Ukraine, Gaza, Südsudan: Krisen weltweit treffen oft die Jüngsten am härtesten. Kürzungen im Bundeshaushalt schmälern die Hilfe für Kinder zusätzlich.
Die Klimakrise verschärft die Situation in den Konflikt- und Krisenregionen zusätzlich. Vor diesem Hintergrund erscheint die Arbeit von Hilfsorganisationen notwendiger denn je. Im Interview spricht der Geschäftsführer von Unicef Deutschland, Christian Schneider, über die aktuellen Herausforderungen für seine Kinderhilfsorganisation.
t-online: Herr Schneider, es mangelt weltweit nicht an Krisen. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
Christian Schneider: Das Jahr 2023 war eines der düstersten für die humanitäre Lage der Kinder weltweit. Um die Kinderrechte steht es ähnlich schlecht. Die Herausforderungen für Unicef messen sich an den Herausforderungen für die Kinder weltweit. Zum Jahresbeginn ist die Situation in Kriegs- und Krisengebieten wie der Ukraine, dem Sudan oder in Gaza am schlimmsten. Eine ganze Reihe an komplexen Krisen bedroht derzeit bereits Millionen von Kindern auf der ganzen Welt. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass Naturkatastrophen und bewaffnete Konflikte weiter zunehmen werden.
Gibt es Krisen- oder Konfliktregionen, in denen sich die Situation verbessert hat?
Nein, wir können auch kein Kapitel schließen, sondern sind weiter für Kinder in seit langer Zeit bestehenden Notsituationen im Einsatz. Unter schwierigsten Bedingungen helfen wir in Ländern wie Syrien oder Afghanistan. Die humanitäre Hilfe ist aber nur ein Teil der Aufgaben von Unicef. In sehr vielen Ländern haben wir ebenso lebenswichtige, langfristig angelegte Einsätze für Kinder.
Wie sehen diese Einsätze aus?
Es geht dabei darum, die Kindersterblichkeit zu senken. Mit Impfkampagnen kämpfen wir außerdem weltweit gegen gefährliche Krankheiten bei Kindern – wie zum Beispiel Malaria. Mit Bildungseinsätzen versuchen wir, Kindern eine möglichst selbstbestimmte Zukunft zu geben.
Kriege und Konflikte sind das eine. Wie wirken sich die Folgen der Klimakrise auf die Situation von Kindern aus?
Die Klimakrise ist ja eine Bedrohung weltweit. Das ist kein vages Zukunftsszenario. In Mosambik und anderen Ländern sehen wir eine rasante Zunahme von Wirbelstürmen. Küstengebiete, wie zuletzt in Bangladesch, sind von immer größeren Überschwemmungen betroffen. Extreme Dürresituationen in Kombination mit Starkregenereignissen treffen vor allem Bevölkerungen in extremer Armut, wie etwa in Madagaskar oder Südsudan. Und das sind nur die herausragendsten Beispiele.
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Quelle: Glomex
Wie viele Kinder sind davon betroffen?
Über eine Milliarde Kinder leben in Ländern oder Regionen, die extremen Folgen der Klimakrise ausgesetzt sind. Das zeigen die Aufzeichnungen unserer Organisation – leider sind diese Zahlen viel zu wenig bekannt. Etwa jedes zweite Kind wächst in einer Situation auf, in der es jederzeit von einer dieser Gefahren – Fluten, Überschwemmungen, Dürre oder andere Naturkatastrophen – getroffen werden könnte. Durch die Folgen der Klimakrise begeben sich immer mehr Familien mit Kindern auf die Flucht – derzeit sind das rund 43 Millionen Kinder. Wir müssen uns vor Augen halten, dass diese Zahl in den nächsten Jahren weiter steigen wird. Unicef stellt sich deshalb bereits jetzt darauf ein, noch mehr Kinder in diesen schwierigen Situationen zu begleiten.
Zur Person
Christian Schneider ist seit 2010 Geschäftsführer von Unicef Deutschland. Bei dem Kinderhilfswerk arbeitet er seit 1998. Davor studierte er Ethnologie, Politikwissenschaften und Publizistik. Er war als Redakteur für die „Westfälischen Nachrichten“ in Münster tätig. Schneider ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Wie reagieren Sie als Organisation darauf?
Es ist sehr wichtig, dass wir in allen Ländern, auf die diese Risiken zutreffen, mit Hochdruck unsere Programme so umstellen, damit wir diese Familien und Kinder besser vorbereiten und die Lebensbedingungen direkt in den Heimatländern sichern. Wir müssen zum Beispiel Schulen, Gesundheitsstationen und andere Einrichtungen für Kinder an Orten errichten, die vor Überschwemmungen sicher sind. Außerdem müssen wir nachhaltige Technologien nutzen, um die Versorgung mit Trinkwasser zu verbessern. So entwickeln wir etwa in Äthiopien unsere Brunnenbohrtechnologie weiter. Und unsere Ingenieure arbeiten daran, Wasserreservoire mit neuen Untersuchungsmethoden zu erschließen und diese nachhaltig nutzbar zu machen.