Harry Kane steht mit England im Halbfinale der Fußball-EM. Doch der Kapitän wird auf der Insel viel kritisiert. Zu Recht?
Im März 2015 feierte Harry Kane sein Debüt im Trikot der „Three Lions“, wie die englische Nationalelf genannt wird. Seitdem hat der 30-Jährige einige Turniere gespielt, aktuell läuft seine dritte Europameisterschaft. Zwei Tore hat der Stürmer des FC Bayern geschossen. Eines gelang ihm gegen Dänemark in der Gruppenphase, das andere im Achtelfinale gegen die Slowakei.
Angesichts der Empfehlung von 44 Toren in der Bundesliga und der Champions League läuft er damit bisher unter den Erwartungen. Allerdings traf er bei der EM 2016 gar nicht. Fünf Jahre später konnte er vier Treffer ab dem Achtelfinale verbuchen, als die Mannschaft es bis ins Endspiel schaffte und dort Italien unterlag. Am Mittwoch muss sich England nun im Halbfinale gegen die Niederlande beweisen (ab 21 Uhr im t-online-Liveticker). Doch vor der Partie wird die bisherige Turnierleistung von Harry Kane kritisiert. Dabei geht es nicht nur um seine Tore, sondern auch um sein Auftreten.
Ein Kapitän sollte mit gutem Beispiel vorangehen. Er ist derjenige, der einem Team Halt und Hoffnung gibt, aber selbst eben auch abliefert. Sich einbringt. Allerdings hat Kane genau das laut der englischen Presse zuletzt nicht gemacht. Er ließ sich im Viertelfinale gegen die Schweiz noch vor dem Elfmeterschießen auswechseln und begründete dies später damit, dass er „einfach müde“ gewesen sei.
Der „Guardian“ schrieb daraufhin: „Das ist nicht der Kane, den wir kennen. Er ist unbeweglich und kann sich nicht frei entfalten.“ Für das Portal „Goal.com“ zählte er sogar zu den Verlierern des Spiels. Für die Kritiker steht fest, dass der sonst so auffällige Stürmer im Spiel der Engländer gar nicht richtig stattfindet.
„Harry Kane spielt die gleiche Rolle wie Erling Haaland“
Bereits nach dem Auftakt Englands gegen Serbien schrieb der frühere Liverpool-Star Jamie Carragher im „Telegraph“: „Harry Kane spielt die gleiche Rolle wie Erling Haaland bei Manchester City – er ist außerhalb des Strafraums nicht aktiv und wartet auf eine Chance.“ Doch für diese müsse er mehr am Spielgeschehen teilnehmen, was zuletzt nicht der Fall gewesen sei, so Carragher.
Zwar hat Kane noch immer mit Rückenproblemen zu kämpfen, die ihn bereits in der Bundesliga-Rückrunde plagten, doch auch diese sind nicht der Hauptgrund für seine Performance auf dem Platz.
Selbst Trainer Gareth Southgate gab vor dem Halbfinale zu: „Er ist vielleicht nicht im Fluss.“ Dennoch stärkt er seinem Kapitän den Rücken: „Er spielt immer noch eine immense Rolle für die Gruppe.“ Das bestätigte auch Kanes Teamkollege Trent Alexander-Arnold während der EM: „Wir reden hier über Englands Rekordtorschützen. Man weiß einfach, dass er eine Gefahr darstellt. Bei allem, was in und um den Strafraum herum passiert, muss man auf der Hut sein. Er kann von überall aus den Ball im Netz unterbringen.“
„Gibt allen anderen Spielern ein positives Gefühl“
Auch der englische Linksverteidiger Luke Shaw ergriff Partei für den Stürmer. „Er bringt in erster Linie Führungsqualitäten mit. Und ich denke, wenn er auf dem Spielfeld ist, gibt er allen anderen Spielern ein positives Gefühl. Jedes Mal, wenn er ein Tor schießt, kann er den Unterschied ausmachen“, so der 28-Jährige auf einer Pressekonferenz Englands über seinen Kapitän.
Auch Ex-Nationalspieler Darren Bent ist der Meinung, dass Kane im Halbfinale in der Startelf stehen sollte. „Er ist einfach einer dieser Spieler, die immer dann, wenn es darauf ankommt oder man ein Tor braucht, für den Erfolg sorgen können“, so der 40-Jährige im britischen Sender Talksport. Er würde Kane als Trainer Englands mindestens 60 bis 70 Minuten auf dem Feld lassen, ehe er taktisch umstellen würde.
Dass Southgate seinen Kapitän nicht von Beginn an bringt, hält auch der frühere englische Verteidiger Gary Neville für unmöglich. „Er ist einer seiner Anführer und einer der größten Fußballer, die England je hatte“, so der 49-Jährige bei Sky. Doch er ist bisher auch ohne einen Titel. Erst kürzlich sagte der Angreifer dem „Spiegel“, dass er „sehr ehrgeizig“ sei und betonte mit Bezug auf die EM: „Wir wollen Geschichte schreiben. Und die einzige Möglichkeit dazu besteht darin, diesen Titel zu gewinnen.“ Das dürfte Kane bei aller Kritik weiter antreiben.