Seit neun Tagen ist der sechsjährige Arian verschwunden. Noch immer besteht Hoffnung, das Kind lebend zu finden. Ein Facharzt erklärt, welche körperlichen und psychischen Folgen die Situation für den Jungen hat.
Die breite Suche ist beendet. Jetzt suchen polizeiliche Spezialistenteams Arian, das sechsjährige autistische Kind aus Elm bei Bremerförde. Die „Ermittlungsgruppe Arian“ wertet Hinweise und Spuren aus und versucht Hypothesen aufzustellen, was am Tag des Verschwindens passiert sein könnte und wie wahrscheinlich das ist. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Junge eigenständig sein Zuhause verließ. Das deckt sich auch mit den Aufnahmen einer privaten Überwachungskamera. Diese zeigen, wie der autistische Junge allein Richtung Wald läuft. Noch hoffen alle auf einen positiven Ausgang.
Aber was macht es mit einem sechsjährigen Kind, tagelang allein im Wald zu leben, ohne Zugang zu Lebensmitteln oder Zuspruch? t-online hat Kinder- und Jugendmediziner Dr. Burkhard Rodeck gefragt.
t-online: Herr Rodeck, welche Folgen kann ein längeres Verschwinden für ein Kind haben?
Dr. Burkhard Rodeck: Nach der Geburt ist der Mensch hilflos und auf die Versorgung einer Betreuungsperson angewiesen. Mit zunehmendem Alter entwickeln die Kinder Autonomie und können ab dem Alter von 14 Jahren für sich selbst sorgen.
Zur Person
Privatdozent Dr. Burkhard Rodeck ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ).
Grundsätzlich sollen Kinder bis zum dritten Lebensjahr immer beaufsichtigt sein und nicht allein gelassen werden. Ab dem vierten Lebensjahr kann ein Kind 15 bis 30 Minuten allein sein, aber nur wenn man in der unmittelbaren Umgebung bleibt. Ab dem siebten Lebensjahr kann man den meisten Kindern zumuten, zwei Stunden allein zu bleiben.
Ab wann können Kinder einschätzen, ob für sie eine Gefahr besteht?
Etwa ab 5 bis 6 Jahren entwickeln Kinder ein akutes Gefahrenbewusstsein, ab 8 Jahren ein vorausschauendes Gefahrenbewusstsein, erst ab 9 bis 10 Jahren ein vorbeugendes Gefahrenbewusstsein. Es handelt sich dabei um Näherungswerte, die individuelle Entwicklung eines Kindes kann schneller oder auch langsamer laufen. Ab einem Alter von 14 Jahren können die Jugendlichen laut Gesetzgeber allein gelassen werden.
Wie kann sich Unterernährung, Dehydration oder mangelnde Hygiene auf die Gesundheit eines Kindes auswirken?
Der kindliche Organismus ist nicht so widerstandsfähig wie bei einem Erwachsenen. Alle genannten Probleme ziehen gesundheitliche Probleme nach sich, je nach Alter des Kindes eher als bei einem Erwachsenen, je jünger, umso mehr.
Welche Risiken bestehen für ein Kind, das extremen Witterungsbedingungen ausgesetzt ist?
Kälte, Nässe, aber auch Hitze können für ein Kind gefährlich sein, auch hier gilt, Kinder sind eher gefährdet als Erwachsene.
Welche psychischen Traumata können durch ein traumatisches Erlebnis wie ein Verschwinden entstehen?
Grundsätzlich gilt, dass ein Kind durch eine solche (erste) Erfahrung mit Verlust des Urvertrauens in seine Sicherheit psychisch belastet wird. Das Ausmaß und die Folgen sind individuell unterschiedlich und hängen von den individuellen Resilienzfaktoren ab, die ein Kind mitbringt.
Welche Folgen können insbesondere bei autistischen Kindern auftreten?
Man spricht heute eher von Autismus-Spektrums-Störung als von Autismus. Innerhalb der Störungen gibt es unterschiedliche Symptome, Ausprägungen und Schweregrade. Insoweit kann eine für alle Patienten geltende Antwort hier nicht gegeben werden. Es hängt vom individuellen Fall ab.