Die Unzufriedenheit in Ostdeutschland ist groß, besonders der Begriff Treuhand ist ein Reizwort. Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk erklärt, welche Kritik an dieser Institution berechtigt ist und welche nicht.
Wie keine andere Institution ist die frühere Treuhandanstalt in Ostdeutschland berüchtigt. Sie erfülle seit Jahrzehnten eine Funktion als „Blitzableiter“, sagt Ilko-Sascha Kowalczuk, Historiker und Experte für die Geschichte der DDR. Warum konnte die Treuhandanstalt an ihrer Mammutaufgabe nur scheitern? Weshalb trifft sie der Zorn im Osten teils zu Unrecht? Und warum sollten seiner Meinung nach viele Ostdeutsche ihr eigenes Verhalten im Jahr 1990 stärker reflektieren? Diese Fragen beantwortet Kowalczuk im Gespräch.
t-online: Herr Kowalczuk, wie sehr emotionalisiert der Begriff Treuhand heute noch in Ostdeutschland?
Ilko-Sascha Kowalczuk: Er polarisiert ungeheuer. Der Treuhand wird alles angelastet, was im Osten als verwerflich angesehen wurde. Für soziale Verwerfungen wie Massenarbeitslosigkeit und Entindustrialisierung ist die Treuhand geradezu zum Synonym geworden.
Die Treuhandanstalt wurde Ende 1994 aufgelöst. Währt der Hass auf sie tatsächlich derart lange?
Ja. Solange die damalige Erfahrungsgeneration lebt, wird sich daran auch wenig ändern. Die Treuhand ist ein echter Trigger für viele Ostdeutsche. Dabei müssen wir bei ihrer Bewertung mehrere Ebenen unterscheiden: Die Verdammung der Treuhand durch Millionen Ostdeutsche haben wir bereits angesprochen. Damit verbunden stellt sich dann die Frage nach der anhaltenden politischen Instrumentalisierung der Treuhand und ihrer Ergebnisse durch alle möglichen politischen Kräfte. Und nicht zuletzt sollte beim Thema Treuhandanstalt auch über ihre historische Funktion und Rolle gesprochen werden – basierend auf gesicherten Fakten.
Bleiben wir bei den Fakten. Der Treuhandanstalt oblag seit 1990 die Privatisierung Zigtausender DDR-Betriebe von der Gastwirtschaft bis zum Chemiekombinat. Hatte sie angesichts der Größe dieser Aufgabe eine Chance auf Erfolg?
Die Treuhand war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Das ging auch überhaupt nicht anders. Zu groß, zu umfassend war ihre Aufgabe. Die Treuhand hatte ja nichts weiter zu tun, als eine verkommene, bis ins letzte Loch nicht mehr funktionsfähige sozialistische Planwirtschaft in die soziale Marktwirtschaft zu überführen. Es ging um vier Millionen Menschen, es ging um 8.500 Betriebe. Und diese Betriebe hatten nahezu allesamt das gleiche Problem: Sie waren nicht tauglich für die Marktwirtschaft. Dieses Problem ist auch im Westen nicht unbekannt.
Ilko-Sascha Kowalczuk, 1967 in Ost-Berlin geboren, ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hamburger Stiftung zur Förderung der Wissenschaften und Kultur. Der Experte für die Geschichte von DDR und Kommunismus veröffentlichte 2023 und 2024 seine zweibändige Biographie von Walter Ulbricht: „Der deutsche Kommunist“ und „Der kommunistische Diktator„. Kürzlich erschien sein neuestes Buch „Freiheitsschock. Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute„.
Auch im Westen werden heutzutage irgendwelche Subventionen an Unternehmen ausgekippt, die in marktwirtschaftlichen Schwierigkeiten sind. Da fragt man sich schon, ob aus dem Grundproblem der Treuhand nichts gelernt worden ist? Im Jahr ihrer Gründung 1990 hatte jedenfalls niemand einen realistischen Einblick in den Zustand der DDR-Wirtschaft. Wenn man mit einem solchen Unwissen in einen derartigen Riesenprozess geht, der auch binnen Monaten praktisch über die Bühne gehen soll, kann man nur scheitern.
Die Erwartungen an die Treuhand waren gleichwohl völlig anders.
Das kann man wohl sagen. Die Idee zur Treuhand kam ursprünglich aus der Bürgerrechtsbewegung der DDR. Der Name Wolfgang Ullmann ist hier zu nennen. Geplant war, die Rechte der DDR-Bürger am sogenannten Volkseigentum zu wahren. Das haben viele Leute toll gefunden, dann ist die eigentliche Idee weiter transformiert worden. In den ersten Monaten unter Helmut Kohl wollte man durch die Treuhand noch richtig Reibach machen.
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Bis sich herausstellte, wie marode die DDR-Wirtschaft tatsächlich war?
Es herrschten völlig absurde Vorstellungen. Man erhoffte sich Milliarden und Abermilliarden für den Bundeshaushalt, stattdessen wurde es ein Zuschussgeschäft, verbunden mit einer gewaltigen Sozialkatastrophe durch die vielen, vielen arbeitslos gewordenen Menschen in Ostdeutschland.
Wie konnten derart falsche Vorstellungen entstehen?
Man kann niemanden konkret verantwortlich machen. Anderseits stellt sich schon die Frage, was eigentlich die ganze DDR- und Kommunismusforschung in Westdeutschland getrieben hat. Welches Land haben die eigentlich analysiert? Sicher nicht den Staat, in dem ich gelebt habe. Aber ich will die alten Debatten nicht wiederholen. Genaugenommen haben die Menschen in der DDR einfach das Pech gehabt, dass um 1989 der Neoliberalismus schwer in Mode war.