Darauf legt Sarrazin auch keinen gesteigerten Wert. „Man kann unbeliebt sein. Man muss aber auch die richtigen Leute haben, die einen unterstützen“, sagt Sarrazin mit Blick auf seinen Kreis von Anhängern, als er noch in der Politik war. Am Ende hatte er in der SPD kaum noch Support.
Vom Schreiben abgehalten hat ihn all das nicht. Sein aktuelles Buch ist bereits sein achtes. Missverstanden werden als Geschäftsmodell? Zugeben würde Sarrazin das wohl nie.
Sarrazin sagt von sich selbst, er sei ein humorvoller Mensch. Wie um das zu verdeutlichen, erzählt er später von „Pharaos Rache“, wie er seine Durchfallerkrankung nannte, die er sich in den 1990er Jahren bei einem Ägypten-Urlaub zuzog.
„Viele Dinge kann man nur mit Ironie bewältigen“, erläutert Sarrazin. Sie sei ein gutes Mittel, seinen Gegner zu verspotten, sagt er. Nur werde sie bei ihm nicht unmittelbar bemerkt. Doch Ironie sei ein „scharfes Schwert“, warnt er, das man nur vorsichtig einsetzen dürfe.
Er glaubt offenbar, deshalb so oft missverstanden zu werden und nennt auch gleich ein Beispiel: Anfang des Jahrtausends habe ein ihm „feindlich gesonnener Journalist“ einen „offenkundig“ ironischen Kommentar von ihm missverstanden. In einem Interview zum Sparkurs der Stadt hatte Sarrazin gesagt: „Die Beamten laufen bleich und übelriechend herum, weil die Arbeitsbelastung so hoch ist.“ Daraus habe der Journalist eine Geschichte gegen ihn konstruiert. Die Folge: „Ich habe mit ihm ein Jahr lang nicht geredet“, sagt Sarrazin. „Ich fand mich missbraucht.“
Auch Sarrazins Humor hat Grenzen.
Über die Beiträge der ZDF-„Heute Show“ kann er derweil nicht oft lachen. Er findet die Sendung häufig zu links, zu missionarisch, sagt er. „Sie wendet ihre Satirefähigkeit zu 90 Prozent für aus ihrer Sicht politisch korrekt empfundene Ziele an.“ Sarrazin schaut sie dennoch weiter an, aus Gewohnheit, wohl aber auch, weil er seine Vorurteile bestätigt sehen will.
Dabei ist dann im Regelfall seine Frau Ursula Sarrazin, seine engste Unterstützerin, erklärt Sarrazin, eine frühere Lehrerin. Sie stimme mit seinen Thesen überein, habe ihm bei seinen Werken geholfen. 1974 haben sie geheiratet, ein Jahr nach Sarrazins Eintritt in die SPD. Die beiden reisten sehr gerne, im November geht es für das Ehepaar Sarrazin für drei Wochen nach Vietnam. Erst vor Kurzem haben sie Freunde auf Mallorca besucht. Und regelmäßig, „mehrere Monate im Jahr“, sind sie in ihrem Ferienhaus auf Usedom.
An der Esszimmerwand hängt eine Zeichnung von ihren beiden Söhnen. Er habe diese bei einem polnischen Maler Anfang der 1990er-Jahre auf dem Berliner Alexanderplatz in Auftrag gegeben, erzählt Sarrazin. Ein gutes Verhältnis habe er zu ihnen, sie wohnten noch in Berlin. Weitere Fragen, auch zu Enkelkindern, will er nicht beantworten. Seine Familie: Privatsache.
Sarrazin redet lieber von sich selbst. Als Autor sei er entweder Hass- oder Kultfigur. Dazwischen? Gebe es wenig.
Er erzählt jetzt eine Anekdote, die das verdeutlichen soll. Bei einem Ausflug in die Stadt hätten ihn zwei türkischstämmige Jugendliche um ein Selfie gebeten. Wie so viele hätten sie seine Bücher zwar nicht gelesen. Aber von ihm und seinen Thesen gehört: „Die Vernünftigeren von ihnen wissen, dass ich absolut recht habe.“
Und am selben Tag sei er dann von einem mittelalten Mann, alternativ gekleidet, „offenkundig linksradikal sozialisiert“, in einer U-Bahn-Station beschimpft worden. „Menschen wie dich sollte man umbringen“, habe der Mann ihm zugerufen – leider sei dieser Mann zu „feige“ für eine Diskussion gewesen und habe ihm das gesagt, als sich die Türen der U-Bahn bereits schlossen, erzählt Sarrazin.
Auch wegen solcher Vorfälle fahre er nicht mehr allzu oft U-Bahn, sondern steige im Zweifel lieber ins Taxi, wenn es nach Kreuzberg oder Neukölln gehe. Dort, wo Sarrazin vermutet, am ehesten für seine Veröffentlichungen angefeindet zu werden.
Neben dem Lesen schaltet Sarrazin am liebsten beim Golfen ab. Er sei „Altersgolfer“ geworden. Gelegentlich spiele er gemeinsam mit seinem früheren Chef, dem Ex-Bürgermeister Klaus Wowereit. Mit ihm pflege er ein freundschaftliches Verhältnis – die beiden teilten den gleichen ironischen Humor, sagt Sarrazin. Bei aller Freundschaft: Sich zu Sarrazin äußern wollte Wowereit auf Anfrage von t-online allerdings nicht.
Ob er etwas in seinem Leben bereut? Über die Frage muss Sarrazin lange nachdenken.
Nach knapp zwei Minuten findet er eine Antwort: Der Umzug 1991 von Bonn nach Mainz, als er in der rheinland-pfälzischen Hauptstadt Finanzstaatssekretär wurde. Nicht zuletzt, weil er sein privates Umfeld aufgeben musste.
Und in Bezug auf seine Äußerungen? Hat er nicht in der einen oder anderen Formulierung doch übertrieben? Nein, das würde er alles genau so wieder schreiben. Reue müsse er nicht zeigen, sagt er, insbesondere nicht für „Deutschland schafft sich ab“. Im Gegenteil: „In der Kontinuität meiner Leistungen kann ich durchaus Stolz empfinden.“ Eine unmissverständliche Aussage.