Der Leistungsbegriff hat sich verändert, sagt die Personalchefin Christiane Wald. Das spürt sie nicht nur in Bewerbungsgesprächen, sondern auch im Eiskunstsport, für den sie sich ehrenamtlich als Preisrichterin engagiert.
Die Wirtschaft stagniert. Schuld daran sei auch, dass Deutschland sich vom Leistungsgedanken verabschiedet, kritisieren Politiker und Unternehmer. Stimmt das? Wie denken die Menschen im Land darüber? Und was verstehen wir eigentlich unter Leistung? t-online geht diesen Fragen in einer Serie nach, lässt dazu bekannte und unbekannte Menschen zu Wort kommen. In dieser Folge:
Christiane Wald, 53, Personalchefin aus Wiesbaden:
„Es ist viel schwieriger geworden, neue Mitarbeiter zu finden, die dann auch noch dauerhaft im Unternehmen bleiben. Ich erlebe immer wieder, dass selbst, nachdem jemand einen Vertrag unterschrieben hat, er oder sie kurzfristig wieder absagt. Das hat unterschiedliche Gründe: Zum einen können sich Bewerber so ein Verhalten vermeintlich erlauben. Denn es gibt nicht mehr genug von ihnen. Zum anderen hat sich auch etwas beim Leistungsbegriff verändert.
Als ich aufwuchs, herrschte ein viel stärkerer Wettbewerbsdruck als heute. Auf einen Ausbildungsplatz kamen damals unheimlich viele Bewerber, da war Leistung dann oft entscheidend – sowohl bei den Schulnoten, als auch bei den sogenannten Primärtugenden wie Fleiß, Zuverlässigkeit, Disziplin, Pünktlichkeit. Ich habe als Kind Leistungssport gemacht, Eiskunstlauf, und da ging es ohne diese Tugenden ohnehin nicht.
Zur Person
Christiane Wald ist Leiterin Human Resources beim Wohnungsunternehmen d.i.i. Deutsche Invest Immobilien AG in Wiesbaden und dort für rund 280 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuständig. Sie arbeitet seit mehr als 20 Jahren im Personalbereich, war in verschiedenen Branchen und Unternehmen auch international tätig. Die studierte Diplom-Betriebswirtin engagiert sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich als internationale Preisrichterin im Eiskunstlauf.
Wenn ich das mit jungen Menschen heute vergleiche, hatte ich aber auch ganz andere Möglichkeiten, mich auf etwas zu konzentrieren. Unser „Social Media“ war Fernsehen – Ende. Heute, mit den verschiedenen Medien, ist das für junge Menschen anders. Das ist nicht wertend gemeint, denn sie haben dadurch andere Fähigkeiten, erfassen schneller, verknüpfen mehr.
Sowohl als ehrenamtliche Preisrichterin im Eiskunstlauf als auch in meinem Beruf als Personalchefin merke ich, dass es diese Primärtugenden zwar durchaus noch gibt. Aber sie sind weniger antrainiert. Nehmen wir das Beispiel Pünktlichkeit: Macht man jungen Menschen klar, dass Pünktlichkeit etwas mit Wertschätzung für die Zeit der Kollegen zu tun hat, sind sie auch pünktlich.
Personaler suchen Bewerber
Personalchefs spüren bundesweit, dass es schwieriger wird, Mitarbeiter zu finden und an sich zu binden. Das zeigt auch die umfangreichste Befragung hierzu: Der aktuelle Hays-Report widmet sich 2023 dem Thema Mitarbeiterbindung. Ganz oben rangiert bei den 1.000 befragten Entscheidern im Personalmanagement das gute Betriebsklima (82 Prozent), um Mitarbeiter zu halten. An zweiter Stelle steht eine markt- und leistungsorientierte Entlohnung (70 Prozent), gefolgt von Maßnahmen, um Beruf und Privatleben (52 Prozent) miteinander zu vereinbaren.
Die Jungen überlegen sich heute genau, wofür sie sich ins Zeug legen. Sie sind wählerischer und tun es dann meist für etwas, das zu ihnen passt und mit dem sie sich identifizieren können. Das macht es für Personalchefs, für Führungskräfte, aber auch für Trainer im Sport viel anspruchsvoller. Viele haben diese Veränderung oft auch noch nicht verstanden, sehen nicht, dass sie mehr auf die jungen Menschen eingehen müssen. Zumal viele Unternehmen aktuell stark unter Druck stehen und zu wenig Zeit dafür haben. Aber es lohnt sich.
Der ausgeprägte Wunsch nach Teilzeit und kürzeren Arbeitszeiten ist eine große Herausforderung für Unternehmen
Christiane Wald
So wie sich selbstverständlich auch Leistung weiterhin lohnt. Junge Menschen wissen das und sind durchaus leistungsbereit, im Sinne von: Ich erreiche etwas, was ich mir vornehme und trage zu einem Projekt, Produkt oder einer Idee bei. Allerdings steht für sie die Arbeit nicht mehr über allem. Das halte ich aber für gesund. Wir Älteren merken ja auch, dass das auf Dauer nicht funktioniert. Ich arbeite immer noch sehr viel, aber mit einem anderen Bewusstsein und einem anderen Fokus als noch vor zehn, fünfzehn Jahren. Arbeit und Beruf müssen in einer Balance sein.
Der ausgeprägte Wunsch nach Teilzeit und kürzeren Arbeitszeiten vieler junger Menschen ist sicherlich eine große Herausforderung für Unternehmen und für die Gesellschaft. Oft sind es junge Menschen, die von zu Hause aus kaum Einschränkungen erlebt haben und die der Überzeugung sind, dass ihnen eine Teilzeitstelle finanziell ausreicht. Möglicherweise ändert sich das jetzt durch die Wirtschaftskrise und die Inflation. Ob das Geld bei einer Teilzeitstelle dann tatsächlich reicht, wird sich in der Zukunft zeigen.“