Kurz vor Weihnachten wird einem Düsseldorfer Kinderhospiz der Transporter für Ausflüge mit den Kindern gestohlen. Dann passiert in einer Ecke des Internets etwas Wunderbares.
Bis zum dritten Adventwochenende hatte das Kinderhospiz Regenbogenland einen fünf Jahre alten Mercedes Sprinter für Ausflüge mit den schwerkranken Kindern vor dem Haus stehen. Jetzt ist der Sprinter gestohlen – und das Düsseldorfer Hospiz kann sich nach der ersten Enttäuschung über Tausende Spenden freuen. Die dürften für mehr als einen neuen Transporter reichen. Dahinter steckt maßgeblich ein Phänomen, das den Beteiligten zunächst Rätsel aufgab: die „Kraft aus dem Keller“. t-online erklärt, wie die Dynamik einer verschworenen Gemeinschaft eine Spendenlawine losgetreten hat.
Die Nachricht von dem Diebstahl des Fahrzeugs der Einrichtung für Kinder, die nicht mehr lange zu leben haben, hatte schnell Wellen geschlagen und Empörung ausgelöst. Beispielsweise der Traditionsclub Fortuna Düsseldorf teilte die Nachricht des „Regenbogenlands“ am Freitag. Und in Reaktionen spiegelte sich wider, was auch Einrichtungsleiterin Anja Eschweiler t-online sagt: „Das hat uns absolut fassungslos und tieftraurig gemacht. Die Weihnachtszeit sollte eigentlich ganz anders sein.“
Dieses Gefühl ist noch nicht verflogen, „ich kann so eine Tat nicht begreifen“. Aber inzwischen gibt es noch ganz andere Emotionen: Die Einrichtung wird überschwemmt mit tröstenden Worten und Zuspruch, „diese Verbundenheit bewegt uns.“ Und es kam sehr schnell das Angebot finanzieller Hilfe. Die große Instagram-Seite „Duesselmeme“ rief dazu auf, ein Verein „Race4Hospiz“ sammelt, auch andere äußerten ähnliche Pläne.
„Die Menschen waren schneller als wir“
Doch das ist alles bereits in den Schatten gestellt, und das Auto könnte jetzt bereits finanziert sein. Tausende Spenden hat das Hospiz seit Mittwoch erhalten. „Die Menschen waren schneller als wir“, sagt Eschweiler. „Ich weiß noch gar nicht, wie viel Geld wir überhaupt benötigen. Ohne eine solche Summe zu kennen, hatten wir noch nicht aufrufen wollen.“
Seit Mittwoch sind gesichert mindestens 90.000 Euro allein von Nutzern von „pr0gramm“ gespendet worden. Dahinter steckt eine der 100 meistbesuchten deutschen Seiten, die dennoch kaum bekannt ist. Es ist ein vorwiegend von jungen Menschen genutztes Imageboard, eine Art Forum, in dem tägliche mehrere Tausend Bilder gepostet werden und darunter diskutiert wird.
Dort gilt die Regel: „Über das Pr0 spricht man nicht.“ Dennoch hat die Seite große Mobilisierungskraft, wenn das Forum auf ein Thema anspringt. Dort wurde das Weihnachtswunder möglich.
Diese Hoffnung hatte auch ein pr0gramm-Nutzer mit dem Pseudonym „Wurst69“, ein Düsseldorfer, der oft an dem Hospiz vorbeifährt und das Facebook-Posting mit der Nachricht vom Diebstahl kurz nach Veröffentlichung bereits sah. „Ich musste sofort ans pr0 denken und habe insgeheim auf den Spendenraid gehofft“, schrieb er t-online. Er hoffte also, dass bei dem emotionalen Thema eine Spende eine Lawine lostritt, weil sich plötzlich ganz viele anschließen und eine gemeinsame Aktion daraus wird.
Spendenaktionen seit Ärger über Sicherheitsforscher
Spendenaktionen haben in dem Forum Tradition, seit dort Wut auf einen amerikanischen Sicherheitsforscher in eine riesige Hilfsaktion für die Krebshilfe umgeschlagen ist. Der Amerikaner Brian Krebs hatte über pr0gramm negativ berichtet und Beteiligte öffentlich gemacht. In der Szene hatte das zunächst Wut und eine Welle mit Beiträgen ausgelöst, in denen der Sicherheitsforscher Krebs verächtlich gemacht wurde. Dann spendete aber jemand mit dem Betreff „Krebs ist scheiße“ an die Krebshilfe – und Tausende nutzten anschließend Spenden für die gleiche Botschaft. Seither hat das Forum erneut für Krebsforschung gespendet, aber auch nach einer Einbruchserie für betroffene Tierheime.
Und er behielt Recht: Um 18. 28 Uhr am Mittwoch hatte er den Screenshot des Regenbogenland-Beitrags gepostet, um 18.54 Uhr erschien der erste Screenshot einer Spende. „Ich habe mit einer Spende nachgelegt, und da ist es am Abend und in der Nacht schon eskaliert.“ Am Donnerstagmorgen um 6 Uhr waren bereits Belege über Spenden in Höhe von 40.000 Euro gepostet, am Freitagabend nach 48 Stunden waren 85.000 Euro dokumentiert.
3.000 Nutzer spendeten
Inzwischen haben fast 3.000 Nutzer Bilder ihrer Spende gepostet. Unter den Spenden gab es auch vereinzelt seltsame Scherze, so hat ein Nutzer 1 russische Kopeke gespendet, 0,01 Rubel. Das sind 0,0098 Cent. Ein anderer hat aber auch 5.000 Euro gespendet, im Durchschnitt überwiesen die Nutzer 29,91 Euro. Das hat ein Nutzer ausgerechnet, insgesamt zwei führen Statistik. Die „Kellerkinder“ haben also geliefert. So nennen sich die Nutzer selbstironisch – ein Spiel mit dem Vorurteil, dass dort nur junge Leute unterwegs sind, die im Keller ihrer Eltern nur hinter dem Rechner hocken.
Einzelne Nutzer hatten Spaß daran, auf der Facebookseite des Hospizes Andeutungen zu machen. Wenn dort Menschen Spendenaktionen zur Beschaffung eines neuen Wagens ins Gespräch brachten, kamen Antworten wie „Keller hat geregelt“ oder „Die Kraft kommt aus dem Keller“. Irritierend für viele Düsseldorfer, heißt dort der Oberbürgermeister auch Stephan Keller.