Berlin Es ist kein besonders auffälliges Gebäude im belgischen La Hulpe, einem kleinen Ort am südlichen Stadtrand von Brüssel. Ein flaches Gebäude mit zwei sandfarbenen Flügeln nach recht und hyperlinks, geteilt von einem gläsernen Eingangsportal.
Niemand würde vermuten, dass hier das weltweit bedeutendste Finanznetzwerk seinen Sitz hätte: die Zentrale der „Society for Worldwide Interbank Monetary Telecommunication“, kurz „Swift“ genannt. In den vergangenen Monaten hat Swift es zu globaler Prominenz gebracht, nämlich als größtmögliches Sanktionsinstrument, von militärischen Mitteln einmal abgesehen. In der Ukrainekrise könnte Swift das größte Drohpotenzial gegenüber Russland entfalten, weil eine Abkopplung von Swift den ausländischen Zahlungsverkehr eines Landes praktisch lahmlegt.
Gerade für Russland, einen der größten Energieexporteure weltweit, stellt Swift einen neuralgischen Punkt dar – nicht etwa weil es entscheidend für den direkten Geldverkehr ist, sondern weil es die sichere Nachrichtenübermittlung zwischen den Banken im internationalen Geschäft ermöglicht.
Ein solches Instrument brauchen die westlichen Alliierten gerade jetzt, wo sich die Lage am Ostrand der Ukraine bedrohlich zuspitzt: Der Kreml hat dort inzwischen über 100.000 Soldaten, Raketenwerfer, Panzer und Abwehrsysteme konzentriert. Russlands Präsident Wladimir Putin fordert den Westen ultimativ auf, einen Nato-Beitritt der Ukraine vertraglich ebenso auszuschließen wie weitere Truppen im Baltikum oder in Polen. Er behauptet, ein „Völkermord“ an Russen in der Ostukraine stehe bevor – eine Behauptung, die schon 2008 zum Krieg in Georgien führte.
Prime-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Und der Westen hat sich entschlossen, die härtesten Wirtschaftssanktionen zu verhängen, sollte Putin seine Drohungen wahrmachen und seine Truppen losschicken. Zu den möglichen Sanktionen zählen neben dem Verbot, Rubel zu tauschen oder russische Anleihen zu handeln, ein Boykott des worldwide anlegenden russischen Staatsfonds RDIF – und vor allem eben die Abkopplung von Swift.
Welche schwerwiegenden Folgen eine Abschaltung von Swift hätte, zeigt das Beispiel Iran. Teherans Ausschluss aus Swift wegen des iranischen Atomprogramms hatten die USA gegen den erklärten Widerstand der EU erzwungen. Die Folge warfare ein jahrelanger wirtschaftlicher Niedergang des Irans.
Droht sich diese Geschichte zu wiederholen? Kremlsprecher Dmitri Peskow bestätigte am Wochenende, dass US-Präsident Joe Biden Putin bei einem bilateralen Gespräch per Videokonferenz vorige Woche mit der „finanziellen Isolation Russlands“ gedroht habe. Der US-Fernsehsender nannte die geplanten Sanktionen „teuflisch hart“.
Auch aus dem US-Kongress kamen Signale der Entschlossenheit. „Wir ziehen das gesamte Spektrum möglicher Maßnahmen in Betracht“, kündigte die Russlandexpertin und Unterstaatssekretärin Victoria Nuland bei einer Anhörung des Außenpolitischen Ausschusses des Repräsentantenhauses an: „Die Maßnahmen, die wir diskutieren, würden im Wesentlichen bedeuten, Russland vom globalen Finanzsystem zu isolieren, mit allen Konsequenzen für russische Unternehmen und Einwohner“, so die Russlandexpertin aus dem State Division.
Bilateraler Handel gefährdet
Was die Amerikaner verschweigen: Eine Abkopplung Russlands vom internationalen Zahlungsverkehr würde nicht nur Russland hart treffen. Die Auswirkungen für die russischen Handelspartner wären ebenfalls beträchtlich.
Oliver Hermes etwa, Vorsitzender des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, sieht „dramatische Auswirkungen“ – bis hin dazu, dass europäische Unternehmen ihr Russlandgeschäft dann aus anderen Ländern heraus betreiben müssten. „Der bilaterale Handel würde stark gefährdet, wenn Russland aus dem Swift-System fliegt“, so Hermes, der CEO des Dortmunder Pumpenherstellers Wilo und damit auch Herr über Fabriken in Russland ist. Dabei hatte sich der deutsch-russische Warenaustausch gerade erst wieder seit einem weiteren Einbruch im Coronajahr 2020 etwas erholt.
Russland ist nach den USA bisher das Land, in dem Swift-Zahlungsabwicklungen am meisten verbreitet sind. Die 1973 als privater Verein in Brüssel gegründete Society for Worldwide Interbank Monetary Telecommunication verbindet Finanzinstitute aus 220 Staaten. Nur der Iran und Nordkorea sind bisher im Rahmen von Sanktionen von Swift abgeschaltet.
„Finanzielle Atombombe“
Andrej Kostin, der Chef der zweitgrößten Bank des Landes VTB, hatte eine Abschaltung Russlands vom Swift-System in einem Handelsblatt-Interview als „Atombombe im Finanzsektor“ bezeichnet. Ohne den Swift-Anschluss russischer Banken würden Kreditkarten „nur noch zu einem schönen Stück Plastik“, sagt der russische Ökonom Sergej Chestanow. Und es käme vor allem zu einer Panik in Moskau, da viele Waren nicht mehr importiert werden könnten, samt Hamsterkäufen, starken Preissteigerungen und Verfall des Kurses der Landeswährung Rubel.
„Alle Exporteure und Importeure, alle, die internationalen Zahlungsverkehr brauchen“, würden von einer Swift-Abschaltung hart getroffen, meint Olga Belenkaja, Chefin für makroökonomische Analyse der Moskauer Finanzgruppe Finam. Die Different zu Swift im russischen Zahlungsverkehr mit dem Ausland sei nur das Telex – wie in früheren Zeiten. Oder ein reiner Bankenverkehr zwischen zwei Instituten, einem in Russland und einem im Ausland.
Doch dass sich im Ausland nach einer Verhängung von Swift-Sanktionen durch die USA überhaupt noch ausländische Banken zur Abwicklung von Zahlungsverkehr oder für sogenannte Korrespondenzkonten für russische Institute finden, darf bezweifelt werden. Ebenso, dass ausländische Institute Rubel tauschen im Fall von Strafmaßnahmen aus Washington, sagt Dmitri Polewoj, Investmentchef des Moskauer Vermögensverwalters Lockoinvest.
„Vor allem amerikanische Sekundärsanktionen“ würden ein Umgehen der Vorgaben aus Washington quick unmöglich machen, sagt Polewoj mit Verweis auf die einseitig von den USA verhängten Iransanktionen. Laut europäischen Gesetzen (EU-Blocking-Verordnung) dürfen sich offiziell europäische Unternehmen nicht US-Sanktionen anschließen. Aber wegen Sorgen vor einem Ausschluss vom US-Markt befolgen die allermeisten Banken die US-Vorgaben.
Sogar enge russische Companion wie China, Indien und andere werden „keine großen wirtschaftlichen Risiken eingehen, um Russland zu unterstützen“, ist Polewoj überzeugt. Das gelte auch für ein in den USA diskutiertes Verbot, den Rubel zu konvertieren. Viele russische Institute nutzen die Deutsche Financial institution und andere europäische Geldhäuser für das sogenannte Greenback Clearing.
Der innerrussische Zahlungsverkehr indes hat nach Überzeugung der Ökonomin Belenkaja eine „leichte Different“: 332 Kreditinstitute sind an das russische System zur Übergabe von Finanztransaktionen (SPFS) angeschlossen, darunter auch in Russland tätige ausländische Banken wie die österreichische Raiffeisenbank oder die zur französischen Société Générale gehörende Rosbank.
Russlands Regierung spielt das Drawback herunter: „Diese Drohungen hören wir nicht zum ersten Mal, wir wissen additionally, was zu tun ist“, sagte Russlands Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow. Der Chef des Staatsfonds RDIF, Kirill Dmitrijew, warnte die USA: Sollte mit dem RDIF erstmals ein Staatsfonds unter Sanktionen gestellt werden, berge dies „ernsthafte Risiken für das US-Finanzsystem und den US-Greenback als Weltwährung“. Denn Staatsfonds würden dann aus Sorge, selbst irgendwann sanktioniert zu werden, US-Staatsanleihen in großen Mengen verkaufen“, meint Dmitrijew.
Moskaus Versuche sind nicht weit vorangekommen
Während bereits 2014, nach Russlands Annexion der ukrainischen Schwarzmeerhalbinsel Krim, über ein Abschalten russischer Finanzinstitute vom Swift-System diskutiert wird, forciert der Kreml seit Anfang dieses Jahres seinerseits die Entkopplung vom internationalen Zahlungsdienstleister – zusammen mit China.
Russland und China könnten das Sanktionsrisiko dadurch verringern, dass sie ihre finanzielle Unabhängigkeit stärken, insbesondere indem sie sich vom Einsatz westlicher Zahlungssysteme abwenden, hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow im März bei einem Treffen mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi in Guilin gesagt.
Konkret wird seither nach Angaben von Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa mit dem europäischen Zahlungssystem Sepa, Irans Dienstleister Sepam, den chinesischen Anbietern CUP und CIPS als Different zu Swift diskutiert, wo die USA mitbestimmen können. Diese sollten mit dem russischen SPFS-Zahlungsdienstleister verzahnt werden.
Westliche Diplomaten sagen indes, europäische Anbieter würden in der aktuellen Scenario keinesfalls Moskau helfen wollen. Und so wird die Tonlage auf der russischen Seite immer skurriler: „Das ist nur ein Ammenmärchen. Das ist Unsinn“, sagt German Gref, Chef der mehrheitlich staatlichen größten Financial institution Osteuropas, Sber, zu Plänen, Rubel-Konvertierung zu verbieten. Sie könne nicht verboten und vor allem nicht durchgesetzt werden.
Russland hat sich zur „finanziellen Festung ausgebaut“
Die russische Politik setzt derweil weiter auf Eskalation. Außenminister Lawrow kritisiert, der Westen sorge dafür, dass das „Albtraumszenario einer militärischen Konfrontation“ actual sei. Präsident Putin selbst spricht der Ukraine sogar ab, ein eigener Staat zu sein. Russland hält sich trotz des Sanktionsdrucks für unverwundbar: Der Kreml habe sich seit Jahren auf ein solches Sanktionsszenario vorbereitet, sagt Russlandexperte Ben Aris. Staatliche Megainvestitionen in den notwendigen Infrastrukturausbau seien zurückgestellt worden, um Reserven auszubauen.
Tatsächlich sind die russischen Gold- und Devisenreserven binnen fünf Jahren von 377,7 auf zuletzt 622,5 Milliarden Greenback gestiegen. Ob das reicht, um die schwerwiegenden Folgen einer Abkopplung durch Swift abzudämpfen? Die Skepsis überwiegt.