Düsseldorf „Was machen wir mit Oma?“ Diese Frage stellte sich Steffen Preuß und seinen drei Mitgründern vor fünf Jahren. Sie studierten zum Teil noch, aber waren alle in ihrem Umfeld mit dem Thema Demenz konfrontiert. Preuß probierte alle möglichen, auch digitalen Hilfsmittel aus. Aber seine Großmutter sah in einem Pill-Pc nur einen schwarzen Spiegel.
Dann hatte Freund Leftheri die zündende Idee. Er verpackte die digitalen Hilfsmittel in einen Ball und baute den ersten Prototypen: einen singenden, Geschichten erzählenden Ball namens „Ichó“, der Entspannung bietet und mit dem sich Rätsel lösen lassen. Und auf einmal „battle Oma für einen Second wieder Oma“, erzählt Preuß.
Mittlerweile sind die Gründer in Gesprächen mit Kitas, Pflegeeinrichtungen und Krankenkassen über den Einsatz von Ichó. Der Therapieball kann auch Kindern oder mehrfach Schwerstbehinderten helfen. Und: Er birgt einen Datenschatz, weil er auch körperliche Reaktionen, Tremor und anderes messen kann.
Viele Geschäftsideen, die sich Sozialunternehmer ausdenken, entstanden wie Ichó aus eigener Betroffenheit. Demenz trifft immer mehr Familien; laut WHO gibt es hierzulande 1,8 Millionen Patienten, 55 Millionen sind es weltweit. Jedes Jahr kommen zehn Millionen hinzu, vor allem in schnell alternden Gesellschaften.
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Unternehmer wie Steffen Preuß haben daher derzeit gute Chancen, Geldgeber und Unterstützer für ihre Ideen zu finden. „Das Phänomen Sozialunternehmertum ist weltweit auf dem Vormarsch“, bestätigt auch Odin Mühlenbein vom Social-Entrepreneurship-Netzwerk Ashoka.
Studie zeigt Milliardenpotenzial sozialer Innovationen auf
Dafür gibt es gleich mehrere Gründe: Langsam entfaltet sich die Wucht der Nachhaltigkeit im Finanzwesen, der Druck auf die Unternehmen nimmt deutlich zu. Zugleich rücken die globalen Probleme mit dem Klimawandel und der Ungleichheit näher heran.
Will man schnell helfen, ist unternehmerisches Denken in sozialen und ökologischen Innovationen gefragt. In einer gemeinsamen Studie mit der Unternehmensberatung McKinsey bezifferte Ashoka 2019 das volkswirtschaftliche Potenzial von damals betrachteten Sozialunternehmern bereits auf einen zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag.
Das erkennen immer mehr Regierungen an und geben Geld. In Taiwan gibt es zum Beispiel in jedem Jahr einen Wettbewerb um die besten sozialen Innovationen. Wer es unter die ersten fünf schafft, erhält von der Regierung eine Umsetzungsgarantie. In Großbritannien und Portugal gibt es große Fonds, die Sozialunternehmer fördern.
Kanada, Australien, Frankreich, die Beneluxländer, aber auch Indonesien liegen laut einem Rating der Thomson Reuters Basis von 2019 auf den ersten zehn Rängen als Länder, in denen soziale Innovationen besonders gute Bedingungen vorfinden. Und die neue Bundesregierung arbeitet laut Koalitionsvertrag an einer „nationalen Strategie für Sozialunternehmen, um gemeinwohlorientierte Unternehmen und soziale Innovationen stärker zu unterstützen“.
Aber auch personal Geldgeber wollen ihre Vermögen zunehmend mit positiver Wirkung für Umwelt und Gesellschaft anlegen. So hat Nixdorf-Erbin Dagmar Nixdorf jüngst bekannt gegeben, gemeinsam mit anderen Unternehmerfamilien bis zu zwei Milliarden Euro in sogenannte Impact-Unternehmen investieren zu wollen.
Die Bertelsmann Stiftung und ihr Vorstandsmitglied Brigitte Mohn engagieren sich bereits seit Jahren für mehr soziales Unternehmertum, auch Social Entrepreneurship genannt. Die Tochter von Bertelsmann-Gründer Reinhard Mohn battle in dem Rahmen auch beim Aufbau der International Steering Group for Affect Funding aktiv. Die Organisation will soziale Innovationen fördern. Zudem begleitete sie in Deutschland den Aufbau der Initiative Bundesverband Affect Investing sowie das gemeinnützige Analyse- und Beratungshaus Phineo.
Sozialunternehmer oder Affect-Begin-up?
Affect-Begin-ups oder Social Entrepreneurs wollen ein gesellschaftliches Drawback mit unternehmerischen Mitteln lösen und verantwortungsvoller wirtschaften. Eine einheitliche Definition gibt es nicht. Laura Haverkamp, Partnerin bei Ashoka, nennt eine Bedingung, damit das Netzwerk Gründer als Fellow unterstützt: Die Idee musss nicht nur ein Drawback lösen, sondern auch das Potenzial haben, ein System zu verändern.
Das 1981 von dem früheren McKinsey-Berater und Professor Invoice Drayton als Projekt begonnene Netzwerk unterstützt in 93 Ländern 4000 Fellows, additionally Menschen, die mit unternehmerischen Mitteln die jeweils herrschenden Systeme verändern wollen. Und die sind sehr unterschiedlich. So bietet in Indien die Sozialunternehmerin Runa Khan mit ihrer Organisation „Friendship“ mit Krankenhausschiffen eine Foundation-Gesundheitsversorgung in entlegenen Gebieten.
Hierzulande stehen andere Themen im Fokus. Christian Kroll etwa gründete die Suchmaschine Ecosia. Wer sie nutzt, unterstützt damit, dass weltweit Bäume gepflanzt werden. Mehr als 140 Millionen sind es inzwischen.
Silke Hohmuth von der Menschbank engagiert sich seit sechs Jahren dafür, dass einerseits Gründer überhaupt Finanzierungen bekommen, aber auch dafür, dass sich das Finanzsystem wieder an den Menschen orientiert. „Ich schaffe Vertrauen mit den Entscheidungsträgern im Finanzsystem und in den Verwaltungen“, sagt Hohmuth. „Veränderungen im System gehen nämlich nur gemeinsam.“
„Von 100 Sozialunternehmen verändert vielleicht eins gezielt soziale Systeme“, sagt Odin Mühlenbein von Ashoka. Diese Ausnahmen seien allerdings besonders wertvoll. „Sie sind die Forschungs- und Entwicklungsabteilung für unsere Gesellschaft.“ Mühlenbein hofft, dass es irgendwann drei von hundert sein werden. „Dafür müssen wir diese Organisationen aber besser fördern, etwa so wie die Grundlagenforschung für technische Innovationen.“
Die Unterschiede illustriert das Beispiel der kanadischen Sozialunternehmerin Nicole Rycroft: Als Umweltaktivistin fühlte sie sich früher ohnmächtig, dann ist sie zunächst auf die papierverarbeitenden Industrie zugegangen und hat mit ihnen neue, umweltfreundlichere Requirements entwickelt und auch den Verlag von Bestseller-Autorin J.Ok. Rowling gewonnen, Bestseller wie Harry Potter auf Recycling-Papier zu drucken. Dann arbeitete sie mit Zara, H&M und 170 weiteren Marken zu neuen Fasern in der Bekleidungsindustrie.
Sie wäre auch ein Social Begin-up geworden, wenn sie ein Unternehmen gegründet hätte, das Papier- oder Textilalternativen entwickelt. „Zum Ashoka Fellow wurde sie, weil ihre Ideen das Potenzial haben, das ganze System zu verändern“, erklärt Haverkamp. „Im Idealfall geht es der Entrepreneurin darum, sich selbst überflüssig zu machen.“
Können nur Kinder reicher Eltern Sozialunternehmer werden?
Es gibt additionally Sozialunternehmer, die Symptome lindern, und die, die Systeme verändern. Beides ist wichtig. Geld ist dabei wie bei allen Begin-ups zentral, aber nicht unbedingt die Triebfeder für Sozialunternehmer.
Werden denn nur Kinder reicher Eltern Sozialunternehmer? Im Gegenteil, sagt Haverkamp. Viele gründeten aus eigener Betroffenheit oder tiefer Motivation. Monetärer Revenue sei kein Antrieb, höchstens Mittel zum Zweck. Und sie fügt hinzu: „Ich hab noch keinen reich werden sehen.“
Dirk Sander hat beobachtet, dass die meisten social Entrepreneure „schon aus Akademikerhaushalten kommen“, sagt der Supervisor, der schon viele Sozialunternehmer gecoacht hat.
Sander ist einer der beiden Geschäftsführer von Anthropia. Die gemeinnützige GmbH betreibt das Social Affect Lab auf dem Campus von Haniel in Duisburg. Dort bewerben sich Gründer aus ganz Deutschland mit ihren Ideen. Die Einrichtung ist Brutstätte für Ideen und versucht, soziale Innovationen skalierbar zu machen.
Das 1765 gegründete Familienunternehmen Haniel, heute vor allem als Investor aktiv, hat sich schon sehr früh mit Social Entrepreneurship befasst und dieses gefördert. Seit 2015 werden Ideen von dem Unternehmen oder dessen Stiftung unterstützt. Die Gründe: Haniel wirtschaftet in Duisburg-Ruhrort, einem vom Strukturwandel stark betroffenen Stadtteil.
Serie: Social Entrepreneurship
Das Lab gilt heute mit quick 150 Begin-ups und mehr als 300 Gründern als Deutschlands führender Inkubator für angehende Sozialunternehmer. Und der Bedarf von Vermögensverwaltungen, aber auch Unternehmen oder Stiftungen steigt, in nachhaltige Projekte zu investieren.
Neben der Otto-Beisheim- und der KfW Stiftung ist Haniel einer der Geldgeber. Kürzlich sagte Finanzvorstand Florian Funck: „Die Affect Manufacturing unit battle zunächst eher am Rande des Haniel-Orbits unterwegs; inzwischen rücken einige ihrer Themen in das Zentrum unserer Strategie.“
Der Mehrwert für die Gründer: der direkte Kontakt zu Unternehmen. Sander, der bei Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus das Social-Enterprise-Handwerk gelernt hat, sieht jeden Tag, wie sehr Unternehmen und Sozialunternehmen näher zusammenrücken. „Die Gründer und auch die Geldgeber werden mehr.“
Sander sagt, dass auch für Social Entrepreneure Kontakte in die Unternehmenswelt wichtig seien, „als Know-how-Geber, Kooperationspartner und Geldgeber“. So haben auch Preuß und seine drei Mitgründer das Lab durchlaufen und 2018 Ichó gegründet – heute sind sie zu elft.