Düsseldorf Rechnung oder Mahnung, Lieferschein oder Geschäftsbedingungen – bevor die Mitarbeiter in der Zentrale von Villeroy & Boch die Anliegen der Kunden bearbeiten können, müssen sie diese sortieren. Diese lästige Aufgabe erledigt seit einiger Zeit Kollege Laptop: Ein System des Softwareherstellers SAP öffnet alle E-Mails automatisch und klassifiziert sie anhand von Schlagwörtern. In 90 Prozent der Fälle gelingt das.
Villeroy & Boch ist für SAP ein Vorzeigebeispiel, das man gern auf eigenen Veranstaltungen zeigt, jüngst etwa auf der Entwicklerkonferenz Tech Ed. Der Softwarehersteller verkauft Produkte, mit denen Firmen Geschäftsprozesse von der Personalauswahl über die Materialbeschaffung bis zum Controlling organisieren – und dabei soll Künstliche Intelligenz immer mehr Aufgaben übernehmen.
Es gibt bereits einige Anwendungsszenarien – von Chatbots, denen Nutzer Kommandos geben können, bis zu virtuellen Buchhaltern, die Zahlungseingänge mit Rechnungen abgleichen. Nach Experimenten mit der Technologie gelte es aber, die Erkenntnisse in die Breite zu bringen, sagt Feiyu Xu, die seit anderthalb Jahren als „International Head of Synthetic Intelligence“ den Bereich leitet.
Ein interdisziplinäres Workforce arbeitet nun daran, die verschiedenen Produkte im SAP-Portfolio mit Algorithmen zu verbessern – intern ist von einer „AI Manufacturing facility“ die Rede, additionally gewissermaßen einer Fabrik für Algorithmen. „Wir produzieren jetzt intelligente Prozesse und Applikationen“, sagt Xu daher.
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Der Softwarehersteller reagiert auf einen Pattern, der die ganze IT-Branche bewegt. Vielen Unternehmen fehlt das Know-how, um selbst Systeme mit Künstlicher Intelligenz zu bauen. Es gebe daher eine „Entwicklung in Richtung Standardsoftware“, sagt Peter Buxmann, Professor für Wirtschaftsinformatik an der TU Darmstadt. Auch Oracle und Salesforce, Amazon Internet Providers, Microsoft und Google bieten vorkonfigurierte Algorithmen an. Es ist ein Milliardenmarkt.
Kunden können über die Cloud auf Funktionen wie Bilderkennung, Textanalyse und Übersetzung zugreifen. „Dadurch wird der Programmieraufwand für die Kunden erheblich reduziert“, sagt der Wissenschaftler, der sich schwerpunktmäßig mit dem Switch von Technologie in die Praxis beschäftigt. Gänzlich ohne eigene Kenntnisse wird es jedoch auch künftig nicht gehen.
Zweite Welle der Digitalisierung
Für SAP ist der Pattern besonders wichtig. Der deutsche Softwarehersteller habe mit seinen Programmen für die Steuerung von Geschäftsprozessen bereits die erste Welle der Automatisierung geprägt, sagt Xu. Nun könne er auch in der zweiten Welle, in der es darum gehe, Prozesse clever zu machen, eine entscheidende Rolle spielen. „SAP hat eine wichtige Rolle, weil das gesamte Ökosystem davon profitiert.“
Das conflict für Xu eine wichtige Motivation, zum deutschen Softwarehersteller zu wechseln. Die Wissenschaftlerin arbeitet seit vielen Jahren an der Schnittstelle von Forschung und Anwendung – am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), in einem eigenen Begin-up und zuletzt bei Lenovo.
Bei SAP hat die Wissenschaftlerin eine Organisation aufgebaut, in der Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen zusammenkommen – die Größe beziffert der Konzern nicht. Sie soll zum einen gewährleisten, dass die Künstliche Intelligenz in allen Teilen des Portfolios Einzug hält, und zum anderen, dass mögliche Probleme gleich mitbedacht werden. „Es geht hier um unternehmenskritische Anwendungen“, betont die Managerin.
Das Workforce besteht einerseits aus Spezialisten für Künstliche Intelligenz, die die Technologie beherrschen. Darüber hinaus sind Kenner von Geschäftsbereichen wie Personalwesen und Produktion vertreten, die die Sicht der Kunden kennen und so die Bedürfnisse am Markt beurteilen können. Dazu kommen Juristen und IT-Sicherheitsleute, die sich beispielsweise um den Datenschutz kümmern. Schon seit 2018 gibt es zudem ein Ethikkomitee, das in kritischen Fällen eingreifen kann.
Eine weitere wichtige Initiative von Xu: Seit März bittet der Softwarehersteller bestehende und neue Kunden, Daten aus ihren Systemen – freiwillig und anonymisiert – zur Verfügung zu stellen, um die Algorithmen zu trainieren. Es ist der Lernstoff, ohne den Künstliche Intelligenz nicht funktioniert.
„Die Kunden helfen, unsere Produkte ständig zu verbessern“, sagt Xu. Für viele Unternehmen dürfte es durchaus heikel sein, solche Informationen offenzulegen. „Eine Mehrzahl“, so die SAP-Managerin, stimme aber zu.
Lieferkettenwächter und Chatbots
Bislang gibt es „einige hundert“ Einsatzszenarien aus verschiedenen Bereichen. SAP-Kunden können beispielsweise eingehende Zahlungen mit ausstehenden Rechnungen abgleichen, was lästige Arbeit erspart. Sie können Algorithmen nutzen, um drohende Verspätungen in der Lieferkette zu identifizieren. Und sie können Chatbots programmieren, die Fragen beantworten. Zu den Kunden zählen Hewlett Packard Enterprise, Dulux, Mitsui und Döhler.
Die Imaginative and prescient von Xu reicht jedoch weiter: Die Software program für die Unternehmensplanung, im Fachjargon „Enterprise Useful resource Planning“ (ERP) genannt, soll dem Administration eines Tages assistieren. „Das ERP-System soll ein Agent werden, der zum Beispiel mit dem Vorstands- oder Finanzchef kommuniziert und Vorschläge macht.“ Der Vorteil der Algorithmen: Sie können in Echtzeit auf Geschehnisse reagieren, 24 Stunden am Tag und multilingual.
Ein sich selbst steuerndes Unternehmen, analog zu autonomen Autos, lehnt Xu indes ab. „Die Menschen müssen jederzeit eingreifen können.“ Denn: Bei den Algorithmen ist entscheidend, mit welchen Daten sie trainiert worden sind – „rubbish in, rubbish out“, lautet ein geflügeltes Wort.
Zudem nutze die Technologie Beobachtungen aus der Vergangenheit, um die Zukunft vorherzusagen. Unerwartete Ereignisse wie die Pandemie könne sie daher nicht berücksichtigen.
Die Einführung von Software program mit maschineller Intelligenz ist allerdings nicht trivial, trotz der Vorarbeiten von SAP. Villeroy & Boch musste beispielsweise die Algorithmen mit den eigenen Daten trainieren, damit sie die Dokumente zuverlässig identifizieren konnten. Bei anderen Produkten sollen die IT-Abteilungen die Funktionen ohne Experten wie Knowledge-Scientists einführen können.
So oder so: Unternehmen sollten eigenes Know-how aufbauen, betont Christian Hestermann, Analyst beim Marktforscher Gartner. Die IT müsse beurteilen können, wie intestine die vorgefertigten Prozesse und Lösungen seien. Zudem brauche es Kontrollmechanismen. „KI ist eine junge Technologie, da gibt es immer Kinderkrankheiten.“