Wohl niemand will in einer Polizeidatenbank als Verdächtiger auftauchen. Der Gesetzgeber hat die rechtlichen Vorgaben für das Datensammeln geändert. Vor dem Verfassungsgericht ging es nun um mögliche Folgen.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Befugnisse der Sicherheitsbehörden im Kampf gegen Terror und organisierte Kriminalität genauer unter die Lupe genommen. Diese verletzen aus Sicht mancher die Grundrechte von Betroffenen. Gerichtspräsident Stephan Harbarth sagte, es gehe um das Spannungsfeld zwischen dem Sicherheitsauftrag des Staates und dem Schutz individueller Freiheitsrechte.
Im Fokus stehen Möglichkeiten, die der Gesetzgeber vor allem dem Bundeskriminalamt (BKA) einräumt – etwa zum Erheben von Daten und dem Austausch mit Polizeibehörden der Bundesländer sowie zum heimlichen Überwachen von Kontaktpersonen Verdächtiger. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat Verfassungsbeschwerde gegen das 2017 geänderte BKA-Gesetz erhoben. Ein Urteil des höchsten deutschen Gerichts wird erst in einigen Monaten erwartet.
Kläger: Keine Verurteilung, aber gravierende Folgen
Für die GFF wies Rechtsanwalt Bijan Moini in Karlsruhe auf mögliche Folgen eines Eintrags in die Polizeidatenbanken hin: Betroffene würden teils öffentlich stigmatisiert, verpassten Termine, Maßnahmen der Polizei würden härter, Folgen für den Job seien denkbar. Dabei würden die Menschen oft gar nicht wegen der Straftaten verurteilt. Wer häufiger kontrolliert werde, lande zudem öfter in Datenbanken, sagte Moini zudem in Bezug auf Menschen mit ausländischem Aussehen.
Aus Sicht der GFF, eines gemeinnützigen Vereins, sind die Regeln zur Speicherung auf Vorrat und Nutzung der Daten zu unbestimmt und weitreichend. Es handele sich um ein strukturelles Problem, sagte Moini, und kein „Missgeschick des Gesetzgebers“. Die Kläger fordern konkrete verfassungsrechtliche Maßstäbe für das Sammeln und Speichern von Daten. Insoweit betrete die Verfassungsbeschwerde Neuland.
Faeser: Datenaustausch dient Sicherheit der Bevölkerung
Bundesinnenministerin Nancy Faeser verteidigte das Gesetz hingegen als verfassungskonform. Die Polizeibehörden müssten mit den Entwicklungen Schritt halten, um effektiv ermitteln zu können. „Sie müssen auf der Höhe der Zeit sein.“ Im Rahmen der Polizeiarbeit müssten Daten verknüpft werden können, sagte die SPD-Politikerin. „Das zeichnet gute polizeiliche Arbeit geradezu aus.“ Das BKA-Gesetz sehe zahlreiche Prüfmechanismen auch im Zusammenhang mit dem Bundesdatenschutzgesetz vor, damit Daten nicht anlasslos gespeichert werden, sagte sie. „Das Gesetz ist robust gegen Missbrauch.“
Die leitende Kriminaldirektorin Julia Pohlmeier erläuterte, dass nur sehr wenige Hinweise in einem Vorgang der sogenannten Gefahrenabwehr beim BKA mündeten. Das sei „die absolute Ausnahme“. Sie sprach von 28 Fällen. Vorrangiges Ziel der Behörde sei, Strafverfahren einzuleiten.
Werde ein Vorgang zur Gefahrenabwehr beendet, würden die Betroffenen über die eingeleiteten Maßnahmen informiert und die Daten umgehend gelöscht – es sei denn, dies sei nicht möglich. Das gelte für Fälle, in denen am Ende ein Strafverfahren läuft und ein Gericht die Daten womöglich überprüft. Manchmal könnten Betroffene nicht über die Maßnahmen informiert werden, weil Vertrauensleute involviert seien. Allein die BKA-Handlungshilfe für Löschkonzepte sei elf Seiten lang.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber, dessen Behörde das BKA berät und auch überprüft, attestierte dem Bundeskriminalamt ein „positives Verständnis von Datenschutz“. Trotzdem gebe es Auslegungsprobleme und Rechtsunsicherheit. Er machte deutlich, dass es bei dem Thema um Millionen von Daten gehe. Tendenz steigend.
Eine maximale Speicherdauer gibt es nach seinen Worten nicht. Je nach Delikt würden Daten eigentlich zwischen sechs Wochen und zwölf Monaten gespeichert. Gebe es aber sogenannte Kreuztreffer, wenn etwa eine Telefonnummer in zwei Datensätzen auftauche, könne dies verlängert werden, erläuterte Kelber. Das sei häufig der Fall.
Lehren aus den NSU-Morden
Der Datenaustausch zwischen den Polizeibehörden ist Ministerin Faeser zufolge insbesondere eine Lehre aus dem Fall um die Rechtsterroristen-Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). „Das dient dem Schutz der Sicherheit der Bevölkerung“, sagte sie. Die Behörden bräuchten die Möglichkeit, Daten auszutauschen, damit nicht wie damals Terroristen jahrelang unerkannt Taten verüben könnten.
Vor der Verhandlung hatte Faeser vor Journalisten auf die aktuelle Weltlage verwiesen, die Gefahr islamistischer Terroranschläge in Deutschland und den Krieg in Europa. Oftmals verlasse sich Deutschland auch auf ausländische Dienste, sagte sie. Daher brauche es hierzulande die notwendigen Maßnahmen, „damit wir dort besser werden können“. Es gehe um Prävention im Kampf gegen Terroristen und die organisierte Kriminalität. „Das macht nicht an Grenzen Halt.“
Senat hat schon einmal Teile des Gesetzes beanstandet
Es ist nicht das erste Mal, dass sich das höchste deutsche Gericht mit dem Thema befasst. Im Jahr 2016 hatte es den Sicherheitsbehörden beim Anti-Terror-Kampf neue Schranken aufgewiesen und umfangreiche Befugnisse des BKA zur Terrorabwehr zum Teil für verfassungswidrig erklärt. Der Erste Senat stellte „in etlichen Einzelvorschriften unverhältnismäßige Eingriffe“ fest.