für die Regulation verschiedener Körperfunktionen von Bedeutung, darunter Atmung, Herzschlag, Verdauung und Stressreaktionen“, erklärt Dr. Andreas Hagemann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.
Zur Person
Dr. Andreas Hagemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Ärztlicher Direktor der unter anderem auf Burnout und Stresserkrankungen spezialisierten Privatkliniken Duisburg, Eschweiler und Merbeck.
Den Vagusnerv zur Stressregulation gezielt stimulieren
Eine aktive Stimulierung des Vagusnerv kann Stressreaktionen lindern, etwa Herzklopfen oder einen schnellen Atem. Da der Vagusnerv zudem mit Gehirnbereichen verbunden ist, welche Stimmungen und Emotionen regeln, kann eine Aktivierung des Vagusnerv dazu beitragen, dass man entspannter wird und wieder mehr in die Ruhe findet. Das unterstützt das Wohlbefinden. Sind wir entspannt, sind wir nicht nur konzentrierter und stressresistenter. Auch die Verdauung funktioniert besser, der Schlaf ist gesünder, der Blutdruck kann sich regulieren, das Immunsystem normal arbeiten und Stoffwechselprozesse ungestört ablaufen.
„Eine einfache Möglichkeit ist, den Vagusnerv durch eine gezielte, tiefe Atmung zu aktivieren. Dazu atmet man tief in den Bauch ein. Das Ausatmen ist hierbei immer ein paar Sekunden länger als das Einatmen. Die Entspannung wird verstärkt, wenn man durch die Nase einatmet und durch den Mund sanft wieder aus“, erklärt Hagemann. „Nach wenigen Minuten wird der Herzschlag in der Regel langsamer und ein Gefühl von mehr innerer Ruhe stellt sich ein. Entspannungstechniken, welche eine bewusste Atmung einbeziehen, etwa Meditation, Yoga und autogenes Training, sind gute Vagusnerv-Übungen.“
Was tut dem Vagusnerv gut?
Zur Stressreduktion eignet sich alles, was Ruhe und Entspannung fördert – und damit auch günstig auf den Parasympathikus und den Vagusnerv wirkt. Das können Spaziergänge in der Natur sein, ein warmes Bad, ein Nachmittag im Bett mit einem Buch oder eine Ruhepause im stressigen Arbeitsalltag. Jeder hat Entspannungsmomente, in denen er tief durchatmet und ganz bei sich ist. Solche Momente fördern Ruhe und Wohlbefinden. Auch kann man unter Stress den Vagusnerv im Bereich des Halses stimulieren. Hierfür mit den Händen sanft den Halsbereich zwischen Ohren und Schulterübergang massieren.
„Stressreduktion und die Förderung von Entspannung sind für unsere Gesundheit von großer Wichtigkeit. Anhaltender starker Stress führt nicht nur zu Schlafproblemen, Unkonzentriertheit und Verspannungen in Schultern, Nacken und Rücken. Ein dauerhaft überlastetes Nervensystem und die damit verbundene Ausschüttung von Stresshormonen schwächt zudem das Immunsystem und begünstigt Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus, Angststörungen und Depressionen“, sagt Hagemann.