Neue Risikofaktoren identifiziert
Warum Prävention bei Demenz so wichtig ist – und wie das funktioniert
Aktualisiert am 02.08.2024 – 11:33 UhrLesedauer: 4 Min.
Für Demenz gibt es noch immer keine Heilung – daher ist Prävention umso wichtiger. Ein neuer Lancet-Bericht zeigt, wie das am besten geht.
In Deutschland leben nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft schätzungsweise 1,8 Millionen Menschen mit Demenz. Der Begriff umfasst verschiedene Krankheiten, darunter Alzheimer, die zu einem Verlust geistiger Fähigkeiten führen. Ein Heilmittel gibt es bislang nicht.
Trotzdem gibt es Risikofaktoren, die die Entstehung einer Demenz begünstigen können. Dazu zählen etwa Rauchen, Schwerhörigkeit, Übergewicht, Einsamkeit, Luftverschmutzung und einige andere Faktoren.
Jetzt hat ein neuer Bericht der internationalen Lancet-Kommission diese Liste um einen hohen Cholesterinspiegel und nachlassende Sehkraft erweitert. Würde man alle der nun dort aufgeführten 14 veränderbaren Risikofaktoren ausschalten, könnten in der Theorie knapp die Hälfte (45 Prozent) der weltweiten Demenzfälle verhindert oder zumindest verzögert werden, so der Report. Ganz so einfach funktioniert die Rechnung aber nicht.
Schon 2020 hatte die internationale Gruppe zwölf dieser Risikofaktoren vorgestellt:
- geringe Bildung
- Hörminderung
- Bluthochdruck
- Rauchen
- Fettleibigkeit
- Depression
- Bewegungsmangel
- Diabetes
- übermäßiger Alkoholkonsum
- traumatische Kopfprellungen
- Luftverschmutzung
- soziale Isolation
Im Bericht sind nun zwei weitere Faktoren hinzugekommen, die mit neun Prozent aller Demenzfälle in Verbindung gebracht werden: So seien schätzungsweise sieben Prozent davon auf einen hohen LDL-Cholesterinwert ab einem Alter von etwa 40 Jahren und zwei Prozent auf einen unbehandelten Sehverlust im späten Alter zurückzuführen.
Grundsätzlich gibt zwei Arten von Cholesterin: das LDL-Cholesterin (Low Density Lipoprotein) und das HDL-Cholesterin (High Density Lipoprotein), die im Verhältnis zueinander betrachtet werden. Ein normaler Gesamtcholesterinwert eines Erwachsenen liegt bei 200 bis 220 Milligramm pro Deziliter Blut (mg/dl). Mehr dazu können Sie hier nachlesen.
Umgekehrt heißt das: „Wenn man die nachlassende Sehkraft korrigiert und im mittleren Lebensalter das LDL auf optimale Werte senkt, kann man tatsächlich das Risiko einer Demenz senken“, erklärt Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Diese Zusammenhänge seien zwar erwartbar gewesen, würden nun aber durch den Lancet-Report belegt – und sollten in der medizinischen Behandlung etwa durch Hausärzte berücksichtigt werden.
Der Neurologe betont die Verschränkungen zwischen den verschiedenen Risiken: Würden die nachlassende Hör- und Sehkraft nicht rechtzeitig korrigiert, beeinflusse das die Kommunikation, was sich auf kognitive Fähigkeiten und soziale Interaktionen auswirke: „Regelmäßiges kognitives Training und Vereinsamung sind wiederum Faktoren, die ebenfalls bei der Demenzentwicklung eine Rolle spielen.“
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Beim von der Lancet-Kommission bezifferten Präventionspotenzial ist Berlit entsprechend vorsichtig: Die 45 Prozent ergäben sich aus der Addition aller genannten Risikofaktoren und das unter der Annahme, dass diese seit der Kindheit vermieden würden: „Das ist natürlich unrealistisch.“ Gleichwohl könnten in der Summe erhebliche Effekte erzielt werden, wenn jeder einzelne und die Politik entsprechende Maßnahmen treffen würden.
Auch Stefan Teipel vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Rostock sagt, dass die Summe der verhinderbaren Demenzfälle über alle Risikofaktoren hinweg wahrscheinlich niedriger sein werde: „Die Studie addiert die einzelnen modifizierbaren Risiken auf knapp 45 Prozent. Wenn man mehrere Risikofaktoren beeinflusst, gibt es jedoch synergistische Effekte, man kann für einzelne Individuen die Effekte der Risikoreduktion deswegen nicht einfach aufsummieren.“
Berlit betont, dass zur Demenz-Prävention auf individueller Ebene nicht nur Gehirn-Training in Form von Kreuzworträtseln, dem Erlernen von Fremdsprachen oder Musikinstrumenten gehöre: „Das ist alles wichtig. Genauso ist aber belegt, dass die richtige Ernährung zum Beispiel in Form der mediterranen Kost, möglichst wenig Alkohol, ausreichend körperliche Bewegung und ein gesundes Körpergewicht das Demenzrisiko senken.“ All das komme nicht nur dem Gehirn, sondern auch dem Herzen zugute. Ein entsprechendes Verhalten könnte in Form von Bonuszahlungen durch Kostenträger wie Krankenkassen gefördert werden.
Die Politik sei hingegen bei Risikofaktoren wie Luftverschmutzung und Zugang zu Bildung gefordert – entsprechende Empfehlungen finden sich ebenfalls im Report. Insbesondere Kinder aus benachteiligten Familien müssten schon ab der Kita gefördert werden, sagt Berlit. Eine weitere politische Aufgabe sei in diesem Kontext die Bekämpfung der Folgen der Klimakrise: „Wir wissen bereits, dass das Schlaganfallrisiko durch die fehlende nächtliche Abkühlung erhöht ist.“ Im Bereich Demenz sei die Evidenz bisher nicht groß genug, entsprechende Studien würden allerdings schon laufen und vermutlich in künftigen Lancet-Berichten eine Rolle spielen.