Tel Aviv Israel gehört zu den wenigen Ländern, die sowohl zu Russland als auch zu den USA und der Ukraine bislang gute Beziehungen unterhalten haben. Doch dieser Umstand stellt Premier Naftali Bennett in Zeiten des Krieges vor große Herausforderungen.
Er muss genau abwägen, wie er das Vorgehen von Kremlchef Wladimir Putin in der Ukraine kommentiert. Einerseits könnte Israel den wichtigsten Verbündeten, die USA, verärgern, indem es den russischen Einmarsch nicht verurteilt.
Tut Bennett dies doch, setzt er seinen guten Draht zu Moskau aufs Spiel. Und der ist für Israel von zentraler Bedeutung, denn das Land will in seinem Nachbarstaat Syrien eine iranische Präsenz verhindern. Russland kontrolliert den Luftraum über Syrien und erlaubt der israelischen Luftwaffe momentan, ungehindert gegen iranische Aktivitäten in Syrien vorzugehen. Aus diesem Grund hält sich Bennett bislang mit Kritik an Putins Invasion zurück.
Michael Herzog, Israels Botschafter in den USA, brachte das Drawback in einem Tweet auf den Punkt: „Während unsere moralische Place [zur Ukraine] klar ist, bemühen wir uns, sie auf eine Weise zu verfolgen, die unsere Operationsfreiheit gegen den Iran in der Area aufrechterhält.“ Die israelische Luftwaffe wäre ohne Putins Einwilligung nicht in der Lage, iranische Konvois zu bombardieren, die Syrien durchqueren, um Waffen an die Hisbollah im Südlibanon zu liefern.
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Aber auch innenpolitisch setzt die Ukrainekrise den Premier unter Druck: Israel zählt mehr als eine Million Menschen, die Russisch sprechen. Sie machen mehr als zehn Prozent der wahlberechtigten Bürger aus. Seit den 1990er-Jahren sind sie aus der ehemaligen UdSSR in Israel eingewandert. Sie stammen zu je einem Drittel aus Russland und aus der Ukraine.
In seiner ersten Reaktion auf den russischen Einmarsch hatte Bennett zwar seine Unterstützung für die territoriale Integrität der Ukraine betont, aber davon Abstand genommen, Putin zu verurteilen oder auch nur das Wort Russland zu erwähnen. Das übernahm sein Außenminister Yair Lapid. Dieser verurteilte die russische Invasion und bezeichnete sie als „ernste Verletzung“ der internationalen Ordnung. Bennett rief die Minister daraufhin zur Zurückhaltung in Interviews zum Thema Ukrainekrieg auf.
Der diplomatische Seiltanz Israels zeigte sich zudem auch in der UN-Generalversammlung. Israel stimmte zwar in den Chor der Russland-Kritiker ein. Aber vertreten wurde die Regierung nicht durch den UN-Botschafter des Landes, sondern durch dessen Stellvertreterin. Das Ziel: das Gewicht der israelischen Stellungnahme, die gegen Russland gerichtet battle, reduzieren.
Emmanuel Navon, Professor für internationale Beziehungen an der Universität Tel Aviv, ist dennoch der Ansicht, dass man dass russisch-israelische Verhältnis nicht überbewerten dürfe. „Letztlich prallen die geopolitischen Interessen Russlands im Mittleren Osten auf diejenigen Israels.“ Russland stimmt in der UN regelmäßig gegen Israel.
Ukraine interessiert an Raketenabwehrsystem
Die Ukraine beklagt sich derweil über die mangelnde Unterstützung der israelischen Regierung. Sie hat bereits mehrfach um militärische Hilfe gebeten, was Bennett ablehnt. Er beschränkt sich auf die Lieferung humanitärer Güter, die über Polen in die Ukraine gelangen. Dass er dem Land keine Waffen liefern will, begründet der Premier mit der langjährigen israelischen Politik, Russland nicht provozieren zu wollen.
Besonderes Interesse hat die Ukraine am Raketenabwehrsystem „Eiserne Kuppel“. Kiew hat jedoch nie einen offiziellen Antrag gestellt, weil der Regierung klar ist, dass Israel den Export nicht bewilligen würde. Die Regierung gestattet jedoch privaten Firmen, militärische Güter und Roboter in die Ukraine zu liefern. Eine enge Kooperation gibt es auch im Bereich Cybersicherheit.
Seine besondere Place in den Beziehungen versucht Israel nun zu nutzen, um im Konflikt zu vermitteln. Seit Ausbruch des Kriegs telefonierte Bennett mindestens zweimal separat sowohl mit dem Präsidenten der Ukraine, Wolodimir Selenski, als auch mit Kremlchef Putin. Mit beiden habe er eine „anhaltende Kommunikation“ vereinbart.
Wiederholt habe Israel angeboten, Gespräche zur Beendigung der Invasion zu vermitteln. In der Ukraine gab es darauf ein positives Echo, nicht aber in Russland.
Iran fordert Verhandlungen
Der Angriff Russlands ist aber auch für andere Staaten in der Area eine diplomatische Herausforderung. In Beirut verurteilte das Außenministerium die Invasion, der Arbeitsminister von der Hisbollah-Partei begrüßte sie jedoch: Es mache keinen Sinn, die amerikanische Seite zu unterstützen, weil Washington seine Verbündeten „in Kriege stürzt und dann wieder fallen lässt“.
Zahlreiche Nahost-Staaten haben es bisher vermieden, Russland zu verurteilen. Dazu gehören Ägypten und Jordanien, aber auch die Palästinensische Autonomieregierung schweigt. Andere wittern im Konflikt wiederum eine Geschäftsmöglichkeit. Algerien, Katar und Saudi-Arabien boten an, Gasoline und Öl zu liefern, um russische Energie zu ersetzen.
Und ausgerechnet der Iran – der im Mittleren Osten Terrororganisationen finanziert und ausrüstet – spricht sich für die Aufnahme von Verhandlungen aus, weil Kriege keine Probleme lösten. Zudem beschuldigte Teheran den Westen, insbesondere die Nato, für die Krise verantwortlich zu sein.
Das Regime versucht sich jedoch weitestgehend zurückzuhalten. Denn: In den Atomverhandlungen hofft der Iran auf europäische und russische Unterstützung, um ein Ende der Sanktionen zu erwirken.
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