Auch in Deutschland nimmt die Debatte inzwischen Fahrt auf: Man müsse über eine Verkürzung der Isolationszeit nachdenken – gerade mit Blick auf die kritische Infrastruktur, sagte der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Bayerns Ressortchef Klaus Holetschek (CSU), im ZDF. „Es ist schon wichtig, dass wir da die Quarantäne überprüfen.“ Er erwarte, dass das Robert Koch-Institut (RKI) dazu sehr zeitnah Vorschläge vorlegen werde.
In Deutschland müssen Personen, bei denen eine Coronainfektion nachgewiesen wurde, in Isolierung. Sie dauert für vollständig Geimpfte mindestens fünf Tage und für alle anderen mindestens 14 Tage. Eine in der Regel zehntägige Quarantäne greift für Kontaktpersonen oder Reiserückkehrer, bei denen unklar ist, ob sie sich infiziert haben. Sie kann mit einem negativen Check auf fünf bis sieben Tage verkürzt werden. Für Beschäftigte im Gesundheitswesen greifen bei akutem Personalmangel in Einzelfällen bereits verkürzte Fristen.
Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerhard Gaß, mahnt, mit darüber hinausgehenden Abweichungen von den geltenden Quarantänevorschriften sehr umsichtig umzugehen. „Wir brauchen deutlich mehr Daten über Omikron, um wirklich Entscheidungen treffen zu können, ob durch ein frühzeitiges Freitesten eine Verkürzung möglich ist“, sagte Gaß dem Handelsblatt.
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Wenn überhaupt, könne eine Verkürzung nur dann erfolgen, wenn es sich um Mitarbeiter in hochspezialisierten Bereichen handele, die keine Krankheitssymptome zeigten und sonst nicht ersetzbar wären. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass Klinikpatienten oder Bewohner von Altenpflegeinrichtungen durch den flächendeckenden Einsatz von symptomlosen, aber infizierten Beschäftigten gefährdet würden.
Schutz der kritischen Infrastruktur
Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Heike Baehrens, bremst den Elan der Lockerungsbefürworter: Die Politik sollte nicht versuchen, wissenschaftlichen Ratgebern vorgreifen zu wollen, sagte sie dem Handelsblatt: „Die Quarantänefristen müssen sich daran orientieren, wie das Infektionsgeschehen am wirkungsvollsten eingedämmt werden kann.“
Ähnlich äußerte sich der Bundesvorsitzende des Beamtenbunds, Ulrich Silberbach: „Die Bundesregierung hat doch further einen interdisziplinär besetzten Covid-Expertenrat geschaffen.“ Der solle sich erst mal zur Länge der Quarantäne äußern und die Politik dann entsprechende Entscheidungen treffen. „Beides am besten schnell, damit wir jetzt nicht wieder zu lange mit den gegebenenfalls nötigen Maßnahmen warten“, sagte Silberbach dem Handelsblatt.
Unternehmen und Institutionen der kritischen Infrastruktur seien längst aufgefordert, nicht nur Pandemiepläne vorzuhalten, sondern entsprechende Vorkehrungen auch mit Blick auf die Omikron-Variante zu treffen, sagte SPD-Gesundheitspolitikerin Baehrens. „Ich gehe fest davon aus, dass dieser Rat der Experten befolgt wird.“
Der Expertenrat der Bundesregierung zu Covid-19 hatte bereits vor Weihnachten betont, dass es „einer umfassenden und sofortigen Vorbereitung des Schutzes der kritischen Infrastruktur unseres Landes“ bedürfe, damit Krankenhäuser, Polizei oder die Strom- und Wasserversorgung nicht durch Personalausfälle lahmgelegt werden.
Aber auch die Wirtschaft insgesamt könnte ausgebremst werden, wenn die hochansteckende Omikron-Variante zu einer großen Zahl von Isolierungs- oder Quarantänefällen führen sollte. So betonte beispielsweise die Lufthansa jüngst noch, Notfallkonzepte verfeinert und flexibler gestaltet zu haben. Dennoch musste auch Europas größte Airline bereits zahlreiche Flüge streichen.
Gesundheitsministerium: Kein Anlass für Anpassung von Fristen
Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Spedition und Logistik (DSLV), sagte dem Handelsblatt, dass verkürzte Quarantänefristen „für alle Branchen mit personellen Engpässen hilfreich“ wären. Das Bundesgesundheitsministerium hatte aber am Montag erklärt, man sehe „im Second“ keinen Anlass für eine entsprechende Anpassung der Vorschriften.
Das RKI zählt bislang 10.443 Covid-19-Fälle in Deutschland, die der Omikron-Variante zugeordnet werden. Das entspreche einem Zuwachs von 45 Prozent oder 3218 Fällen gegenüber dem Vortag, teilte das Institut am Dienstag mit. Es werde allerdings mit einer hohen Anzahl an Neu- und Nachmeldungen gerechnet.
Nach Einschätzung von Wissenschaftlern könnte Omikron schon bald die vorherrschende Virusvariante in Deutschland sein. Sie gilt zwar als hochansteckend, führt nach bisherigen Erkenntnissen aber zu weniger schweren Krankheitsverläufen als die Delta-Variante.
Um die Intensivstationen aber dennoch zu entlasten, hat die Bundesregierung am Dienstag eine Million Packungen des Medikaments Paxlovid der US-Firma Pfizer gegen schwere Covid-Verläufe bestellt. Mit ersten Lieferungen wird laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bereits im Januar gerechnet. In den USA gibt es bereits eine Notfallzulassung. In der EU steht das grüne Licht noch aus, die Prüfung läuft derzeit.
Der Epidemiologe Timo Ulrichs von der Berliner Akkon Hochschule für Humanwissenschaften hält es deshalb für möglich, dass sich die Pandemie infolge der Durchseuchung in der Bevölkerung und der Impfungen im kommenden Jahr zur Endemie abschwächt. Von einer Endemie spricht man, wenn eine Krankheit nicht mehr weltweit, sondern nur in einer bestimmten Gegend oder Bevölkerungsgruppe auftritt.
Neben der sich rasch ausbreitenden Virusvariante könne die Durchimpfung mit der vierten Dosis im Frühjahr dafür sorgen, dass das Virus sein pandemisches Potenzial verliere, sagte er dem Nachrichtenportal „Watson“.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Bundestag, Christine Aschenberg-Dugnus, schlägt deshalb vor, dass man zumindest für dreifach Geimpfte über eine Lockerung der Quarantänevorschriften nachdenken solle. Sie könne sich intestine vorstellen, dass mit einer früheren Möglichkeit der Freitestung noch mehr Menschen vom Boostern überzeugt werden können, sagte sie dem Handelsblatt. „Und nach allem, was wir wissen, weisen Geboosterte einen deutlich höheren Schutz gegen Omikron auf.“
Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Janosch Dahmen, sagte, er halte eine Anpassung der Quarantänereglung „derzeit für kontraproduktiv“. Die Pandemie habe aber gelehrt, dass man bereit sein müsse, kurzfristig auf neue Entwicklungen zu reagieren.
„Sollte es durch die Ausbreitung der Omikron-Variante zu einer Extremsituation kommen, in der die Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur gefährdet ist, werden wir die Quarantänereglungen für bestimmtes, systemrelevantes Private anpassen müssen“, sagte Dahmen. Diese Überlegungen seien bereits Teil der bestehenden Pandemie-Notfallpläne von Bund und Ländern.
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