Der Weihnachtsbaum ist Teil der deutschen Leitkultur. Mit dieser Feststellung hat CDU-Chef Friedrich Merz für Aufsehen gesorgt. t-online-Autor Philipp Michaelis sind fast die Kugeln von der Tanne gefallen.
Als Kind hab ich vor Weihnachten immer einen Wunschzettel geschrieben. Klar, meist stand Spielzeug drauf. Je älter ich wurde, desto kürzer wurde die Liste, und irgendwann hab ich damit aufgehört. Weil ich ziemlich wunschlos glücklich bin. Und weil die Dinge, die man mit zunehmendem Alter bräuchte, meist keine schönen Geschenke sind. Eine Gleitsichtbrille hab ich schon, und ich möchte keinen Nasenhaartrimmer unter dem Weihnachtsbaum.
Apropos Weihnachtsbaum. Seinetwegen habe ich jetzt wieder einen Wunschzettel. Und wegen Friedrich Merz. Aber jetzt schreibe ich Sachen drauf, die ich zu Weihnachten nicht, null und nie mehr brauche. Einen „Anti-Wunsch-Zettel“. Erster Punkt, dick unterstrichen: „Keine Leitkulturdebatte unter meiner Nordmanntanne!“ Und die hat Merz wieder angeheizt, mit dem Satz: „Wenn wir von Leitkultur sprechen, von unserer Art zu leben, dann gehört für mich dazu, vor Weihnachten einen Weihnachtsbaum zu kaufen.“
Dazu möchte ich gerne folgendes sagen: Lieber, guter Weihnachtsmerz, ich will auch immer artig sein! Aber bitte verfritz uns nicht auch noch das Fest der Familie! Gib uns diese kurze Zeit ein bisschen Frieden vom Kulturkampf! Weihnachten ist nur einmal im Jahr. Wir haben nur diese paar Tage Pause von Krieg und Tod und Teufel, von links und rechts und von hin und her und „die“ und „wir“. Halte unseren schönen Weihnachtsbaum da raus!
Da hänge ich die abgewetzten Strohsterne dran, die schon meine Mama früher rausgeholt hat. Da stehen meine Kinder davor und schaffen es kaum, ein Gedicht aufzusagen, weil sie ran an die Geschenke wollen. Und um den Baum herum wird falsch und laut gesungen und zu viel gegessen. Und ganz spät, wenn die Kleinen schlafen, die Küche aufgeräumt ist und sich die Weihnachtsgans langsam setzt, dann mache ich es mir mit meiner Frau auf der Couch gemütlich und gucke diesen Baum an. Er ist Teil meiner Kultur, meiner Identität. Mein Baum gehört mir!
Und bei aller Heimatliebe: Du schmückst mir den nicht um! Wenn ich meine Christbaumkugeln schwarz-rot-golden anmalen möchte, dann mach ich das selber. Eigenverantwortung, du weißt schon! Denn mein Baum hat absolut nichts damit zu tun, wer „wir“ sind (wer ist eigentlich „wir“?) und wonach sich „die“ (wer sind eigentlich „die“?) gefälligst zu richten haben. Meine Familie und ich lieben diesen Baum. Wie er ist. Solange mir keiner verbietet ihn aufzustellen, muss sich von mir aus umgekehrt auch keiner zum Weihnachtsbaum bekennen oder einen kaufen. Meinen Baum (oder auch der, den andere nicht brauchen) macht Ihr nicht zum Teil Eurer Identitätsdebatte, lieber Fritzolaus.
Im Ernst: Was wollen wir denn noch alles ideologisch aufblasen? Rauhaardackel? Draußen nur Kännchen? Oder, nicht böse gemeint, Kartoffelsalat? (Wissen Sie eigentlich, was „typisch deutsch“ sein soll? Dann gerne hier entlang). So wie wir diese Diskussion darum führen, was uns in Deutschland ausmacht, finden wir nicht zusammen. Müssten wir aber. Wer künftig zu uns kommt und uns willkommen sein will, der muss Dinge achten, die „uns“ wichtig sind. Keine Frage.
Ich habe für mich – Stand jetzt, zu Weihnachten 2023 – dazu kein festes Konzept. Freiheit, irgendwie. Anpacken, wahrscheinlich. Sich an Regeln halten, auf jeden Fall. Mitmachen, bitte. In diese Richtung müsste es gehen. Daraus könnte ein Konzept werden. Ob man das „deutsche Leitkultur“ nennen muss: Ich weiß es nicht. Aber darüber nachdenken müssen wir. Damit die wissen, die zu uns kommen, was wir von ihnen erwarten.